Naturerscheinung hinlänglich studirt. -- Moorfeld genoß den Triumph, daß die Snobs um ihn her bereits triumphirend und auch Cöleste zweifelnd, wenn nicht enttäuscht blickte. Aber eben das wollte er. Er machte eine kleine "Kunstpause" und fuhr dann mit einem leichten Selbstbelächeln dieser Koketterie fort: Zu glücklich preise ich mich daher, daß mich deßungeachtet das Eismeer mit einem Bilde beschenkt hat, welches mir ewig als der schönste Augenblick meines Lebens vorleuchten wird. Es war in der Baffinsbai. Wir lagen an einem Eisberge vor Anker, rings um uns her große, gewaltige Eismassen, funkelnd und farbenspielend unter den Strah¬ len der Mittagssonne. Das Wetter war ruhig, der Himmel blau und klar. Ein Theil der Mannschaft war ans Land gegangen, um Eier von wilden Seevögeln zu sammeln, welche an den einsamen Felsen und Abgründen der Baffinsbai nisten. Die übrige Schiffsbesatzung, ermüdet von den Anstrengungen des vorhergegangenen Tages, hatte sich der Ruhe in die Arme geworfen. Ich ging allein auf dem Ver¬ decke auf und ab, die ganze Natur um mich her feierte ein tiefes, erhabenes Schweigen. Da bemerkte ich in der offenen See einen un¬ geheuren Eisberg, der in der Mitte durchbrochen war, so daß er eine Art Tunnel bildete. Ich konnte mich nicht erinnern, gehört oder gelesen zu haben, daß ein Reisender in den arktischen Regionen etwas Aehnliches gesehen hätte. Die Neuheit der Sache reizte mich, ich beschloß die Fahrt durch diesen Eistunnel. Bald fand ich auch zwei Matrosen, die bereit waren, mich zu begleiten. Das kleine Boot wurde ausgesetzt, die Entdeckungsreise angetreten. Wir näherten uns dem Koloß und erkannten, daß in der Höhle Wasser genug war, dem Boote die Durchfahrt zu gestatten. So wagten wir denn das Abenteuer. Wir ruderten langsam und schweigend in die Pforten des Eisberges hinein. Es war ein feierlicher Augenblick. Ich durfte mir sagen, daß ich jetzt sah, was kein Mensch vor mir gesehen, und nach mir kaum wieder einen sehen wird. Denken Sie sich einen ungeheuren Bogengang, breit, hoch, kühn gespannt und so regelmäßig gebildet, als ob er vom geschicktesten Baumeister aus¬ geführt wäre, an allen Stellen so glatt und eben, wie es nur der sorgfältigst polirte Alabaster sein kann, denken Sie sich das Ganze als eine halb durchsichtige Masse von der wunderbarsten, schönsten Opal¬ farbe -- kurz einen Broadway aus Krystallglas gegossen, und die
Naturerſcheinung hinlänglich ſtudirt. — Moorfeld genoß den Triumph, daß die Snobs um ihn her bereits triumphirend und auch Cöleſte zweifelnd, wenn nicht enttäuſcht blickte. Aber eben das wollte er. Er machte eine kleine „Kunſtpauſe“ und fuhr dann mit einem leichten Selbſtbelächeln dieſer Koketterie fort: Zu glücklich preiſe ich mich daher, daß mich deßungeachtet das Eismeer mit einem Bilde beſchenkt hat, welches mir ewig als der ſchönſte Augenblick meines Lebens vorleuchten wird. Es war in der Baffinsbai. Wir lagen an einem Eisberge vor Anker, rings um uns her große, gewaltige Eismaſſen, funkelnd und farbenſpielend unter den Strah¬ len der Mittagsſonne. Das Wetter war ruhig, der Himmel blau und klar. Ein Theil der Mannſchaft war ans Land gegangen, um Eier von wilden Seevögeln zu ſammeln, welche an den einſamen Felſen und Abgründen der Baffinsbai niſten. Die übrige Schiffsbeſatzung, ermüdet von den Anſtrengungen des vorhergegangenen Tages, hatte ſich der Ruhe in die Arme geworfen. Ich ging allein auf dem Ver¬ decke auf und ab, die ganze Natur um mich her feierte ein tiefes, erhabenes Schweigen. Da bemerkte ich in der offenen See einen un¬ geheuren Eisberg, der in der Mitte durchbrochen war, ſo daß er eine Art Tunnel bildete. Ich konnte mich nicht erinnern, gehört oder geleſen zu haben, daß ein Reiſender in den arktiſchen Regionen etwas Aehnliches geſehen hätte. Die Neuheit der Sache reizte mich, ich beſchloß die Fahrt durch dieſen Eistunnel. Bald fand ich auch zwei Matroſen, die bereit waren, mich zu begleiten. Das kleine Boot wurde ausgeſetzt, die Entdeckungsreiſe angetreten. Wir näherten uns dem Koloß und erkannten, daß in der Höhle Waſſer genug war, dem Boote die Durchfahrt zu geſtatten. So wagten wir denn das Abenteuer. Wir ruderten langſam und ſchweigend in die Pforten des Eisberges hinein. Es war ein feierlicher Augenblick. Ich durfte mir ſagen, daß ich jetzt ſah, was kein Menſch vor mir geſehen, und nach mir kaum wieder einen ſehen wird. Denken Sie ſich einen ungeheuren Bogengang, breit, hoch, kühn geſpannt und ſo regelmäßig gebildet, als ob er vom geſchickteſten Baumeiſter aus¬ geführt wäre, an allen Stellen ſo glatt und eben, wie es nur der ſorgfältigſt polirte Alabaſter ſein kann, denken Sie ſich das Ganze als eine halb durchſichtige Maſſe von der wunderbarſten, ſchönſten Opal¬ farbe — kurz einen Broadway aus Kryſtallglas gegoſſen, und die
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Naturerſcheinung hinlänglich ſtudirt. — Moorfeld genoß den Triumph,
daß die Snobs um ihn her bereits triumphirend und auch Cöleſte
zweifelnd, wenn nicht enttäuſcht blickte. Aber eben das wollte er.
Er machte eine kleine „Kunſtpauſe“ und fuhr dann mit einem leichten
Selbſtbelächeln dieſer Koketterie fort: Zu glücklich preiſe ich mich daher, daß
mich deßungeachtet das Eismeer mit einem Bilde beſchenkt hat, welches mir
ewig als der ſchönſte Augenblick meines Lebens vorleuchten wird. Es war in
der Baffinsbai. Wir lagen an einem Eisberge vor Anker, rings um uns her
große, gewaltige Eismaſſen, funkelnd und farbenſpielend unter den Strah¬
len der Mittagsſonne. Das Wetter war ruhig, der Himmel blau und
klar. Ein Theil der Mannſchaft war ans Land gegangen, um Eier
von wilden Seevögeln zu ſammeln, welche an den einſamen Felſen
und Abgründen der Baffinsbai niſten. Die übrige Schiffsbeſatzung,
ermüdet von den Anſtrengungen des vorhergegangenen Tages, hatte
ſich der Ruhe in die Arme geworfen. Ich ging allein auf dem Ver¬
decke auf und ab, die ganze Natur um mich her feierte ein tiefes,
erhabenes Schweigen. Da bemerkte ich in der offenen See einen un¬
geheuren Eisberg, der in der Mitte durchbrochen war, ſo daß er eine
Art Tunnel bildete. Ich konnte mich nicht erinnern, gehört oder
geleſen zu haben, daß ein Reiſender in den arktiſchen Regionen etwas
Aehnliches geſehen hätte. Die Neuheit der Sache reizte mich, ich
beſchloß die Fahrt durch dieſen Eistunnel. Bald fand ich auch
zwei Matroſen, die bereit waren, mich zu begleiten. Das kleine
Boot wurde ausgeſetzt, die Entdeckungsreiſe angetreten. Wir näherten
uns dem Koloß und erkannten, daß in der Höhle Waſſer genug war,
dem Boote die Durchfahrt zu geſtatten. So wagten wir denn das
Abenteuer. Wir ruderten langſam und ſchweigend in die Pforten des
Eisberges hinein. Es war ein feierlicher Augenblick. Ich durfte
mir ſagen, daß ich jetzt ſah, was kein Menſch vor mir geſehen,
und nach mir kaum wieder einen ſehen wird. Denken Sie ſich
einen ungeheuren Bogengang, breit, hoch, kühn geſpannt und ſo
regelmäßig gebildet, als ob er vom geſchickteſten Baumeiſter aus¬
geführt wäre, an allen Stellen ſo glatt und eben, wie es nur der
ſorgfältigſt polirte Alabaſter ſein kann, denken Sie ſich das Ganze als
eine halb durchſichtige Maſſe von der wunderbarſten, ſchönſten Opal¬
farbe — kurz einen Broadway aus Kryſtallglas gegoſſen, und die
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/254>, abgerufen am 22.11.2024.
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