Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

der Indianer-Stämme um sein Land betrogen, nicht einmal von
geistiger Ueberlegenheit oder energischen Leidenschaften zeugte. Moor¬
feld haßte ihn noch von seinen glühendsten Studentenjahren her, in
welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und unser
Freund, den wir nur nicht "Jüngling" nennen, um ein pathetisches
Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht so weit hinter sich, daß
ihm der Anblick dieses Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mi߬
stimmung verursacht hätte. Nur der Umstand, daß Monroe, wie er
hörte, jetzt in Armuth lebe, und von den Bestechungen, die in jenem
diplomatischen Räuberroman gespielt, nicht persönlich gewonnen habe,
milderte zum Theile seine Empfindungen.

Noch stand Moorfeld über dieses Thema mit Mr. Bennet im Gespräche,
als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen
ausgehend, welche die Person des jetzt Eintretenden kannten, und um
so spannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche sie nicht kannten.
Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch be¬
gleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohl¬
wollens. Mr. Livingstone, Amerika's erster Jurist, sagte Herr
Bennet. Verfasser des classischen Carolina-Strafcodex? fragte Moor¬
feld -- von welchem ich Ihnen eine Geschichte erzählen will, eine Ge¬
schichte in zwei Worten, setzte Bennet hinzu. Das Manuscript dieses
Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunst seines Hau¬
ses in Flammen auf. Morgens um sieben Uhr saß Livingstone in
einem andern Hause vor einem andern Buch Papier und begann es
von Neuem. Das ist nicht von einem Gelehrten erzählt, sondern
von einem Enthusiasten, werden Sie sagen. Ich widerspreche nicht.
Livingstone ist Dichter in seinem Berufe!

Wirklich war Mr. Livingstone eine außerordentlich gewinnende
Persönlichkeit. Seine Gesichtszüge konnten keineswegs fein heißen,
aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was selbst Herz und
Menschlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittel¬
größe, seine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge
einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte sie, seine
Sitte war Sittlichkeit.

Diese Personen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen,
in welchen sich das eigentliche Leben des Routs krystallisirte. Zwar

der Indianer-Stämme um ſein Land betrogen, nicht einmal von
geiſtiger Ueberlegenheit oder energiſchen Leidenſchaften zeugte. Moor¬
feld haßte ihn noch von ſeinen glühendſten Studentenjahren her, in
welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und unſer
Freund, den wir nur nicht „Jüngling“ nennen, um ein pathetiſches
Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht ſo weit hinter ſich, daß
ihm der Anblick dieſes Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mi߬
ſtimmung verurſacht hätte. Nur der Umſtand, daß Monroe, wie er
hörte, jetzt in Armuth lebe, und von den Beſtechungen, die in jenem
diplomatiſchen Räuberroman geſpielt, nicht perſönlich gewonnen habe,
milderte zum Theile ſeine Empfindungen.

Noch ſtand Moorfeld über dieſes Thema mit Mr. Bennet im Geſpräche,
als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen
ausgehend, welche die Perſon des jetzt Eintretenden kannten, und um
ſo ſpannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche ſie nicht kannten.
Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch be¬
gleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohl¬
wollens. Mr. Livingſtone, Amerika's erſter Juriſt, ſagte Herr
Bennet. Verfaſſer des claſſiſchen Carolina-Strafcodex? fragte Moor¬
feld — von welchem ich Ihnen eine Geſchichte erzählen will, eine Ge¬
ſchichte in zwei Worten, ſetzte Bennet hinzu. Das Manuſcript dieſes
Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunſt ſeines Hau¬
ſes in Flammen auf. Morgens um ſieben Uhr ſaß Livingſtone in
einem andern Hauſe vor einem andern Buch Papier und begann es
von Neuem. Das iſt nicht von einem Gelehrten erzählt, ſondern
von einem Enthuſiaſten, werden Sie ſagen. Ich widerſpreche nicht.
Livingſtone iſt Dichter in ſeinem Berufe!

Wirklich war Mr. Livingſtone eine außerordentlich gewinnende
Perſönlichkeit. Seine Geſichtszüge konnten keineswegs fein heißen,
aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was ſelbſt Herz und
Menſchlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittel¬
größe, ſeine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge
einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte ſie, ſeine
Sitte war Sittlichkeit.

Dieſe Perſonen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen,
in welchen ſich das eigentliche Leben des Routs kryſtalliſirte. Zwar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0217" n="199"/>
der Indianer-Stämme um &#x017F;ein Land betrogen, nicht einmal von<lb/>
gei&#x017F;tiger Ueberlegenheit oder energi&#x017F;chen Leiden&#x017F;chaften zeugte. Moor¬<lb/>
feld haßte ihn noch von &#x017F;einen glühend&#x017F;ten Studentenjahren her, in<lb/>
welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und un&#x017F;er<lb/>
Freund, den wir nur nicht &#x201E;Jüngling&#x201C; nennen, um ein patheti&#x017F;ches<lb/>
Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht &#x017F;o weit hinter &#x017F;ich, daß<lb/>
ihm der Anblick die&#x017F;es Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mi߬<lb/>
&#x017F;timmung verur&#x017F;acht hätte. Nur der Um&#x017F;tand, daß Monroe, wie er<lb/>
hörte, jetzt in Armuth lebe, und von den Be&#x017F;techungen, die in jenem<lb/>
diplomati&#x017F;chen Räuberroman ge&#x017F;pielt, nicht per&#x017F;önlich gewonnen habe,<lb/>
milderte zum Theile &#x017F;eine Empfindungen.</p><lb/>
          <p>Noch &#x017F;tand Moorfeld über die&#x017F;es Thema mit Mr. Bennet im Ge&#x017F;präche,<lb/>
als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen<lb/>
ausgehend, welche die Per&#x017F;on des jetzt Eintretenden kannten, und um<lb/>
&#x017F;o &#x017F;pannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche &#x017F;ie nicht kannten.<lb/>
Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch be¬<lb/>
gleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohl¬<lb/>
wollens. Mr. <hi rendition="#g">Living&#x017F;tone</hi>, Amerika's er&#x017F;ter Juri&#x017F;t, &#x017F;agte Herr<lb/>
Bennet. Verfa&#x017F;&#x017F;er des cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Carolina-Strafcodex? fragte Moor¬<lb/>
feld &#x2014; von welchem ich Ihnen eine Ge&#x017F;chichte erzählen will, eine Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte in zwei Worten, &#x017F;etzte Bennet hinzu. Das Manu&#x017F;cript die&#x017F;es<lb/>
Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrun&#x017F;t &#x017F;eines Hau¬<lb/>
&#x017F;es in Flammen auf. Morgens um &#x017F;ieben Uhr &#x017F;aß Living&#x017F;tone in<lb/>
einem andern Hau&#x017F;e vor einem andern Buch Papier und begann es<lb/>
von Neuem. Das i&#x017F;t nicht von einem Gelehrten erzählt, &#x017F;ondern<lb/>
von einem Enthu&#x017F;ia&#x017F;ten, werden Sie &#x017F;agen. Ich wider&#x017F;preche nicht.<lb/>
Living&#x017F;tone i&#x017F;t Dichter in &#x017F;einem Berufe!</p><lb/>
          <p>Wirklich war Mr. Living&#x017F;tone eine außerordentlich gewinnende<lb/>
Per&#x017F;önlichkeit. Seine Ge&#x017F;ichtszüge konnten keineswegs fein heißen,<lb/>
aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was &#x017F;elb&#x017F;t Herz und<lb/>
Men&#x017F;chlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittel¬<lb/>
größe, &#x017F;eine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge<lb/>
einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte &#x017F;ie, &#x017F;eine<lb/>
Sitte war Sittlichkeit.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Per&#x017F;onen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen,<lb/>
in welchen &#x017F;ich das eigentliche Leben des Routs kry&#x017F;talli&#x017F;irte. Zwar<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[199/0217] der Indianer-Stämme um ſein Land betrogen, nicht einmal von geiſtiger Ueberlegenheit oder energiſchen Leidenſchaften zeugte. Moor¬ feld haßte ihn noch von ſeinen glühendſten Studentenjahren her, in welche die Unterdrückung der Georgia-Creeks gefallen, und unſer Freund, den wir nur nicht „Jüngling“ nennen, um ein pathetiſches Wort nicht abzunützen, hatte jene Jahre nicht ſo weit hinter ſich, daß ihm der Anblick dieſes Mannes nicht immer noch eine lebhafte Mi߬ ſtimmung verurſacht hätte. Nur der Umſtand, daß Monroe, wie er hörte, jetzt in Armuth lebe, und von den Beſtechungen, die in jenem diplomatiſchen Räuberroman geſpielt, nicht perſönlich gewonnen habe, milderte zum Theile ſeine Empfindungen. Noch ſtand Moorfeld über dieſes Thema mit Mr. Bennet im Geſpräche, als durch die Säle eine ehrerbietige Bewegung ging, von denjenigen ausgehend, welche die Perſon des jetzt Eintretenden kannten, und um ſo ſpannungsvoller fortgepflanzt auf die, welche ſie nicht kannten. Man machte dem Ankömmling links und rechts Platz und doch be¬ gleitete ihn von allen Seiten das Gedränge eines natürlichen Wohl¬ wollens. Mr. Livingſtone, Amerika's erſter Juriſt, ſagte Herr Bennet. Verfaſſer des claſſiſchen Carolina-Strafcodex? fragte Moor¬ feld — von welchem ich Ihnen eine Geſchichte erzählen will, eine Ge¬ ſchichte in zwei Worten, ſetzte Bennet hinzu. Das Manuſcript dieſes Codex ging Abends um zehn Uhr bei einer Feuersbrunſt ſeines Hau¬ ſes in Flammen auf. Morgens um ſieben Uhr ſaß Livingſtone in einem andern Hauſe vor einem andern Buch Papier und begann es von Neuem. Das iſt nicht von einem Gelehrten erzählt, ſondern von einem Enthuſiaſten, werden Sie ſagen. Ich widerſpreche nicht. Livingſtone iſt Dichter in ſeinem Berufe! Wirklich war Mr. Livingſtone eine außerordentlich gewinnende Perſönlichkeit. Seine Geſichtszüge konnten keineswegs fein heißen, aber eine Herzenswärme lag darin, die Alles, was ſelbſt Herz und Menſchlichkeit hatte, gefangen nahm. Seine Statur war über Mittel¬ größe, ſeine Manieren die des vollendeten Gentlemans. Das Gepräge einer natürlichen Zartheit und Harmonie des Gefühls adelte ſie, ſeine Sitte war Sittlichkeit. Dieſe Perſonen wurden alsbald die Mittelpunkte von Gruppen, in welchen ſich das eigentliche Leben des Routs kryſtalliſirte. Zwar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/217
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/217>, abgerufen am 24.11.2024.