Patriotismus sein. Ja, ohne alle Paradoxie dürfen wir behaupten, die Sclavenstaaten sind die besten Stützen unsrer Freiheit.
Quantum periculum immineret, si servi nostri numerare nos coepissent!*) sagte Moorfeld mit tiefer, ernsthafter Betonung. Ob Seneka's Wort, fuhr er fort, nur vom römischen und nicht naturge¬ mäß und nothwendig von jedem Sclavenstaate der Erde gilt, mögen die Götter in der praktischen Beantwortung eben so auf sich beruhen lassen, wie ich in der theoretischen. Ich gestehe gerne, daß ich über diesen Gegenstand -- Kundigeren das Wort lasse.
Mr. Livingstone nahm den Wink auf und antwortete zwischen Moorfeld und dem Virginier: Da die Virginier nach den Gesetzen der Vernunft und der Liebe ihre Sclaven behandeln, so muß es ihnen außerordentlich unangenehm sein, überhaupt noch Sclavenhalter zu heißen. Wäre es nicht besser, sie erklärten ihre Sclaverei demnach für aufge¬ hoben? Thatsächlich änderte ja dieser Großmuthsact nichts, denn die Sclaven, die sich heute so glücklich fühlen, würden sich wohl hüten, das bestehende Verhältniß zu lösen. Löseten sie's aber doch -- nun, dann hätten sie sich eben nicht glücklich gefühlt. Und das ist der einfache und immer wiederkehrende Syllogismus, wenn vom Glücke der Sclaven die Rede ist. Laßt es auf ihre Wahl ankommen! -- In der That, Herr General, in diesen Tagen, da uns zu jeder Stunde die Nachricht werden kann, das englische Parlament hat die Emanci¬ pationsacte erlassen, fühlt die Union ein tödtliches Herzklopfen, und wir sind aufgeregter als je, unser Herrenrecht über unsre Sclaven uns selbst und Andern recht unzerstörbar einzureden. Als ob das Gift im Magen durch die Einbildung, es sei Honig, auch nur eine Secunde lang in seinen tödtlichen Wirkungen inne hielte! Von ganzem Herzen beglückwünsche ich Mortonhall, daß es diesen Honigtraum zu träumen vermag; daß es ihn zu träumen verdient, bezeuge ich dem edlen Besitzer desselben mit größtem Vergnügen. Aber der ganze übrige Süden lebt in einem fürchterlichen Wachen! Aus allen Regionen zwi¬ schen dem Red-River und Potomac werde ich stündlich mit Briefen überhäuft, in welchen die Sclavenbeglücker mit jenem Angstschweiß
*) Welche Gefahr drohte uns, wenn unsre Sclaven uns zu zählen an¬ fingen!
Patriotismus ſein. Ja, ohne alle Paradoxie dürfen wir behaupten, die Sclavenſtaaten ſind die beſten Stützen unſrer Freiheit.
Quantum periculum immineret, si servi nostri numerare nos coepissent!*) ſagte Moorfeld mit tiefer, ernſthafter Betonung. Ob Seneka's Wort, fuhr er fort, nur vom römiſchen und nicht naturge¬ mäß und nothwendig von jedem Sclavenſtaate der Erde gilt, mögen die Götter in der praktiſchen Beantwortung eben ſo auf ſich beruhen laſſen, wie ich in der theoretiſchen. Ich geſtehe gerne, daß ich über dieſen Gegenſtand — Kundigeren das Wort laſſe.
Mr. Livingſtone nahm den Wink auf und antwortete zwiſchen Moorfeld und dem Virginier: Da die Virginier nach den Geſetzen der Vernunft und der Liebe ihre Sclaven behandeln, ſo muß es ihnen außerordentlich unangenehm ſein, überhaupt noch Sclavenhalter zu heißen. Wäre es nicht beſſer, ſie erklärten ihre Sclaverei demnach für aufge¬ hoben? Thatſächlich änderte ja dieſer Großmuthsact nichts, denn die Sclaven, die ſich heute ſo glücklich fühlen, würden ſich wohl hüten, das beſtehende Verhältniß zu löſen. Löſeten ſie's aber doch — nun, dann hätten ſie ſich eben nicht glücklich gefühlt. Und das iſt der einfache und immer wiederkehrende Syllogismus, wenn vom Glücke der Sclaven die Rede iſt. Laßt es auf ihre Wahl ankommen! — In der That, Herr General, in dieſen Tagen, da uns zu jeder Stunde die Nachricht werden kann, das engliſche Parlament hat die Emanci¬ pationsacte erlaſſen, fühlt die Union ein tödtliches Herzklopfen, und wir ſind aufgeregter als je, unſer Herrenrecht über unſre Sclaven uns ſelbſt und Andern recht unzerſtörbar einzureden. Als ob das Gift im Magen durch die Einbildung, es ſei Honig, auch nur eine Secunde lang in ſeinen tödtlichen Wirkungen inne hielte! Von ganzem Herzen beglückwünſche ich Mortonhall, daß es dieſen Honigtraum zu träumen vermag; daß es ihn zu träumen verdient, bezeuge ich dem edlen Beſitzer deſſelben mit größtem Vergnügen. Aber der ganze übrige Süden lebt in einem fürchterlichen Wachen! Aus allen Regionen zwi¬ ſchen dem Red-River und Potomac werde ich ſtündlich mit Briefen überhäuft, in welchen die Sclavenbeglücker mit jenem Angſtſchweiß
*) Welche Gefahr drohte uns, wenn unſre Sclaven uns zu zählen an¬ fingen!
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0223"n="205"/>
Patriotismus ſein. Ja, ohne alle Paradoxie dürfen wir behaupten,<lb/>
die Sclavenſtaaten ſind die beſten Stützen unſrer Freiheit.</p><lb/><p><hirendition="#aq">Quantum periculum immineret, si servi nostri numerare nos<lb/>
coepissent!</hi><noteplace="foot"n="*)">Welche Gefahr drohte uns, wenn unſre Sclaven uns zu zählen an¬<lb/>
fingen!<lb/></note>ſagte Moorfeld mit tiefer, ernſthafter Betonung. Ob<lb/>
Seneka's Wort, fuhr er fort, nur vom römiſchen und nicht naturge¬<lb/>
mäß und nothwendig von jedem Sclavenſtaate der Erde gilt, mögen<lb/>
die Götter in der praktiſchen Beantwortung eben ſo auf ſich beruhen<lb/>
laſſen, wie ich in der theoretiſchen. Ich geſtehe gerne, daß ich über<lb/>
dieſen Gegenſtand — Kundigeren das Wort laſſe.</p><lb/><p>Mr. Livingſtone nahm den Wink auf und antwortete zwiſchen<lb/>
Moorfeld und dem Virginier: Da die Virginier nach den Geſetzen der<lb/>
Vernunft und der Liebe ihre Sclaven behandeln, ſo muß es ihnen<lb/>
außerordentlich unangenehm ſein, überhaupt noch Sclavenhalter zu heißen.<lb/>
Wäre es nicht beſſer, ſie erklärten ihre Sclaverei demnach für aufge¬<lb/>
hoben? Thatſächlich änderte ja dieſer Großmuthsact nichts, denn die<lb/>
Sclaven, die ſich heute ſo glücklich fühlen, würden ſich wohl hüten,<lb/>
das beſtehende Verhältniß zu löſen. Löſeten ſie's aber doch —<lb/>
nun, dann hätten ſie ſich eben <hirendition="#g">nicht</hi> glücklich gefühlt. Und das iſt<lb/>
der einfache und immer wiederkehrende Syllogismus, wenn vom Glücke<lb/>
der Sclaven die Rede iſt. Laßt es auf ihre Wahl ankommen! —<lb/>
In der That, Herr General, in dieſen Tagen, da uns zu jeder Stunde<lb/>
die Nachricht werden kann, das engliſche Parlament hat die Emanci¬<lb/>
pationsacte erlaſſen, fühlt die Union ein tödtliches Herzklopfen, und<lb/>
wir ſind aufgeregter als je, unſer Herrenrecht über unſre Sclaven<lb/>
uns ſelbſt und Andern recht unzerſtörbar einzureden. Als ob das<lb/>
Gift im Magen durch die Einbildung, es ſei Honig, auch nur eine<lb/>
Secunde lang in ſeinen tödtlichen Wirkungen inne hielte! Von ganzem<lb/>
Herzen beglückwünſche ich Mortonhall, daß es dieſen Honigtraum zu<lb/>
träumen vermag; daß es ihn zu träumen verdient, bezeuge ich dem<lb/>
edlen Beſitzer deſſelben mit größtem Vergnügen. Aber der ganze übrige<lb/>
Süden lebt in einem fürchterlichen Wachen! Aus allen Regionen zwi¬<lb/>ſchen dem Red-River und Potomac werde ich ſtündlich mit Briefen<lb/>
überhäuft, in welchen die Sclavenbeglücker mit jenem Angſtſchweiß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[205/0223]
Patriotismus ſein. Ja, ohne alle Paradoxie dürfen wir behaupten,
die Sclavenſtaaten ſind die beſten Stützen unſrer Freiheit.
Quantum periculum immineret, si servi nostri numerare nos
coepissent! *) ſagte Moorfeld mit tiefer, ernſthafter Betonung. Ob
Seneka's Wort, fuhr er fort, nur vom römiſchen und nicht naturge¬
mäß und nothwendig von jedem Sclavenſtaate der Erde gilt, mögen
die Götter in der praktiſchen Beantwortung eben ſo auf ſich beruhen
laſſen, wie ich in der theoretiſchen. Ich geſtehe gerne, daß ich über
dieſen Gegenſtand — Kundigeren das Wort laſſe.
Mr. Livingſtone nahm den Wink auf und antwortete zwiſchen
Moorfeld und dem Virginier: Da die Virginier nach den Geſetzen der
Vernunft und der Liebe ihre Sclaven behandeln, ſo muß es ihnen
außerordentlich unangenehm ſein, überhaupt noch Sclavenhalter zu heißen.
Wäre es nicht beſſer, ſie erklärten ihre Sclaverei demnach für aufge¬
hoben? Thatſächlich änderte ja dieſer Großmuthsact nichts, denn die
Sclaven, die ſich heute ſo glücklich fühlen, würden ſich wohl hüten,
das beſtehende Verhältniß zu löſen. Löſeten ſie's aber doch —
nun, dann hätten ſie ſich eben nicht glücklich gefühlt. Und das iſt
der einfache und immer wiederkehrende Syllogismus, wenn vom Glücke
der Sclaven die Rede iſt. Laßt es auf ihre Wahl ankommen! —
In der That, Herr General, in dieſen Tagen, da uns zu jeder Stunde
die Nachricht werden kann, das engliſche Parlament hat die Emanci¬
pationsacte erlaſſen, fühlt die Union ein tödtliches Herzklopfen, und
wir ſind aufgeregter als je, unſer Herrenrecht über unſre Sclaven
uns ſelbſt und Andern recht unzerſtörbar einzureden. Als ob das
Gift im Magen durch die Einbildung, es ſei Honig, auch nur eine
Secunde lang in ſeinen tödtlichen Wirkungen inne hielte! Von ganzem
Herzen beglückwünſche ich Mortonhall, daß es dieſen Honigtraum zu
träumen vermag; daß es ihn zu träumen verdient, bezeuge ich dem
edlen Beſitzer deſſelben mit größtem Vergnügen. Aber der ganze übrige
Süden lebt in einem fürchterlichen Wachen! Aus allen Regionen zwi¬
ſchen dem Red-River und Potomac werde ich ſtündlich mit Briefen
überhäuft, in welchen die Sclavenbeglücker mit jenem Angſtſchweiß
*) Welche Gefahr drohte uns, wenn unſre Sclaven uns zu zählen an¬
fingen!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/223>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.