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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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bestrebt' ich mich aber hinter die Ursache dieses Wohlgefallens zu kom¬
men, so merkt' ich wohl, daß meine Bestrebung eitel Pedanterie war,
denn der Liebenswürdigkeit muß man keinen Grund abfragen. Solch'
eine grundlose Liebenswürdigkeit ist die amerikanische Constitution. Die
Liebhaber derselben definiren sie, wie Liebhabern billig, auf die con¬
fuseste Weise. Fragt man den Präsidenten der Vereinigten Staaten,
worin das Wesen der Regierung bestehe, welche er mit so viel Ehre
für sich und mit so großen Vortheilen für sein Vaterland verwaltet,
so wird General Jackson antworten, sie sei ein Gouvernement der
Consolidation, mit voller Macht begleitet, ihre Beschlüsse in allen Di¬
stricten der Union durchzusetzen. Fragt man den Vice-Präsidenten, so
wird er das Gegentheil antworten: das Gouvernement sei nur con¬
föderativ und rücksichtlich seiner Beschlüsse von der freien Einwilligung
der Einzeln-Staaten abhängig. Fragt man Mr. Clay oder Mr. Web¬
ster, worin das Geheimniß ihrer großen ame incomprise, der Con¬
stitution bestehe, so werden sie wahrscheinlich das Privilegium, den
Handel des Landes nach Gutdünken zu besteuern und aus den Zoll¬
einkünften Straßen und Schulen zu bauen, dafür ansehen wollen.
Man richte dieselbe Frage an General Hayne und Mr. van Buren
und sie werden behaupten, dieses Gewaltsystem nach der einen und
Protectionssystem nach der andern Seite hin sei eine Doctrine der
beleidigendsten Tendenz und gehe aus einer nicht zu duldenden Aus¬
legung der Constitution hervor. Dennoch stimmen alle überein, daß
diese Constitution das höchste, deutlichste und fehlerfreiste Werk aller
menschlichen Gesetzgebungen sei. Solche Mißverständnisse müssen sich
offenbar schwer rächen. Nicht nur daß die Constitution unter diesen
Umständen kein Bollwerk gegen Anarchie ist, so scheint sie weit eher
noch ein Saamen- und Treibhaus derselben. Und hier berühren wir
eine andere Seite. Es wird gar nicht des socialen Gährungsstoffes
bedürfen, um das, was sich heute Union nennt, aufzulösen; politische
Ereignisse können den Zerfall schon früher herbeiführen. In der That
vergeht kein Jahrzehnt, daß nicht irgend eine politische Krisis die Vi¬
talität der Union auf eine harte Probe stellt. Zur Zeit der Hart¬
forder Convention war Onkel Sam nahe daran den Geist aufzugeben;
vor anderthalb Jahren litt er entsetzlich am Carolina-Fieber. Und
ist von letzterem Krankenbette nicht das tödtliche Gift der Nulli¬

beſtrebt' ich mich aber hinter die Urſache dieſes Wohlgefallens zu kom¬
men, ſo merkt' ich wohl, daß meine Beſtrebung eitel Pedanterie war,
denn der Liebenswürdigkeit muß man keinen Grund abfragen. Solch'
eine grundloſe Liebenswürdigkeit iſt die amerikaniſche Conſtitution. Die
Liebhaber derſelben definiren ſie, wie Liebhabern billig, auf die con¬
fuſeſte Weiſe. Fragt man den Präſidenten der Vereinigten Staaten,
worin das Weſen der Regierung beſtehe, welche er mit ſo viel Ehre
für ſich und mit ſo großen Vortheilen für ſein Vaterland verwaltet,
ſo wird General Jackſon antworten, ſie ſei ein Gouvernement der
Conſolidation, mit voller Macht begleitet, ihre Beſchlüſſe in allen Di¬
ſtricten der Union durchzuſetzen. Fragt man den Vice-Präſidenten, ſo
wird er das Gegentheil antworten: das Gouvernement ſei nur con¬
föderativ und rückſichtlich ſeiner Beſchlüſſe von der freien Einwilligung
der Einzeln-Staaten abhängig. Fragt man Mr. Clay oder Mr. Web¬
ſter, worin das Geheimniß ihrer großen âme incomprise, der Con¬
ſtitution beſtehe, ſo werden ſie wahrſcheinlich das Privilegium, den
Handel des Landes nach Gutdünken zu beſteuern und aus den Zoll¬
einkünften Straßen und Schulen zu bauen, dafür anſehen wollen.
Man richte dieſelbe Frage an General Hayne und Mr. van Buren
und ſie werden behaupten, dieſes Gewaltſyſtem nach der einen und
Protectionsſyſtem nach der andern Seite hin ſei eine Doctrine der
beleidigendſten Tendenz und gehe aus einer nicht zu duldenden Aus¬
legung der Conſtitution hervor. Dennoch ſtimmen alle überein, daß
dieſe Conſtitution das höchſte, deutlichſte und fehlerfreiſte Werk aller
menſchlichen Geſetzgebungen ſei. Solche Mißverſtändniſſe müſſen ſich
offenbar ſchwer rächen. Nicht nur daß die Conſtitution unter dieſen
Umſtänden kein Bollwerk gegen Anarchie iſt, ſo ſcheint ſie weit eher
noch ein Saamen- und Treibhaus derſelben. Und hier berühren wir
eine andere Seite. Es wird gar nicht des ſocialen Gährungsſtoffes
bedürfen, um das, was ſich heute Union nennt, aufzulöſen; politiſche
Ereigniſſe können den Zerfall ſchon früher herbeiführen. In der That
vergeht kein Jahrzehnt, daß nicht irgend eine politiſche Kriſis die Vi¬
talität der Union auf eine harte Probe ſtellt. Zur Zeit der Hart¬
forder Convention war Onkel Sam nahe daran den Geiſt aufzugeben;
vor anderthalb Jahren litt er entſetzlich am Carolina-Fieber. Und
iſt von letzterem Krankenbette nicht das tödtliche Gift der Nulli¬

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[171/0189] beſtrebt' ich mich aber hinter die Urſache dieſes Wohlgefallens zu kom¬ men, ſo merkt' ich wohl, daß meine Beſtrebung eitel Pedanterie war, denn der Liebenswürdigkeit muß man keinen Grund abfragen. Solch' eine grundloſe Liebenswürdigkeit iſt die amerikaniſche Conſtitution. Die Liebhaber derſelben definiren ſie, wie Liebhabern billig, auf die con¬ fuſeſte Weiſe. Fragt man den Präſidenten der Vereinigten Staaten, worin das Weſen der Regierung beſtehe, welche er mit ſo viel Ehre für ſich und mit ſo großen Vortheilen für ſein Vaterland verwaltet, ſo wird General Jackſon antworten, ſie ſei ein Gouvernement der Conſolidation, mit voller Macht begleitet, ihre Beſchlüſſe in allen Di¬ ſtricten der Union durchzuſetzen. Fragt man den Vice-Präſidenten, ſo wird er das Gegentheil antworten: das Gouvernement ſei nur con¬ föderativ und rückſichtlich ſeiner Beſchlüſſe von der freien Einwilligung der Einzeln-Staaten abhängig. Fragt man Mr. Clay oder Mr. Web¬ ſter, worin das Geheimniß ihrer großen âme incomprise, der Con¬ ſtitution beſtehe, ſo werden ſie wahrſcheinlich das Privilegium, den Handel des Landes nach Gutdünken zu beſteuern und aus den Zoll¬ einkünften Straßen und Schulen zu bauen, dafür anſehen wollen. Man richte dieſelbe Frage an General Hayne und Mr. van Buren und ſie werden behaupten, dieſes Gewaltſyſtem nach der einen und Protectionsſyſtem nach der andern Seite hin ſei eine Doctrine der beleidigendſten Tendenz und gehe aus einer nicht zu duldenden Aus¬ legung der Conſtitution hervor. Dennoch ſtimmen alle überein, daß dieſe Conſtitution das höchſte, deutlichſte und fehlerfreiſte Werk aller menſchlichen Geſetzgebungen ſei. Solche Mißverſtändniſſe müſſen ſich offenbar ſchwer rächen. Nicht nur daß die Conſtitution unter dieſen Umſtänden kein Bollwerk gegen Anarchie iſt, ſo ſcheint ſie weit eher noch ein Saamen- und Treibhaus derſelben. Und hier berühren wir eine andere Seite. Es wird gar nicht des ſocialen Gährungsſtoffes bedürfen, um das, was ſich heute Union nennt, aufzulöſen; politiſche Ereigniſſe können den Zerfall ſchon früher herbeiführen. In der That vergeht kein Jahrzehnt, daß nicht irgend eine politiſche Kriſis die Vi¬ talität der Union auf eine harte Probe ſtellt. Zur Zeit der Hart¬ forder Convention war Onkel Sam nahe daran den Geiſt aufzugeben; vor anderthalb Jahren litt er entſetzlich am Carolina-Fieber. Und iſt von letzterem Krankenbette nicht das tödtliche Gift der Nulli¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/189>, abgerufen am 23.11.2024.