Asiens Despotien, oder er riß gewaltsam in Trümmer unter den Revolutionen Europa's. Weises Amerika, das mit dem Anfange anfing!"
"So werd' ich bewohnen ein festes, wohlgezimmertes Haus, ein Haus gebaut auf die erste aller Wissenschaften, auf die Wissenschaft vom Volke. Marquis Posa sans phrase ist der Hausherr darin. Ich trete ein, und umarme staunend und schauernd den erschossenen Freund. Er lächelt. Verwundere dich nicht, Bruder, mich hier im Gedeihen zu finden. Du wußtest ja, ich bin unsterblich. Die Königs¬ wunde hier -- traumhaft fährt er sich an die Stirne -- siehe, sie ist glücklich vernarbt. Ach, es war ein beschränktes Jahrhundert! Lächeln wir, Freund, über seine Irrthümer. Damals versagte man der Humanität eine kleine Anstellung in Holland, heute schwingt sie ihr Scepter über einen Raum, den Flandern und Brabant hundertmal einnehmen könnten und mancher Acre erübrigte noch zu einem irren¬ ärztlichen Latifundium für den Madrider Staatsrath. Nicht wahr, das Menschenthum schreitet doch vorwärts, und die Könige sind -- das Menschenthum schreitet doch vorwärts, und die Könige sind -- sonderbare Schwärmer! Hier zuckt man die Achseln über die Ausführbarkeit ihrer Träume und auf dem Capitol zu Washington findet man nichts praktisch, als unsre Ideale. -- Sei mir willkommen, Freund, sei mir willkommen!" --
Also wurde die Küste von Amerika begrüßt. Ein Mann von jugendlichem Alter steht auf dem Vordertheil seines Schiffes und schaut mit verschränkten Armen und begeistertem Blicke sein großes Gegen¬ über: die neue Welt. In seinem Hymnus steht seine Gestalt vor uns, kaum brauchten wir die leibliche zu betrachten. Aber auch diese drückt eine edle, schwungvolle Persönlichkeit aus. Auf seine Stirn haben die Götter das Siegel des Gedankens gedrückt, sein Mienen¬ spiel ist eine Lyra, mit vollen, herztiefen Empfindungen besaitet. Sein Wuchs, mit Winkelmann zu reden, sein Stamm ist fein, wir möchten sagen artistisch gebaut. Ein künstlerischer Wurf geht auch durch seine Bekleidung. Sie hat nichts zu thun mit dem entsagenden Neglige des abstract Gebildeten. Sie verräth Formensinn. Sie stellt eine Per¬ sönlichkeit dar, welche über die Identität von Gestalt und Gehalt durch ein natürliches Gefühl, durch eine angeborene Poesie belehrt ist.
Der Segler passirt die Narrows, die Meerenge zwischen Long- Island und Staten-Island. Links und rechts gezogene Hügel, Wald¬
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Aſiens Deſpotien, oder er riß gewaltſam in Trümmer unter den Revolutionen Europa's. Weiſes Amerika, das mit dem Anfange anfing!“
„So werd' ich bewohnen ein feſtes, wohlgezimmertes Haus, ein Haus gebaut auf die erſte aller Wiſſenſchaften, auf die Wiſſenſchaft vom Volke. Marquis Poſa sans phrase iſt der Hausherr darin. Ich trete ein, und umarme ſtaunend und ſchauernd den erſchoſſenen Freund. Er lächelt. Verwundere dich nicht, Bruder, mich hier im Gedeihen zu finden. Du wußteſt ja, ich bin unſterblich. Die Königs¬ wunde hier — traumhaft fährt er ſich an die Stirne — ſiehe, ſie iſt glücklich vernarbt. Ach, es war ein beſchränktes Jahrhundert! Lächeln wir, Freund, über ſeine Irrthümer. Damals verſagte man der Humanität eine kleine Anſtellung in Holland, heute ſchwingt ſie ihr Scepter über einen Raum, den Flandern und Brabant hundertmal einnehmen könnten und mancher Acre erübrigte noch zu einem irren¬ ärztlichen Latifundium für den Madrider Staatsrath. Nicht wahr, das Menſchenthum ſchreitet doch vorwärts, und die Könige ſind — das Menſchenthum ſchreitet doch vorwärts, und die Könige ſind — ſonderbare Schwärmer! Hier zuckt man die Achſeln über die Ausführbarkeit ihrer Träume und auf dem Capitol zu Waſhington findet man nichts praktiſch, als unſre Ideale. — Sei mir willkommen, Freund, ſei mir willkommen!“ —
Alſo wurde die Küſte von Amerika begrüßt. Ein Mann von jugendlichem Alter ſteht auf dem Vordertheil ſeines Schiffes und ſchaut mit verſchränkten Armen und begeiſtertem Blicke ſein großes Gegen¬ über: die neue Welt. In ſeinem Hymnus ſteht ſeine Geſtalt vor uns, kaum brauchten wir die leibliche zu betrachten. Aber auch dieſe drückt eine edle, ſchwungvolle Perſönlichkeit aus. Auf ſeine Stirn haben die Götter das Siegel des Gedankens gedrückt, ſein Mienen¬ ſpiel iſt eine Lyra, mit vollen, herztiefen Empfindungen beſaitet. Sein Wuchs, mit Winkelmann zu reden, ſein Stamm iſt fein, wir möchten ſagen artiſtiſch gebaut. Ein künſtleriſcher Wurf geht auch durch ſeine Bekleidung. Sie hat nichts zu thun mit dem entſagenden Negligé des abſtract Gebildeten. Sie verräth Formenſinn. Sie ſtellt eine Per¬ ſönlichkeit dar, welche über die Identität von Geſtalt und Gehalt durch ein natürliches Gefühl, durch eine angeborene Poeſie belehrt iſt.
Der Segler paſſirt die Narrows, die Meerenge zwiſchen Long- Island und Staten-Island. Links und rechts gezogene Hügel, Wald¬
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Aſiens Deſpotien, oder er riß gewaltſam in Trümmer unter den
Revolutionen Europa's. Weiſes Amerika, das mit dem Anfange anfing!“
„So werd' ich bewohnen ein feſtes, wohlgezimmertes Haus, ein
Haus gebaut auf die erſte aller Wiſſenſchaften, auf die Wiſſenſchaft
vom Volke. Marquis Poſa sans phrase iſt der Hausherr darin.
Ich trete ein, und umarme ſtaunend und ſchauernd den erſchoſſenen
Freund. Er lächelt. Verwundere dich nicht, Bruder, mich hier im
Gedeihen zu finden. Du wußteſt ja, ich bin unſterblich. Die Königs¬
wunde hier — traumhaft fährt er ſich an die Stirne — ſiehe, ſie
iſt glücklich vernarbt. Ach, es war ein beſchränktes Jahrhundert!
Lächeln wir, Freund, über ſeine Irrthümer. Damals verſagte man der
Humanität eine kleine Anſtellung in Holland, heute ſchwingt ſie ihr
Scepter über einen Raum, den Flandern und Brabant hundertmal
einnehmen könnten und mancher Acre erübrigte noch zu einem irren¬
ärztlichen Latifundium für den Madrider Staatsrath. Nicht wahr,
das Menſchenthum ſchreitet doch vorwärts, und die Könige ſind —
das Menſchenthum ſchreitet doch vorwärts, und die Könige ſind —
ſonderbare Schwärmer! Hier zuckt man die Achſeln über die
Ausführbarkeit ihrer Träume und auf dem Capitol zu Waſhington
findet man nichts praktiſch, als unſre Ideale. — Sei mir willkommen,
Freund, ſei mir willkommen!“ —
Alſo wurde die Küſte von Amerika begrüßt. Ein Mann von
jugendlichem Alter ſteht auf dem Vordertheil ſeines Schiffes und ſchaut
mit verſchränkten Armen und begeiſtertem Blicke ſein großes Gegen¬
über: die neue Welt. In ſeinem Hymnus ſteht ſeine Geſtalt vor
uns, kaum brauchten wir die leibliche zu betrachten. Aber auch dieſe
drückt eine edle, ſchwungvolle Perſönlichkeit aus. Auf ſeine Stirn
haben die Götter das Siegel des Gedankens gedrückt, ſein Mienen¬
ſpiel iſt eine Lyra, mit vollen, herztiefen Empfindungen beſaitet. Sein
Wuchs, mit Winkelmann zu reden, ſein Stamm iſt fein, wir möchten
ſagen artiſtiſch gebaut. Ein künſtleriſcher Wurf geht auch durch
ſeine Bekleidung. Sie hat nichts zu thun mit dem entſagenden Negligé
des abſtract Gebildeten. Sie verräth Formenſinn. Sie ſtellt eine Per¬
ſönlichkeit dar, welche über die Identität von Geſtalt und Gehalt
durch ein natürliches Gefühl, durch eine angeborene Poeſie belehrt iſt.
Der Segler paſſirt die Narrows, die Meerenge zwiſchen Long-
Island und Staten-Island. Links und rechts gezogene Hügel, Wald¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/21>, abgerufen am 21.11.2024.
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