kronen, Wiesenteppiche, darüber verstreut, von der Hütte bis zum Pa¬ last, ein Füllhorn menschlicher Wohnungen. Im Prospect die präch¬ tige Bai von Newyork, sie, die sämmtliche Kriegsflotten der Erde aufnehmen könnte, im Tiefgrunde die Stadt selbst. Das Masten- Gepfähl und Tau-Gestrick ihres Hafens garnirt sie, aus dieser Ferne gesehen, wie das zarteste Spitzengewebe; kaum schimmert der Teint ihres weißen, holländischen Häuseranstrichs durch. Am Borde streitet man sich, ob diese Einfahrt wirklich Aehnlichkeit mit Neapel habe oder nicht. Der hohläugige Seekranke behauptet's mit freuderothem Auf¬ erstehungs-Jubel, der vielgereiste Tourist zuckt die abgehärtete Kenner- Achsel. Dem Dritten liegt die Stadt zu eben, sie hat kein Relief. Der Vierte stellt auch Hoboken und Brooklyn in ihren Rahmen und jenes zieht den blauen Hügelkranz von Neu-Jersey, dieses die bewal¬ deten Bergwände Long-Islands mit in das Bild. Ein Anderer ver¬ schiebt Berg und Wald, setzt sie hieher und dorthin und gewinnt ihnen schöpferisch einen Vesuv ab. Unser Hochwächter im Vorder-Castell wendet sich um und spricht über das Verdeck hin: Meine Herren, wenn es heißt: Neapel sehen und sterben, so wollen wir sagen: New¬ york sehen und leben! das ist Gleichartiges und Verschiedenes. Bei¬ fallszuruf folgt dem Wortspiele des Mittlers; dieser vereinsamt sich wieder und legt sein Auge betrachtungsvoll auf Land und See hinaus.
Ein grauer Gewitterdunst umduftet den schwülen Sommerhimmel. Der Seespiegel schattet ihn ab und gleicht einer dunklen, angehauchten Stahlplatte. Links auf Neu-Jersey, rechts über Brooklyns Waldhöhen hängen zwei dünnwallende Sprühregen herab. In der Mitte von beiden bricht im Hintergrunde die Sonne durch und spannt ein paar breite großgefächerte Strahlen über Newyork. Die Stadt schwimmt in einem milchweißen Fernenlicht, das mattgraue Wolkengehänge des Vordergrunds contrastirt dazu mit einer schlagenden Wirkung. Wer Neapel in diesem Nimbus gesehen, dürfte sich glücklich preisen. Ein solches Bild mit andern abzuwägen, kennzeichnet das Gros der Men¬ schenaugen. Sie sehen die Landschaft nur als wägbare Masse, der beleuchtende Geist entgeht ihnen allzuoft. Unser Ankömmling enpfin¬ det ihn voll. Sein Auge ist wie von einem Zauber gefesselt vor dieser Lichtwirkung. Es ist ihm, als sähe er in der neuen Welt ein neues, sich selbst übertreffendes Tageslicht. Und das sinnliche Bild
kronen, Wieſenteppiche, darüber verſtreut, von der Hütte bis zum Pa¬ laſt, ein Füllhorn menſchlicher Wohnungen. Im Proſpect die präch¬ tige Bai von Newyork, ſie, die ſämmtliche Kriegsflotten der Erde aufnehmen könnte, im Tiefgrunde die Stadt ſelbſt. Das Maſten- Gepfähl und Tau-Geſtrick ihres Hafens garnirt ſie, aus dieſer Ferne geſehen, wie das zarteſte Spitzengewebe; kaum ſchimmert der Teint ihres weißen, holländiſchen Häuſeranſtrichs durch. Am Borde ſtreitet man ſich, ob dieſe Einfahrt wirklich Aehnlichkeit mit Neapel habe oder nicht. Der hohläugige Seekranke behauptet's mit freuderothem Auf¬ erſtehungs-Jubel, der vielgereiste Touriſt zuckt die abgehärtete Kenner- Achſel. Dem Dritten liegt die Stadt zu eben, ſie hat kein Relief. Der Vierte ſtellt auch Hoboken und Brooklyn in ihren Rahmen und jenes zieht den blauen Hügelkranz von Neu-Jerſey, dieſes die bewal¬ deten Bergwände Long-Islands mit in das Bild. Ein Anderer ver¬ ſchiebt Berg und Wald, ſetzt ſie hieher und dorthin und gewinnt ihnen ſchöpferiſch einen Veſuv ab. Unſer Hochwächter im Vorder-Caſtell wendet ſich um und ſpricht über das Verdeck hin: Meine Herren, wenn es heißt: Neapel ſehen und ſterben, ſo wollen wir ſagen: New¬ york ſehen und leben! das iſt Gleichartiges und Verſchiedenes. Bei¬ fallszuruf folgt dem Wortſpiele des Mittlers; dieſer vereinſamt ſich wieder und legt ſein Auge betrachtungsvoll auf Land und See hinaus.
Ein grauer Gewitterdunſt umduftet den ſchwülen Sommerhimmel. Der Seeſpiegel ſchattet ihn ab und gleicht einer dunklen, angehauchten Stahlplatte. Links auf Neu-Jerſey, rechts über Brooklyns Waldhöhen hängen zwei dünnwallende Sprühregen herab. In der Mitte von beiden bricht im Hintergrunde die Sonne durch und ſpannt ein paar breite großgefächerte Strahlen über Newyork. Die Stadt ſchwimmt in einem milchweißen Fernenlicht, das mattgraue Wolkengehänge des Vordergrunds contraſtirt dazu mit einer ſchlagenden Wirkung. Wer Neapel in dieſem Nimbus geſehen, dürfte ſich glücklich preiſen. Ein ſolches Bild mit andern abzuwägen, kennzeichnet das Gros der Men¬ ſchenaugen. Sie ſehen die Landſchaft nur als wägbare Maſſe, der beleuchtende Geiſt entgeht ihnen allzuoft. Unſer Ankömmling enpfin¬ det ihn voll. Sein Auge iſt wie von einem Zauber gefeſſelt vor dieſer Lichtwirkung. Es iſt ihm, als ſähe er in der neuen Welt ein neues, ſich ſelbſt übertreffendes Tageslicht. Und das ſinnliche Bild
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kronen, Wieſenteppiche, darüber verſtreut, von der Hütte bis zum Pa¬
laſt, ein Füllhorn menſchlicher Wohnungen. Im Proſpect die präch¬
tige Bai von Newyork, ſie, die ſämmtliche Kriegsflotten der Erde
aufnehmen könnte, im Tiefgrunde die Stadt ſelbſt. Das Maſten-
Gepfähl und Tau-Geſtrick ihres Hafens garnirt ſie, aus dieſer Ferne
geſehen, wie das zarteſte Spitzengewebe; kaum ſchimmert der Teint
ihres weißen, holländiſchen Häuſeranſtrichs durch. Am Borde ſtreitet
man ſich, ob dieſe Einfahrt wirklich Aehnlichkeit mit Neapel habe oder
nicht. Der hohläugige Seekranke behauptet's mit freuderothem Auf¬
erſtehungs-Jubel, der vielgereiste Touriſt zuckt die abgehärtete Kenner-
Achſel. Dem Dritten liegt die Stadt zu eben, ſie hat kein Relief.
Der Vierte ſtellt auch Hoboken und Brooklyn in ihren Rahmen und
jenes zieht den blauen Hügelkranz von Neu-Jerſey, dieſes die bewal¬
deten Bergwände Long-Islands mit in das Bild. Ein Anderer ver¬
ſchiebt Berg und Wald, ſetzt ſie hieher und dorthin und gewinnt ihnen
ſchöpferiſch einen Veſuv ab. Unſer Hochwächter im Vorder-Caſtell
wendet ſich um und ſpricht über das Verdeck hin: Meine Herren,
wenn es heißt: Neapel ſehen und ſterben, ſo wollen wir ſagen: New¬
york ſehen und leben! das iſt Gleichartiges und Verſchiedenes. Bei¬
fallszuruf folgt dem Wortſpiele des Mittlers; dieſer vereinſamt ſich
wieder und legt ſein Auge betrachtungsvoll auf Land und See hinaus.
Ein grauer Gewitterdunſt umduftet den ſchwülen Sommerhimmel.
Der Seeſpiegel ſchattet ihn ab und gleicht einer dunklen, angehauchten
Stahlplatte. Links auf Neu-Jerſey, rechts über Brooklyns Waldhöhen
hängen zwei dünnwallende Sprühregen herab. In der Mitte von
beiden bricht im Hintergrunde die Sonne durch und ſpannt ein paar
breite großgefächerte Strahlen über Newyork. Die Stadt ſchwimmt
in einem milchweißen Fernenlicht, das mattgraue Wolkengehänge des
Vordergrunds contraſtirt dazu mit einer ſchlagenden Wirkung. Wer
Neapel in dieſem Nimbus geſehen, dürfte ſich glücklich preiſen. Ein
ſolches Bild mit andern abzuwägen, kennzeichnet das Gros der Men¬
ſchenaugen. Sie ſehen die Landſchaft nur als wägbare Maſſe, der
beleuchtende Geiſt entgeht ihnen allzuoft. Unſer Ankömmling enpfin¬
det ihn voll. Sein Auge iſt wie von einem Zauber gefeſſelt vor
dieſer Lichtwirkung. Es iſt ihm, als ſähe er in der neuen Welt ein
neues, ſich ſelbſt übertreffendes Tageslicht. Und das ſinnliche Bild
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/22>, abgerufen am 21.11.2024.
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