sich gesehen, die Elite der Gesellschaft wohne jetzt draußen, und der heutige Rout sei mehr eine Förmlichkeit gegen die Stadt, gewissermaßen eine Beobachtung der demokratischen dehors; doch zweifle er nicht, es werde sich noch immer eine kleine Geistes-Gemeinde für's Estaminet zusammenfinden, an die halte man sich dann und lasse den Mob laufen.
In der That erschienen bald darauf einige von den Häuptern, auf welchen ein dem Europäer mehr oder minder bekannter Name ruhte. Die erste dieser Gestalten war ein Mann von majestätischer Hoch-Statur, stark gewölbter Brust und noch ausgebildeterem Abdominal- System, das plastisch-viereckige Haupt bis an den Scheitel kahl, im Nacken aber mit einer derben Fülle herabfallender Locken beschwert, was ein seltsamer Anblick war und einen Ausdruck von unzerbrech¬ licher Manneskraft gab. Das Erhabene war vorherrschend in diesem Bilde, wenngleich nicht alleinherrschend, denn seine Augen waren klein und die etwas hervortretende Unterlippe, so wie das weiche schwellende Kinn verriethen, daß der Mann den gutschmeckenden Dingen dieser Welt nicht allzu ungerecht begegnete. Es war Doctor Channing, der erste Prosaist Amerika's, nach der Stimme des Landes -- Ame¬ rika's Cato! wie Mr. Bennet Moorfelden zuflüsterte, die öffentliche Vorstellung mit einer geheimen ergänzend.
Diesem Mann auf dem Fuße folgte sein directestes Gegenstück. Es war ein hageres, fast gebrechliches Männchen, dessen graue Augen schüchtern wie die eines Schulmädchens blickten, indeß sein kleines fleischloses Köpfchen auf die Seite neigte, als ob es ihm durch zu viel Lernen beschwert wäre. Er war nicht alt, sah aber aus als ob er nie eine Jugend gehabt hätte und die Knabenjahre wie ein nothwen¬ diges Uebel so schnell als möglich passirt wäre. Mr. Bennet begrüßte ihn mit tiefer Hochachtung und stellte ihn als Doctor Griswold vor, Bibliothekar an der neu errichteten Universität in Newyork, der flei¬ ßigste Gelehrte des Landes, ein Mann, der eine ganze Akademie werth ist, setzte er Moorfelden in obiger Weise hinzu.
Auch der vormalige Präsident Monroe erschien. Eine schwache abgemagerte Gestalt, gebeugt von Alter, oder alt-machenden Gemüths¬ stimmungen. Moorfeld sah in ein mildes aber glanzloses Auge, auf eine breite und gut begrenzte aber platte Stirn, es verdroß ihn über¬ haupt, daß der ganze Charakter-Ausdruck des Mannes, der den edelsten
ſich geſehen, die Elite der Geſellſchaft wohne jetzt draußen, und der heutige Rout ſei mehr eine Förmlichkeit gegen die Stadt, gewiſſermaßen eine Beobachtung der demokratiſchen dehors; doch zweifle er nicht, es werde ſich noch immer eine kleine Geiſtes-Gemeinde für's Eſtaminet zuſammenfinden, an die halte man ſich dann und laſſe den Mob laufen.
In der That erſchienen bald darauf einige von den Häuptern, auf welchen ein dem Europäer mehr oder minder bekannter Name ruhte. Die erſte dieſer Geſtalten war ein Mann von majeſtätiſcher Hoch-Statur, ſtark gewölbter Bruſt und noch ausgebildeterem Abdominal- Syſtem, das plaſtiſch-viereckige Haupt bis an den Scheitel kahl, im Nacken aber mit einer derben Fülle herabfallender Locken beſchwert, was ein ſeltſamer Anblick war und einen Ausdruck von unzerbrech¬ licher Manneskraft gab. Das Erhabene war vorherrſchend in dieſem Bilde, wenngleich nicht alleinherrſchend, denn ſeine Augen waren klein und die etwas hervortretende Unterlippe, ſo wie das weiche ſchwellende Kinn verriethen, daß der Mann den gutſchmeckenden Dingen dieſer Welt nicht allzu ungerecht begegnete. Es war Doctor Channing, der erſte Proſaiſt Amerika's, nach der Stimme des Landes — Ame¬ rika's Cato! wie Mr. Bennet Moorfelden zuflüſterte, die öffentliche Vorſtellung mit einer geheimen ergänzend.
Dieſem Mann auf dem Fuße folgte ſein directeſtes Gegenſtück. Es war ein hageres, faſt gebrechliches Männchen, deſſen graue Augen ſchüchtern wie die eines Schulmädchens blickten, indeß ſein kleines fleiſchloſes Köpfchen auf die Seite neigte, als ob es ihm durch zu viel Lernen beſchwert wäre. Er war nicht alt, ſah aber aus als ob er nie eine Jugend gehabt hätte und die Knabenjahre wie ein nothwen¬ diges Uebel ſo ſchnell als möglich paſſirt wäre. Mr. Bennet begrüßte ihn mit tiefer Hochachtung und ſtellte ihn als Doctor Griswold vor, Bibliothekar an der neu errichteten Univerſität in Newyork, der flei¬ ßigſte Gelehrte des Landes, ein Mann, der eine ganze Akademie werth iſt, ſetzte er Moorfelden in obiger Weiſe hinzu.
Auch der vormalige Präſident Monroe erſchien. Eine ſchwache abgemagerte Geſtalt, gebeugt von Alter, oder alt-machenden Gemüths¬ ſtimmungen. Moorfeld ſah in ein mildes aber glanzloſes Auge, auf eine breite und gut begrenzte aber platte Stirn, es verdroß ihn über¬ haupt, daß der ganze Charakter-Ausdruck des Mannes, der den edelſten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0216"n="198"/>ſich geſehen, die Elite der Geſellſchaft wohne jetzt draußen, und der<lb/>
heutige Rout ſei mehr eine Förmlichkeit gegen die Stadt, gewiſſermaßen<lb/>
eine Beobachtung der demokratiſchen <hirendition="#aq">dehors</hi>; doch zweifle er nicht, es<lb/>
werde ſich noch immer eine kleine Geiſtes-Gemeinde für's Eſtaminet<lb/>
zuſammenfinden, an die halte man ſich dann und laſſe den Mob laufen.</p><lb/><p>In der That erſchienen bald darauf einige von den Häuptern,<lb/>
auf welchen ein dem Europäer mehr oder minder bekannter Name<lb/>
ruhte. Die erſte dieſer Geſtalten war ein Mann von majeſtätiſcher<lb/>
Hoch-Statur, ſtark gewölbter Bruſt und noch ausgebildeterem Abdominal-<lb/>
Syſtem, das plaſtiſch-viereckige Haupt bis an den Scheitel kahl, im<lb/>
Nacken aber mit einer derben Fülle herabfallender Locken beſchwert,<lb/>
was ein ſeltſamer Anblick war und einen Ausdruck von unzerbrech¬<lb/>
licher Manneskraft gab. Das Erhabene war vorherrſchend in dieſem<lb/>
Bilde, wenngleich nicht alleinherrſchend, denn ſeine Augen waren klein<lb/>
und die etwas hervortretende Unterlippe, ſo wie das weiche ſchwellende<lb/>
Kinn verriethen, daß der Mann den gutſchmeckenden Dingen dieſer<lb/>
Welt nicht allzu ungerecht begegnete. Es war Doctor <hirendition="#g">Channing</hi>,<lb/>
der erſte Proſaiſt Amerika's, nach der Stimme des Landes — Ame¬<lb/>
rika's Cato! wie Mr. Bennet Moorfelden zuflüſterte, die öffentliche<lb/>
Vorſtellung mit einer geheimen ergänzend.</p><lb/><p>Dieſem Mann auf dem Fuße folgte ſein directeſtes Gegenſtück.<lb/>
Es war ein hageres, faſt gebrechliches Männchen, deſſen graue Augen<lb/>ſchüchtern wie die eines Schulmädchens blickten, indeß ſein kleines<lb/>
fleiſchloſes Köpfchen auf die Seite neigte, als ob es ihm durch zu viel<lb/>
Lernen beſchwert wäre. Er war nicht alt, ſah aber aus als ob er<lb/>
nie eine Jugend gehabt hätte und die Knabenjahre wie ein nothwen¬<lb/>
diges Uebel ſo ſchnell als möglich paſſirt wäre. Mr. Bennet begrüßte<lb/>
ihn mit tiefer Hochachtung und ſtellte ihn als Doctor <hirendition="#g">Griswold</hi> vor,<lb/>
Bibliothekar an der neu errichteten Univerſität in Newyork, der flei¬<lb/>
ßigſte Gelehrte des Landes, ein Mann, der eine ganze Akademie werth<lb/>
iſt, ſetzte er Moorfelden in obiger Weiſe hinzu.</p><lb/><p>Auch der vormalige Präſident <hirendition="#g">Monroe</hi> erſchien. Eine ſchwache<lb/>
abgemagerte Geſtalt, gebeugt von Alter, oder alt-machenden Gemüths¬<lb/>ſtimmungen. Moorfeld ſah in ein mildes aber glanzloſes Auge, auf<lb/>
eine breite und gut begrenzte aber platte Stirn, es verdroß ihn über¬<lb/>
haupt, daß der ganze Charakter-Ausdruck des Mannes, der den edelſten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[198/0216]
ſich geſehen, die Elite der Geſellſchaft wohne jetzt draußen, und der
heutige Rout ſei mehr eine Förmlichkeit gegen die Stadt, gewiſſermaßen
eine Beobachtung der demokratiſchen dehors; doch zweifle er nicht, es
werde ſich noch immer eine kleine Geiſtes-Gemeinde für's Eſtaminet
zuſammenfinden, an die halte man ſich dann und laſſe den Mob laufen.
In der That erſchienen bald darauf einige von den Häuptern,
auf welchen ein dem Europäer mehr oder minder bekannter Name
ruhte. Die erſte dieſer Geſtalten war ein Mann von majeſtätiſcher
Hoch-Statur, ſtark gewölbter Bruſt und noch ausgebildeterem Abdominal-
Syſtem, das plaſtiſch-viereckige Haupt bis an den Scheitel kahl, im
Nacken aber mit einer derben Fülle herabfallender Locken beſchwert,
was ein ſeltſamer Anblick war und einen Ausdruck von unzerbrech¬
licher Manneskraft gab. Das Erhabene war vorherrſchend in dieſem
Bilde, wenngleich nicht alleinherrſchend, denn ſeine Augen waren klein
und die etwas hervortretende Unterlippe, ſo wie das weiche ſchwellende
Kinn verriethen, daß der Mann den gutſchmeckenden Dingen dieſer
Welt nicht allzu ungerecht begegnete. Es war Doctor Channing,
der erſte Proſaiſt Amerika's, nach der Stimme des Landes — Ame¬
rika's Cato! wie Mr. Bennet Moorfelden zuflüſterte, die öffentliche
Vorſtellung mit einer geheimen ergänzend.
Dieſem Mann auf dem Fuße folgte ſein directeſtes Gegenſtück.
Es war ein hageres, faſt gebrechliches Männchen, deſſen graue Augen
ſchüchtern wie die eines Schulmädchens blickten, indeß ſein kleines
fleiſchloſes Köpfchen auf die Seite neigte, als ob es ihm durch zu viel
Lernen beſchwert wäre. Er war nicht alt, ſah aber aus als ob er
nie eine Jugend gehabt hätte und die Knabenjahre wie ein nothwen¬
diges Uebel ſo ſchnell als möglich paſſirt wäre. Mr. Bennet begrüßte
ihn mit tiefer Hochachtung und ſtellte ihn als Doctor Griswold vor,
Bibliothekar an der neu errichteten Univerſität in Newyork, der flei¬
ßigſte Gelehrte des Landes, ein Mann, der eine ganze Akademie werth
iſt, ſetzte er Moorfelden in obiger Weiſe hinzu.
Auch der vormalige Präſident Monroe erſchien. Eine ſchwache
abgemagerte Geſtalt, gebeugt von Alter, oder alt-machenden Gemüths¬
ſtimmungen. Moorfeld ſah in ein mildes aber glanzloſes Auge, auf
eine breite und gut begrenzte aber platte Stirn, es verdroß ihn über¬
haupt, daß der ganze Charakter-Ausdruck des Mannes, der den edelſten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/216>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.