Darin liegt eine Inconsequenz. Diese Inconsequenz nun sehen Sie mich in der Behandlung meines Omar's aufheben, indem ich rück¬ schließend also denke: Ist es möglich, daß ein Thier, welches der Jäger bald für eine Wildkatze geschossen hätte, nachträglich noch ein Mensch wird, bloß darum weil man es zum Menschen erzieht: warum soll, darf oder muß ich nicht vielmehr von dem Thiere, das wir hier vor Augen haben, gleichfalls erwarten, daß es durch Erziehung erzogen werden kann? Man zeige mir die Lücke in diesem Syllogismus. Nein, mein Herr! kann die Menschheit zur Thierheit verwildern, so kann die Thierheit zur Menschheit veredelt werden: dieser Satz muß nothwendig gelten, wenn von Logik überhaupt die Rede sein soll. Aber gewisse Entscheidungen werden statt durch die Logik, durch unsern Egoismus gefaßt. Dahin gehört unsre ganze Behandlung des Thier¬ lebens. Wir regieren die Thierwelt nicht loyal-constitutionell, sondern mittels lettres de cachet. Weil der Stoff des Thieres uns zum Verbrauche dient, so hütet sich unser Eigennutz, den Geist des Thieres in seinen verfassungsmäßigen Rechten anzuerkennen. Sie sehen wohl, es ist hier von Gewalt, nicht von Vernunft die Rede. Nehmen wir z. B. diese Union hier. Sie bedient sich einer unzähligen Menge von Menschenkörpern stofflich, indem sie die schwarzen Sclaven ganz so verbraucht, wie man ein Hausthier verbraucht. Der Nigger ist Thier. Sie erweitert das Thierreich mit einer neuen Species. Umgekehrt wird die große britische Nation durch das glorreiche Beispiel der Sclaven- Emancipation eine Thier-Species, um mich so auszudrücken, in die menschliche Gattung avanciren lassen. Da haben Sie die Wandel¬ barkeit der Grenzlinie, wovon ich zuvor sprach. Aber lassen wir das bei Seite. Fleischesser mögen sagen, es ist Nothwendigkeit, den Thiergeist zu ignoriren, um den Thierstoff zu verbrauchen, Sclaven¬ halter mögen sage n, es ist Interesse, die Nigger-Perfectibilität zu leugnen, um die Nigger-Hausthier-Arbeit nutzbar zu machen: meinem Hunde gegenüber fallen diese Rücksichten weg. Ich will weder sein Fleisch verzehren, noch seine Arbeitskraft benützen, ich habe keinen Grund das intellectuelle W esen in ihm aufzuopfern. Der Jesuit Pater Bougeant hindert mich wenigstens nicht, indem er die Thierseele für eine Teufelsseele erkannt wissen will. Es liegt auf der Hand, daß sein System nur der Versuch einer Vermittlung zwischen dem Mißbrauch
Darin liegt eine Inconſequenz. Dieſe Inconſequenz nun ſehen Sie mich in der Behandlung meines Omar's aufheben, indem ich rück¬ ſchließend alſo denke: Iſt es möglich, daß ein Thier, welches der Jäger bald für eine Wildkatze geſchoſſen hätte, nachträglich noch ein Menſch wird, bloß darum weil man es zum Menſchen erzieht: warum ſoll, darf oder muß ich nicht vielmehr von dem Thiere, das wir hier vor Augen haben, gleichfalls erwarten, daß es durch Erziehung erzogen werden kann? Man zeige mir die Lücke in dieſem Syllogismus. Nein, mein Herr! kann die Menſchheit zur Thierheit verwildern, ſo kann die Thierheit zur Menſchheit veredelt werden: dieſer Satz muß nothwendig gelten, wenn von Logik überhaupt die Rede ſein ſoll. Aber gewiſſe Entſcheidungen werden ſtatt durch die Logik, durch unſern Egoismus gefaßt. Dahin gehört unſre ganze Behandlung des Thier¬ lebens. Wir regieren die Thierwelt nicht loyal-conſtitutionell, ſondern mittels lettres de cachet. Weil der Stoff des Thieres uns zum Verbrauche dient, ſo hütet ſich unſer Eigennutz, den Geiſt des Thieres in ſeinen verfaſſungsmäßigen Rechten anzuerkennen. Sie ſehen wohl, es iſt hier von Gewalt, nicht von Vernunft die Rede. Nehmen wir z. B. dieſe Union hier. Sie bedient ſich einer unzähligen Menge von Menſchenkörpern ſtofflich, indem ſie die ſchwarzen Sclaven ganz ſo verbraucht, wie man ein Hausthier verbraucht. Der Nigger iſt Thier. Sie erweitert das Thierreich mit einer neuen Species. Umgekehrt wird die große britiſche Nation durch das glorreiche Beiſpiel der Sclaven- Emancipation eine Thier-Species, um mich ſo auszudrücken, in die menſchliche Gattung avanciren laſſen. Da haben Sie die Wandel¬ barkeit der Grenzlinie, wovon ich zuvor ſprach. Aber laſſen wir das bei Seite. Fleiſcheſſer mögen ſagen, es iſt Nothwendigkeit, den Thiergeiſt zu ignoriren, um den Thierſtoff zu verbrauchen, Sclaven¬ halter mögen ſage n, es iſt Intereſſe, die Nigger-Perfectibilität zu leugnen, um die Nigger-Hausthier-Arbeit nutzbar zu machen: meinem Hunde gegenüber fallen dieſe Rückſichten weg. Ich will weder ſein Fleiſch verzehren, noch ſeine Arbeitskraft benützen, ich habe keinen Grund das intellectuelle W eſen in ihm aufzuopfern. Der Jeſuit Pater Bougeant hindert mich wenigſtens nicht, indem er die Thierſeele für eine Teufelsſeele erkannt wiſſen will. Es liegt auf der Hand, daß ſein Syſtem nur der Verſuch einer Vermittlung zwiſchen dem Mißbrauch
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Darin liegt eine Inconſequenz. Dieſe Inconſequenz nun ſehen Sie
mich in der Behandlung meines Omar's aufheben, indem ich rück¬
ſchließend alſo denke: Iſt es möglich, daß ein Thier, welches der Jäger
bald für eine Wildkatze geſchoſſen hätte, nachträglich noch ein Menſch
wird, bloß darum weil man es zum Menſchen erzieht: warum ſoll,
darf oder muß ich nicht vielmehr von dem Thiere, das wir hier vor
Augen haben, gleichfalls erwarten, daß es durch Erziehung erzogen
werden kann? Man zeige mir die Lücke in dieſem Syllogismus.
Nein, mein Herr! kann die Menſchheit zur Thierheit verwildern, ſo
kann die Thierheit zur Menſchheit veredelt werden: dieſer Satz muß
nothwendig gelten, wenn von Logik überhaupt die Rede ſein ſoll. Aber
gewiſſe Entſcheidungen werden ſtatt durch die Logik, durch unſern
Egoismus gefaßt. Dahin gehört unſre ganze Behandlung des Thier¬
lebens. Wir regieren die Thierwelt nicht loyal-conſtitutionell, ſondern
mittels lettres de cachet. Weil der Stoff des Thieres uns zum
Verbrauche dient, ſo hütet ſich unſer Eigennutz, den Geiſt des Thieres
in ſeinen verfaſſungsmäßigen Rechten anzuerkennen. Sie ſehen wohl,
es iſt hier von Gewalt, nicht von Vernunft die Rede. Nehmen wir
z. B. dieſe Union hier. Sie bedient ſich einer unzähligen Menge von
Menſchenkörpern ſtofflich, indem ſie die ſchwarzen Sclaven ganz ſo
verbraucht, wie man ein Hausthier verbraucht. Der Nigger iſt Thier.
Sie erweitert das Thierreich mit einer neuen Species. Umgekehrt wird
die große britiſche Nation durch das glorreiche Beiſpiel der Sclaven-
Emancipation eine Thier-Species, um mich ſo auszudrücken, in die
menſchliche Gattung avanciren laſſen. Da haben Sie die Wandel¬
barkeit der Grenzlinie, wovon ich zuvor ſprach. Aber laſſen wir das
bei Seite. Fleiſcheſſer mögen ſagen, es iſt Nothwendigkeit, den
Thiergeiſt zu ignoriren, um den Thierſtoff zu verbrauchen, Sclaven¬
halter mögen ſage n, es iſt Intereſſe, die Nigger-Perfectibilität zu
leugnen, um die Nigger-Hausthier-Arbeit nutzbar zu machen: meinem
Hunde gegenüber fallen dieſe Rückſichten weg. Ich will weder ſein
Fleiſch verzehren, noch ſeine Arbeitskraft benützen, ich habe keinen
Grund das intellectuelle W eſen in ihm aufzuopfern. Der Jeſuit Pater
Bougeant hindert mich wenigſtens nicht, indem er die Thierſeele für
eine Teufelsſeele erkannt wiſſen will. Es liegt auf der Hand, daß
ſein Syſtem nur der Verſuch einer Vermittlung zwiſchen dem Mißbrauch
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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