liches, viel Abgestandenes in dem blaßblonden Geschlechte Thusnelda's. Man hat in Deutschland, oder überhaupt in der alten Welt, einen Niederschlag des langen geschichtlichen Lebens, welchen man Philisterei nennt, und wovon Amerika gottlob keinen Begriff hat. Ich bin ver¬ legen, Miß, wie ich Ihnen diesen Begriff definiren soll, denn Philisterei ist nicht sowohl ein Uebel, als vielmehr der Inbegriff aller Uebel. Philisterei ist Beschränktheit des Geistes und Herzens. Sie entsteht aus der Pflege des Hergebrachten, aus der Pflege der unveränderlichen Ge¬ wohnheit. Eine solche Pflege entwickelt stark den Detailsinn, Detailsinn aber ist nur bis zu einer gewissen Grenze gut. Innerhalb dieser Grenze macht man seine Sachen sauber, appetitlich, hat viel Empfindung für's Formelle, einen gewissen Kunstsinn, ist in Freundschaft und Liebe ein Bienenkorb voll fleißiger Aufmerksamkeiten. Innerhalb. Drüber hinaus aber wird's schauerlich. Da hat dann der Sinn für's Detail so überhand genommen, daß er höckerhaft auf alle edleren Organe drückt, und Herz, Phantasie, Enthusiasmus, rasche Entschlüsse, kühne Ideen, feurige Hin¬ gebungen, das Alles muß elend zu Grunde gehen. Detailsinn verschlingt in seiner Ueber- und Mißbildung den ganzen Menschen, der Mensch wird kleinlich. Diese Kleinlichkeit ist es, welche Philisterei heißt. Und ich bin leider das Geständniß schuldig: Philister und Philisterinnen sind im Hause der heiligen Germania ein sehr zahlreiches Genre.
Cöleste trat, wie verwundert, einen Schritt zurück. Es war aber nur eine Bewegung gegen den Winkel. Moorfeld's Entgegnung war aufgenommen, wie er ahnte. Er fuhr fort:
Sie selbst nannten zuvor Clärchen, verehrteste Miß. Aber die Spuren der Philisterin entdecken wir auch in ihr. Wie sie ihren aufgeputzten Helden abtätschelt, seinen Sammt und seine Ordenskette anstaunt, das hat mir nie gefallen. Das ist philisterhaft. Das Mäd¬ chen, das ein Bube sein will, um ihrem Auserwählten die Fahne vor¬ zutragen, mußte ihn überhaupt nicht als Ritter vom goldenen Vließ, sie mußte ihn im Reitercollet sehen wollen, das er in der Schlacht von Gravelingen trug. So gefällst du mir am besten! Aber solche Züge zeichnen den Charakter der deutschen Mädchen. Nur daß sie nicht die Brüsseler Bürger haranguiren und Gift nehmen, son¬ dern zu Hause ihre vier Wände haranguiren und den Brakenburg nehmen.
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liches, viel Abgeſtandenes in dem blaßblonden Geſchlechte Thusnelda's. Man hat in Deutſchland, oder überhaupt in der alten Welt, einen Niederſchlag des langen geſchichtlichen Lebens, welchen man Philiſterei nennt, und wovon Amerika gottlob keinen Begriff hat. Ich bin ver¬ legen, Miß, wie ich Ihnen dieſen Begriff definiren ſoll, denn Philiſterei iſt nicht ſowohl ein Uebel, als vielmehr der Inbegriff aller Uebel. Philiſterei iſt Beſchränktheit des Geiſtes und Herzens. Sie entſteht aus der Pflege des Hergebrachten, aus der Pflege der unveränderlichen Ge¬ wohnheit. Eine ſolche Pflege entwickelt ſtark den Detailſinn, Detailſinn aber iſt nur bis zu einer gewiſſen Grenze gut. Innerhalb dieſer Grenze macht man ſeine Sachen ſauber, appetitlich, hat viel Empfindung für's Formelle, einen gewiſſen Kunſtſinn, iſt in Freundſchaft und Liebe ein Bienenkorb voll fleißiger Aufmerkſamkeiten. Innerhalb. Drüber hinaus aber wird's ſchauerlich. Da hat dann der Sinn für's Detail ſo überhand genommen, daß er höckerhaft auf alle edleren Organe drückt, und Herz, Phantaſie, Enthuſiasmus, raſche Entſchlüſſe, kühne Ideen, feurige Hin¬ gebungen, das Alles muß elend zu Grunde gehen. Detailſinn verſchlingt in ſeiner Ueber- und Mißbildung den ganzen Menſchen, der Menſch wird kleinlich. Dieſe Kleinlichkeit iſt es, welche Philiſterei heißt. Und ich bin leider das Geſtändniß ſchuldig: Philiſter und Philiſterinnen ſind im Hauſe der heiligen Germania ein ſehr zahlreiches Genre.
Cöleſte trat, wie verwundert, einen Schritt zurück. Es war aber nur eine Bewegung gegen den Winkel. Moorfeld's Entgegnung war aufgenommen, wie er ahnte. Er fuhr fort:
Sie ſelbſt nannten zuvor Clärchen, verehrteſte Miß. Aber die Spuren der Philiſterin entdecken wir auch in ihr. Wie ſie ihren aufgeputzten Helden abtätſchelt, ſeinen Sammt und ſeine Ordenskette anſtaunt, das hat mir nie gefallen. Das iſt philiſterhaft. Das Mäd¬ chen, das ein Bube ſein will, um ihrem Auserwählten die Fahne vor¬ zutragen, mußte ihn überhaupt nicht als Ritter vom goldenen Vließ, ſie mußte ihn im Reitercollet ſehen wollen, das er in der Schlacht von Gravelingen trug. So gefällſt du mir am beſten! Aber ſolche Züge zeichnen den Charakter der deutſchen Mädchen. Nur daß ſie nicht die Brüſſeler Bürger haranguiren und Gift nehmen, ſon¬ dern zu Hauſe ihre vier Wände haranguiren und den Brakenburg nehmen.
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liches, viel Abgeſtandenes in dem blaßblonden Geſchlechte Thusnelda's.
Man hat in Deutſchland, oder überhaupt in der alten Welt, einen
Niederſchlag des langen geſchichtlichen Lebens, welchen man Philiſterei
nennt, und wovon Amerika gottlob keinen Begriff hat. Ich bin ver¬
legen, Miß, wie ich Ihnen dieſen Begriff definiren ſoll, denn Philiſterei
iſt nicht ſowohl ein Uebel, als vielmehr der Inbegriff aller Uebel.
Philiſterei iſt Beſchränktheit des Geiſtes und Herzens. Sie entſteht
aus der Pflege des Hergebrachten, aus der Pflege der unveränderlichen Ge¬
wohnheit. Eine ſolche Pflege entwickelt ſtark den Detailſinn, Detailſinn
aber iſt nur bis zu einer gewiſſen Grenze gut. Innerhalb dieſer Grenze
macht man ſeine Sachen ſauber, appetitlich, hat viel Empfindung für's
Formelle, einen gewiſſen Kunſtſinn, iſt in Freundſchaft und Liebe ein
Bienenkorb voll fleißiger Aufmerkſamkeiten. Innerhalb. Drüber hinaus
aber wird's ſchauerlich. Da hat dann der Sinn für's Detail ſo überhand
genommen, daß er höckerhaft auf alle edleren Organe drückt, und Herz,
Phantaſie, Enthuſiasmus, raſche Entſchlüſſe, kühne Ideen, feurige Hin¬
gebungen, das Alles muß elend zu Grunde gehen. Detailſinn verſchlingt
in ſeiner Ueber- und Mißbildung den ganzen Menſchen, der Menſch wird
kleinlich. Dieſe Kleinlichkeit iſt es, welche Philiſterei heißt. Und ich bin
leider das Geſtändniß ſchuldig: Philiſter und Philiſterinnen ſind im
Hauſe der heiligen Germania ein ſehr zahlreiches Genre.
Cöleſte trat, wie verwundert, einen Schritt zurück. Es war aber
nur eine Bewegung gegen den Winkel. Moorfeld's Entgegnung war
aufgenommen, wie er ahnte. Er fuhr fort:
Sie ſelbſt nannten zuvor Clärchen, verehrteſte Miß. Aber die
Spuren der Philiſterin entdecken wir auch in ihr. Wie ſie ihren
aufgeputzten Helden abtätſchelt, ſeinen Sammt und ſeine Ordenskette
anſtaunt, das hat mir nie gefallen. Das iſt philiſterhaft. Das Mäd¬
chen, das ein Bube ſein will, um ihrem Auserwählten die Fahne vor¬
zutragen, mußte ihn überhaupt nicht als Ritter vom goldenen Vließ,
ſie mußte ihn im Reitercollet ſehen wollen, das er in der Schlacht
von Gravelingen trug. So gefällſt du mir am beſten! Aber ſolche
Züge zeichnen den Charakter der deutſchen Mädchen. Nur daß ſie
nicht die Brüſſeler Bürger haranguiren und Gift nehmen, ſon¬
dern zu Hauſe ihre vier Wände haranguiren und den Brakenburg
nehmen.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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