selbst errichtet. Es war ein kühler, bläulicher Dämmerschein, zu durchsichtig für die Nacht, zu gedämpft für den Tag, ein weicher Perlenglanz, ein filtrirter Mond, ein klarer, duftig lasirter Mittel¬ schatten, der sich wie Balsam auf das Auge legte. Ein wonnevolles Licht! Es berührte den Sehnerv so geisterhaft, so züchtig, möchte ich sagen, daß sich alle Sinne in Ruhegefühl tauchten, und doch war der Zustand Begeisterung und das ganze Dasein eine selige Aufregung.
Cöleste ließ die langen seidenen Wimpern über ihr schönes Mond¬ auge fallen. Moorfeld hielt inne, als ertrüge er den Verlust dieser dichterischen Quelle nicht, oder besänne sich, wie weit er überhaupt, ohne die Allegorie zu nahe zu legen, von seinem Zauberlichte sprechen dürfte.
Nach einer Pause fuhr er fort: Als wir ungefähr in die Mitte unsers Tunnels vorgedrungen waren, änderte sich auf einmal die Scene. Eine überirdische Helle verbreitete sich in der Grotte. Ver¬ wundert blickten wir auf, und siehe! die ganze Kuppel des Eisgewöl¬ bes entlang regnete es Sonnenstrahlen herein. An Einer Stelle schossen sie in dünnen Goldfäden, an einer andern in breiten Feuer¬ garben nieder, hier fielen sie in stumpfen, dort in spitzen Winkeln, hier direct, dort gebrochen ein -- wir ruderten unter einem Kreuz¬ feuer von prismatischen Raketen. Wo das Licht unmittelbar den Spiegel der Eiswände traf, loderten sie auf wie geschmolzenes Gold und Silber; Parthien, die in Schatten lagen, contrastirten mit einem tiefkräftigen Dunkelblau voll Ernst und Majestät dazwischen, und der Uebergang von der blendendsten Strahlung zum vollsten Schatten be¬ lebte den Bogengang mit einer Scenerie von Schein und Widerschein, von Licht- und Farbenspielen, die sich mit jedem Ruderschlag bilder¬ reich auflöste und bilderreicher zusammensetzte. Wir trieben in einem unermeßlichen Kaleidoskop. Unsre Sinne umspannten die Pracht die¬ ses Schauspieles nicht mehr. Der Sinnenmensch war todt, die Erde verschwand vor mir, ich war ein seliger Geist, die Pforten des Para¬ dieses schienen mir aufgethan. Welch ein verklärender Wechsel! Die Eisgrotte, eben noch ein kühler, dämmeriger Knospenkelch, schlummerte traumblöden Zauberschlaf -- ein Strahl von oben traf sie -- und die Undine hatte ihre Seele empfangen!
Das Auge des Mädchens blitzte auf. Es begegneten sich spre¬ chende Blicke. Eine Pause -- Moorfeld fuhr fort:
ſelbſt errichtet. Es war ein kühler, bläulicher Dämmerſchein, zu durchſichtig für die Nacht, zu gedämpft für den Tag, ein weicher Perlenglanz, ein filtrirter Mond, ein klarer, duftig laſirter Mittel¬ ſchatten, der ſich wie Balſam auf das Auge legte. Ein wonnevolles Licht! Es berührte den Sehnerv ſo geiſterhaft, ſo züchtig, möchte ich ſagen, daß ſich alle Sinne in Ruhegefühl tauchten, und doch war der Zuſtand Begeiſterung und das ganze Daſein eine ſelige Aufregung.
Cöleſte ließ die langen ſeidenen Wimpern über ihr ſchönes Mond¬ auge fallen. Moorfeld hielt inne, als ertrüge er den Verluſt dieſer dichteriſchen Quelle nicht, oder beſänne ſich, wie weit er überhaupt, ohne die Allegorie zu nahe zu legen, von ſeinem Zauberlichte ſprechen dürfte.
Nach einer Pauſe fuhr er fort: Als wir ungefähr in die Mitte unſers Tunnels vorgedrungen waren, änderte ſich auf einmal die Scene. Eine überirdiſche Helle verbreitete ſich in der Grotte. Ver¬ wundert blickten wir auf, und ſiehe! die ganze Kuppel des Eisgewöl¬ bes entlang regnete es Sonnenſtrahlen herein. An Einer Stelle ſchoſſen ſie in dünnen Goldfäden, an einer andern in breiten Feuer¬ garben nieder, hier fielen ſie in ſtumpfen, dort in ſpitzen Winkeln, hier direct, dort gebrochen ein — wir ruderten unter einem Kreuz¬ feuer von prismatiſchen Raketen. Wo das Licht unmittelbar den Spiegel der Eiswände traf, loderten ſie auf wie geſchmolzenes Gold und Silber; Parthien, die in Schatten lagen, contraſtirten mit einem tiefkräftigen Dunkelblau voll Ernſt und Majeſtät dazwiſchen, und der Uebergang von der blendendſten Strahlung zum vollſten Schatten be¬ lebte den Bogengang mit einer Scenerie von Schein und Widerſchein, von Licht- und Farbenſpielen, die ſich mit jedem Ruderſchlag bilder¬ reich auflöste und bilderreicher zuſammenſetzte. Wir trieben in einem unermeßlichen Kaleidoſkop. Unſre Sinne umſpannten die Pracht die¬ ſes Schauſpieles nicht mehr. Der Sinnenmenſch war todt, die Erde verſchwand vor mir, ich war ein ſeliger Geiſt, die Pforten des Para¬ dieſes ſchienen mir aufgethan. Welch ein verklärender Wechſel! Die Eisgrotte, eben noch ein kühler, dämmeriger Knoſpenkelch, ſchlummerte traumblöden Zauberſchlaf — ein Strahl von oben traf ſie — und die Undine hatte ihre Seele empfangen!
Das Auge des Mädchens blitzte auf. Es begegneten ſich ſpre¬ chende Blicke. Eine Pauſe — Moorfeld fuhr fort:
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ſelbſt errichtet. Es war ein kühler, bläulicher Dämmerſchein, zu
durchſichtig für die Nacht, zu gedämpft für den Tag, ein weicher
Perlenglanz, ein filtrirter Mond, ein klarer, duftig laſirter Mittel¬
ſchatten, der ſich wie Balſam auf das Auge legte. Ein wonnevolles
Licht! Es berührte den Sehnerv ſo geiſterhaft, ſo züchtig, möchte
ich ſagen, daß ſich alle Sinne in Ruhegefühl tauchten, und doch war
der Zuſtand Begeiſterung und das ganze Daſein eine ſelige Aufregung.
Cöleſte ließ die langen ſeidenen Wimpern über ihr ſchönes Mond¬
auge fallen. Moorfeld hielt inne, als ertrüge er den Verluſt dieſer
dichteriſchen Quelle nicht, oder beſänne ſich, wie weit er überhaupt, ohne
die Allegorie zu nahe zu legen, von ſeinem Zauberlichte ſprechen dürfte.
Nach einer Pauſe fuhr er fort: Als wir ungefähr in die Mitte
unſers Tunnels vorgedrungen waren, änderte ſich auf einmal die
Scene. Eine überirdiſche Helle verbreitete ſich in der Grotte. Ver¬
wundert blickten wir auf, und ſiehe! die ganze Kuppel des Eisgewöl¬
bes entlang regnete es Sonnenſtrahlen herein. An Einer Stelle
ſchoſſen ſie in dünnen Goldfäden, an einer andern in breiten Feuer¬
garben nieder, hier fielen ſie in ſtumpfen, dort in ſpitzen Winkeln,
hier direct, dort gebrochen ein — wir ruderten unter einem Kreuz¬
feuer von prismatiſchen Raketen. Wo das Licht unmittelbar den
Spiegel der Eiswände traf, loderten ſie auf wie geſchmolzenes Gold
und Silber; Parthien, die in Schatten lagen, contraſtirten mit einem
tiefkräftigen Dunkelblau voll Ernſt und Majeſtät dazwiſchen, und der
Uebergang von der blendendſten Strahlung zum vollſten Schatten be¬
lebte den Bogengang mit einer Scenerie von Schein und Widerſchein,
von Licht- und Farbenſpielen, die ſich mit jedem Ruderſchlag bilder¬
reich auflöste und bilderreicher zuſammenſetzte. Wir trieben in einem
unermeßlichen Kaleidoſkop. Unſre Sinne umſpannten die Pracht die¬
ſes Schauſpieles nicht mehr. Der Sinnenmenſch war todt, die Erde
verſchwand vor mir, ich war ein ſeliger Geiſt, die Pforten des Para¬
dieſes ſchienen mir aufgethan. Welch ein verklärender Wechſel! Die
Eisgrotte, eben noch ein kühler, dämmeriger Knoſpenkelch, ſchlummerte
traumblöden Zauberſchlaf — ein Strahl von oben traf ſie — und
die Undine hatte ihre Seele empfangen!
Das Auge des Mädchens blitzte auf. Es begegneten ſich ſpre¬
chende Blicke. Eine Pauſe — Moorfeld fuhr fort:
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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