erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery. In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche Begleitung -- sei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt, oder daß ihr Haus selbst in der Nähe lag, was das wahrscheinlichste war, denn sie gehörten, wie ich sehen konnte, jener Gesellschaftssphäre an, welche auf der Battery ihre Residenz hat. Diesen Damen kam ein Newsboy entgegen, welcher seine Zeitung ausrief. Der Junge handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und diese rief er eben so unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht. Dicht vor den Mädchen erhob er seine Stimme zu einem obscönen Proclam, daß mir zu Muthe war, eine moralische Pulvermine fliege vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück, noch seitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; sie mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub ihr Gesicht in's battistene Taschentuch, die andere wandte das Köpfchen seitwärts, als wäre sie eben geistesabwesend, die Dritte aber sah ich stille stehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörse zur Hand, winkte, und im nächsten Augenblicke flog das obscöne Portefeuille über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, sagte Moorfeld, indem er seine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ, dieser Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, sich zu stellen, als verstände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, so¬ gar mädchenhafter, aber in jenem Philistersinne, von dem ich zuvor sprach. Es hatte fast etwas Komisches, etwas vom Vogel Strauß, wenn er seinen Kopf in den Sand steckt. Die Dritte fühlte das und trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Modestie heraus, um nach einer größeren zu handeln. Das Unsittliche war freilich in der Welt, das konnte sie nicht hindern; aber sie ließ es nicht vorüber¬ gehen an sich. Der Moment, da es an sie herankam, war auch sein letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verschwand. Das war ästhetisch. Es lag eine so schöne Harmonie in diesem Zuge, -- man nenne ihn scheinlos, wie man will, aber ich schäme mich nicht zu gestehen, ich würde nach diesem Zuge jener Dame für ewig eine ge¬ wisse Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.
Moorfeld schwieg.
erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery. In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche Begleitung — ſei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt, oder daß ihr Haus ſelbſt in der Nähe lag, was das wahrſcheinlichſte war, denn ſie gehörten, wie ich ſehen konnte, jener Geſellſchaftsſphäre an, welche auf der Battery ihre Reſidenz hat. Dieſen Damen kam ein Newsboy entgegen, welcher ſeine Zeitung ausrief. Der Junge handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und dieſe rief er eben ſo unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht. Dicht vor den Mädchen erhob er ſeine Stimme zu einem obſcönen Proclam, daß mir zu Muthe war, eine moraliſche Pulvermine fliege vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück, noch ſeitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; ſie mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub ihr Geſicht in's battiſtene Taſchentuch, die andere wandte das Köpfchen ſeitwärts, als wäre ſie eben geiſtesabweſend, die Dritte aber ſah ich ſtille ſtehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörſe zur Hand, winkte, und im nächſten Augenblicke flog das obſcöne Portefeuille über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, ſagte Moorfeld, indem er ſeine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ, dieſer Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, ſich zu ſtellen, als verſtände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, ſo¬ gar mädchenhafter, aber in jenem Philiſterſinne, von dem ich zuvor ſprach. Es hatte faſt etwas Komiſches, etwas vom Vogel Strauß, wenn er ſeinen Kopf in den Sand ſteckt. Die Dritte fühlte das und trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Modeſtie heraus, um nach einer größeren zu handeln. Das Unſittliche war freilich in der Welt, das konnte ſie nicht hindern; aber ſie ließ es nicht vorüber¬ gehen an ſich. Der Moment, da es an ſie herankam, war auch ſein letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verſchwand. Das war äſthetiſch. Es lag eine ſo ſchöne Harmonie in dieſem Zuge, — man nenne ihn ſcheinlos, wie man will, aber ich ſchäme mich nicht zu geſtehen, ich würde nach dieſem Zuge jener Dame für ewig eine ge¬ wiſſe Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.
Moorfeld ſchwieg.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0264"n="246"/>
erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery.<lb/>
In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten<lb/>
Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche<lb/>
Begleitung —ſei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt,<lb/>
oder daß ihr Haus ſelbſt in der Nähe lag, was das wahrſcheinlichſte<lb/>
war, denn ſie gehörten, wie ich ſehen konnte, jener Geſellſchaftsſphäre<lb/>
an, welche auf der Battery ihre Reſidenz hat. Dieſen Damen kam<lb/>
ein Newsboy entgegen, welcher ſeine Zeitung ausrief. Der Junge<lb/>
handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und dieſe<lb/>
rief er eben ſo unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht.<lb/>
Dicht vor den Mädchen erhob er ſeine Stimme zu einem obſcönen<lb/>
Proclam, daß mir zu Muthe war, eine moraliſche Pulvermine fliege<lb/>
vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück,<lb/>
noch ſeitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; ſie<lb/>
mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub<lb/>
ihr Geſicht in's battiſtene Taſchentuch, die andere wandte das Köpfchen<lb/>ſeitwärts, als wäre ſie eben geiſtesabweſend, die Dritte aber ſah ich<lb/>ſtille ſtehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörſe zur<lb/>
Hand, winkte, und im nächſten Augenblicke flog das obſcöne Portefeuille<lb/>
über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, ſagte Moorfeld, indem<lb/>
er ſeine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ,<lb/>
dieſer Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, ſich zu ſtellen, als<lb/>
verſtände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, ſo¬<lb/>
gar mädchenhafter, aber in jenem Philiſterſinne, von dem ich zuvor<lb/>ſprach. Es hatte faſt etwas Komiſches, etwas vom Vogel Strauß,<lb/>
wenn er ſeinen Kopf in den Sand ſteckt. Die Dritte fühlte das und<lb/>
trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Modeſtie heraus,<lb/>
um nach einer größeren zu handeln. Das Unſittliche war freilich in<lb/>
der Welt, das konnte ſie nicht hindern; aber ſie ließ es nicht vorüber¬<lb/>
gehen an ſich. Der Moment, da es an ſie herankam, war auch ſein<lb/>
letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verſchwand. Das<lb/>
war äſthetiſch. Es lag eine ſo ſchöne Harmonie in dieſem Zuge, —<lb/>
man nenne ihn ſcheinlos, wie man will, aber ich ſchäme mich nicht zu<lb/>
geſtehen, ich würde nach dieſem Zuge jener Dame für ewig eine ge¬<lb/>
wiſſe Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.</p><lb/><p>Moorfeld ſchwieg.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[246/0264]
erzählen. Ich promenirte vor nicht langer Zeit hier auf der Battery.
In einiger Entfernung von mir gingen drei junge Ladies in eleganten
Morgentoiletten die Laubgänge entlang. Sie waren ohne männliche
Begleitung — ſei's, daß ihre Equipage am Eingang des Parks hielt,
oder daß ihr Haus ſelbſt in der Nähe lag, was das wahrſcheinlichſte
war, denn ſie gehörten, wie ich ſehen konnte, jener Geſellſchaftsſphäre
an, welche auf der Battery ihre Reſidenz hat. Dieſen Damen kam
ein Newsboy entgegen, welcher ſeine Zeitung ausrief. Der Junge
handelte aber gleichzeitig noch mit einer andern Literatur und dieſe
rief er eben ſo unverhohlen aus. Ich traute meinem Ohre nicht.
Dicht vor den Mädchen erhob er ſeine Stimme zu einem obſcönen
Proclam, daß mir zu Muthe war, eine moraliſche Pulvermine fliege
vor ihnen auf. Die armen Kinder konnten weder vor, noch zurück,
noch ſeitwärts; der freche Knabe lief ihnen geradezu in den Weg; ſie
mußten hören wohl oder übel. Sie hörten auch. Die Eine begrub
ihr Geſicht in's battiſtene Taſchentuch, die andere wandte das Köpfchen
ſeitwärts, als wäre ſie eben geiſtesabweſend, die Dritte aber ſah ich
ſtille ſtehen. Sie hielt den Jungen an, nahm ihre Perlbörſe zur
Hand, winkte, und im nächſten Augenblicke flog das obſcöne Portefeuille
über den Batterywall ins Meer. Sehen Sie, ſagte Moorfeld, indem
er ſeine Stimme mit einem eigenthümlichen Timbre ausklingen ließ,
dieſer Zug gefiel mir. Den Buben zu ignoriren, ſich zu ſtellen, als
verſtände man ihn überhaupt nicht, war freilich auch mädchenhaft, ſo¬
gar mädchenhafter, aber in jenem Philiſterſinne, von dem ich zuvor
ſprach. Es hatte faſt etwas Komiſches, etwas vom Vogel Strauß,
wenn er ſeinen Kopf in den Sand ſteckt. Die Dritte fühlte das und
trat mit einer edlen Freimüthigkeit aus der kleinlichen Modeſtie heraus,
um nach einer größeren zu handeln. Das Unſittliche war freilich in
der Welt, das konnte ſie nicht hindern; aber ſie ließ es nicht vorüber¬
gehen an ſich. Der Moment, da es an ſie herankam, war auch ſein
letzter. Eine Berührung ihrer reinen Hand und es verſchwand. Das
war äſthetiſch. Es lag eine ſo ſchöne Harmonie in dieſem Zuge, —
man nenne ihn ſcheinlos, wie man will, aber ich ſchäme mich nicht zu
geſtehen, ich würde nach dieſem Zuge jener Dame für ewig eine ge¬
wiſſe Genialität ihrer Weiblichkeit zutrauen.
Moorfeld ſchwieg.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/264>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.