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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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hinunterschluckten. Die Herren mußten ihre amerikanischen Institutionen
gepriesen haben; denn Moorfeld hörte in dem Augenblick, den wir
beschreiben, von Channing's Rede noch Folgendes:

In Einer Hinsicht haben unsre Institutionen uns Alle getäuscht.
Sie haben nicht jene Veredelung des Charakters bewirkt, welche die
köstlichste und in Wahrheit die einzig wesentliche Segnung der Frei¬
heit ist. Unsre Fortschritte des Gedeihens sind in der That ein
Weltwunder geworden, aber dieses Gedeihen hat auch viel dazu
beigetragen, dem veredelnden Einfluß freier Institutionen entgegen¬
zuarbeiten. Besondere Umstände der Zeit und unsrer Lage haben
einen Strom von Wohlstand über uns ausgeschüttet und die mensch¬
liche Natur ist nicht stark genug gewesen, dem Anfalle einer so schwe¬
ren Versuchung zu widerstehen. Tugend ist theurer geworden als
Freiheit. Die Regierung wird mehr als ein Mittel zur Bereicherung
des Landes als zur Sicherung der Einzelnen betrachtet. Wir sind mit
dem Gewinne als mit unserm höchsten Gute eine Ehe eingegangen
und Niemanden darf es wundern, daß aus dieser Ehe die gemeinsten
Leidenschaften entsprossen sind, welche alle bessern moralischen Stützen
unsers Gemeinwesens entfestigen, während selbstische Berechnung,
Neigung nach äußerm Schein, Verschwendung, unruhige, neidische und
niedere Begierden, wilder Schwindelgeist und tolle Speculationswuth
die Stelle dafür einnehmen. In Wahrheit, es geht ein Geist der
Zügellosigkeit und der Verwilderung durch unser Land, der, wenn er
nicht unterdrückt wird, der gegenwärtigen Gestaltung der bürgerlichen
Gesellschaft die Auflösung droht. Selbst in den älteren Staaten der
Puritaner nehmen Pöbelhaufen die Regierung in ihre Hand und eine
verworfene Zeitung findet es leicht, die Menge zur Gewaltthätigkeit
anzureizen. Ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß die über¬
hand nehmenden Beispiele unsrer Volksjustiz, denen nicht das dunkelste
Rechtsgefühl, sondern bloßer Hang zur Ausschweifung zu Grunde liegt,
uns als ein Volk hinstellen, welches von den ersten Grundsätzen der
Freiheit keinen Begriff hat.

Der weiche schwellende Mund, der diese Strafrede gehalten, er¬
quickte sich hierauf mit der besagten Eismelonenschnitte. Die Miliz¬
offiziere dagegen erquickten sich gar nicht. Es war ein eigenthüm¬
liches Schauspiel, unter welchen Gefühlen diese glänzenden Herren in

hinunterſchluckten. Die Herren mußten ihre amerikaniſchen Inſtitutionen
geprieſen haben; denn Moorfeld hörte in dem Augenblick, den wir
beſchreiben, von Channing's Rede noch Folgendes:

In Einer Hinſicht haben unſre Inſtitutionen uns Alle getäuſcht.
Sie haben nicht jene Veredelung des Charakters bewirkt, welche die
köſtlichſte und in Wahrheit die einzig weſentliche Segnung der Frei¬
heit iſt. Unſre Fortſchritte des Gedeihens ſind in der That ein
Weltwunder geworden, aber dieſes Gedeihen hat auch viel dazu
beigetragen, dem veredelnden Einfluß freier Inſtitutionen entgegen¬
zuarbeiten. Beſondere Umſtände der Zeit und unſrer Lage haben
einen Strom von Wohlſtand über uns ausgeſchüttet und die menſch¬
liche Natur iſt nicht ſtark genug geweſen, dem Anfalle einer ſo ſchwe¬
ren Verſuchung zu widerſtehen. Tugend iſt theurer geworden als
Freiheit. Die Regierung wird mehr als ein Mittel zur Bereicherung
des Landes als zur Sicherung der Einzelnen betrachtet. Wir ſind mit
dem Gewinne als mit unſerm höchſten Gute eine Ehe eingegangen
und Niemanden darf es wundern, daß aus dieſer Ehe die gemeinſten
Leidenſchaften entſproſſen ſind, welche alle beſſern moraliſchen Stützen
unſers Gemeinweſens entfeſtigen, während ſelbſtiſche Berechnung,
Neigung nach äußerm Schein, Verſchwendung, unruhige, neidiſche und
niedere Begierden, wilder Schwindelgeiſt und tolle Speculationswuth
die Stelle dafür einnehmen. In Wahrheit, es geht ein Geiſt der
Zügelloſigkeit und der Verwilderung durch unſer Land, der, wenn er
nicht unterdrückt wird, der gegenwärtigen Geſtaltung der bürgerlichen
Geſellſchaft die Auflöſung droht. Selbſt in den älteren Staaten der
Puritaner nehmen Pöbelhaufen die Regierung in ihre Hand und eine
verworfene Zeitung findet es leicht, die Menge zur Gewaltthätigkeit
anzureizen. Ich ſage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß die über¬
hand nehmenden Beiſpiele unſrer Volksjuſtiz, denen nicht das dunkelſte
Rechtsgefühl, ſondern bloßer Hang zur Ausſchweifung zu Grunde liegt,
uns als ein Volk hinſtellen, welches von den erſten Grundſätzen der
Freiheit keinen Begriff hat.

Der weiche ſchwellende Mund, der dieſe Strafrede gehalten, er¬
quickte ſich hierauf mit der beſagten Eismelonenſchnitte. Die Miliz¬
offiziere dagegen erquickten ſich gar nicht. Es war ein eigenthüm¬
liches Schauſpiel, unter welchen Gefühlen dieſe glänzenden Herren in

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[214/0232] hinunterſchluckten. Die Herren mußten ihre amerikaniſchen Inſtitutionen geprieſen haben; denn Moorfeld hörte in dem Augenblick, den wir beſchreiben, von Channing's Rede noch Folgendes: In Einer Hinſicht haben unſre Inſtitutionen uns Alle getäuſcht. Sie haben nicht jene Veredelung des Charakters bewirkt, welche die köſtlichſte und in Wahrheit die einzig weſentliche Segnung der Frei¬ heit iſt. Unſre Fortſchritte des Gedeihens ſind in der That ein Weltwunder geworden, aber dieſes Gedeihen hat auch viel dazu beigetragen, dem veredelnden Einfluß freier Inſtitutionen entgegen¬ zuarbeiten. Beſondere Umſtände der Zeit und unſrer Lage haben einen Strom von Wohlſtand über uns ausgeſchüttet und die menſch¬ liche Natur iſt nicht ſtark genug geweſen, dem Anfalle einer ſo ſchwe¬ ren Verſuchung zu widerſtehen. Tugend iſt theurer geworden als Freiheit. Die Regierung wird mehr als ein Mittel zur Bereicherung des Landes als zur Sicherung der Einzelnen betrachtet. Wir ſind mit dem Gewinne als mit unſerm höchſten Gute eine Ehe eingegangen und Niemanden darf es wundern, daß aus dieſer Ehe die gemeinſten Leidenſchaften entſproſſen ſind, welche alle beſſern moraliſchen Stützen unſers Gemeinweſens entfeſtigen, während ſelbſtiſche Berechnung, Neigung nach äußerm Schein, Verſchwendung, unruhige, neidiſche und niedere Begierden, wilder Schwindelgeiſt und tolle Speculationswuth die Stelle dafür einnehmen. In Wahrheit, es geht ein Geiſt der Zügelloſigkeit und der Verwilderung durch unſer Land, der, wenn er nicht unterdrückt wird, der gegenwärtigen Geſtaltung der bürgerlichen Geſellſchaft die Auflöſung droht. Selbſt in den älteren Staaten der Puritaner nehmen Pöbelhaufen die Regierung in ihre Hand und eine verworfene Zeitung findet es leicht, die Menge zur Gewaltthätigkeit anzureizen. Ich ſage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß die über¬ hand nehmenden Beiſpiele unſrer Volksjuſtiz, denen nicht das dunkelſte Rechtsgefühl, ſondern bloßer Hang zur Ausſchweifung zu Grunde liegt, uns als ein Volk hinſtellen, welches von den erſten Grundſätzen der Freiheit keinen Begriff hat. Der weiche ſchwellende Mund, der dieſe Strafrede gehalten, er¬ quickte ſich hierauf mit der beſagten Eismelonenſchnitte. Die Miliz¬ offiziere dagegen erquickten ſich gar nicht. Es war ein eigenthüm¬ liches Schauſpiel, unter welchen Gefühlen dieſe glänzenden Herren in

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/232>, abgerufen am 24.11.2024.