Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.Cöleste stand da in tiefe Purpurglut getaucht. Sie stand da in Die "Cour des Winkels" war jetzt zu Ende. Aber die Snobs Ich steh' auf hohem Berg' allein -- auf einmal blickte Cöleste auf zu ihm. Der Dandy copirte jetzt ganzMoorfeld's Attitüde von zuvor. Er warf sich in ein Air von Be¬ geisterung, welches das Vorgeben durchschimmern ließ, den dichterischen Ausdruck allegorisch zu gebrauchen, er heftete seinen Blick schwärmerisch auf Cölesten und declamirte aus ihrem Auge heraus: Ich steh' auf hohem Berg' allein In meinem Schmerz und denke dein; Ein Brünnlein rinnt zu meinem Fuß Und lispelt leis: ich muß, ich muß In's grüne Thal hinab von hier, Dort grüß' ich heimlich sie von dir! O Brünnlein, Brünnlein hell und klar Gleichst meinen Thränen ganz und gar: Es weint der Berg dich stumm und still Weil noch sein Lenz nicht kommen will; O riesle, riesle fort in's Thal Und sag' ihr das viel tausendmal. Cöleſte ſtand da in tiefe Purpurglut getaucht. Sie ſtand da in Die „Cour des Winkels” war jetzt zu Ende. Aber die Snobs Ich ſteh' auf hohem Berg' allein — auf einmal blickte Cöleſte auf zu ihm. Der Dandy copirte jetzt ganzMoorfeld's Attitüde von zuvor. Er warf ſich in ein Air von Be¬ geiſterung, welches das Vorgeben durchſchimmern ließ, den dichteriſchen Ausdruck allegoriſch zu gebrauchen, er heftete ſeinen Blick ſchwärmeriſch auf Cöleſten und declamirte aus ihrem Auge heraus: Ich ſteh' auf hohem Berg' allein In meinem Schmerz und denke dein; Ein Brünnlein rinnt zu meinem Fuß Und lispelt leis: ich muß, ich muß In's grüne Thal hinab von hier, Dort grüß' ich heimlich ſie von dir! O Brünnlein, Brünnlein hell und klar Gleichſt meinen Thränen ganz und gar: Es weint der Berg dich ſtumm und ſtill Weil noch ſein Lenz nicht kommen will; O riesle, riesle fort in's Thal Und ſag' ihr das viel tauſendmal. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0265" n="247"/> <p>Cöleſte ſtand da in tiefe Purpurglut getaucht. Sie ſtand da in<lb/> einem Momente ihrer höchſten Mädchen-Schönheit. Freude, Scham,<lb/> Stolz, der tiefſte Kern ihres weiblichen Bewußtſeins geſchmeichelt, wie<lb/> es die Galanterie der Alltäglichkeit auch bei geräuſchvollerer Oſtentation<lb/> nimmermehr in ihren Mitteln hat — der ganze Nimbus ihres Ge¬<lb/> ſchlechtes umſpielte das reizende Mädchen. Sie wagte nicht zu Moor¬<lb/> feld das Auge zu erheben. Er hatte ſie erkannt — der Ton ſeiner<lb/> Stimme, der ganze Accent ſeines Vortrages verrieth ihr's. Und wenn<lb/> ſie jetzt den letzten Schritt nach dem Winkel zurückthat, ſo geſchah es<lb/> kaum noch im conventionellen Sinne, — es war der natürliche Aus¬<lb/> druck des Augenblicks; ſie bebte zurück wie eine Venus verſchämt vor<lb/> ihrer eigenen Schönheit flüchtet.</p><lb/> <p>Die „Cour des Winkels” war jetzt zu Ende. Aber die Snobs<lb/> waren wüthend. Mr. Howland ſann auf eine neue Tücke, ſeinem<lb/> Nebenbuhler beizukommen. Und iſolirt wie er ſich ſah, fing er zu decla¬<lb/> miren an:<lb/><lg type="poem"><l>Ich ſteh' auf hohem Berg' allein —</l></lg><lb/> auf einmal blickte Cöleſte auf zu ihm. Der Dandy copirte jetzt ganz<lb/> Moorfeld's Attitüde von zuvor. Er warf ſich in ein Air von Be¬<lb/> geiſterung, welches das Vorgeben durchſchimmern ließ, den dichteriſchen<lb/> Ausdruck allegoriſch zu gebrauchen, er heftete ſeinen Blick ſchwärmeriſch<lb/> auf Cöleſten und declamirte aus ihrem Auge heraus:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Ich ſteh' auf hohem Berg' allein</l><lb/> <l>In meinem Schmerz und denke dein;</l><lb/> <l>Ein Brünnlein rinnt zu meinem Fuß</l><lb/> <l>Und lispelt leis: ich muß, ich muß</l><lb/> <l>In's grüne Thal hinab von hier,</l><lb/> <l>Dort grüß' ich heimlich ſie von dir!</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>O Brünnlein, Brünnlein hell und klar</l><lb/> <l>Gleichſt meinen Thränen ganz und gar:</l><lb/> <l>Es weint der Berg dich ſtumm und ſtill</l><lb/> <l>Weil noch ſein Lenz nicht kommen will;</l><lb/> <l>O riesle, riesle fort in's Thal</l><lb/> <l>Und ſag' ihr das viel tauſendmal.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0265]
Cöleſte ſtand da in tiefe Purpurglut getaucht. Sie ſtand da in
einem Momente ihrer höchſten Mädchen-Schönheit. Freude, Scham,
Stolz, der tiefſte Kern ihres weiblichen Bewußtſeins geſchmeichelt, wie
es die Galanterie der Alltäglichkeit auch bei geräuſchvollerer Oſtentation
nimmermehr in ihren Mitteln hat — der ganze Nimbus ihres Ge¬
ſchlechtes umſpielte das reizende Mädchen. Sie wagte nicht zu Moor¬
feld das Auge zu erheben. Er hatte ſie erkannt — der Ton ſeiner
Stimme, der ganze Accent ſeines Vortrages verrieth ihr's. Und wenn
ſie jetzt den letzten Schritt nach dem Winkel zurückthat, ſo geſchah es
kaum noch im conventionellen Sinne, — es war der natürliche Aus¬
druck des Augenblicks; ſie bebte zurück wie eine Venus verſchämt vor
ihrer eigenen Schönheit flüchtet.
Die „Cour des Winkels” war jetzt zu Ende. Aber die Snobs
waren wüthend. Mr. Howland ſann auf eine neue Tücke, ſeinem
Nebenbuhler beizukommen. Und iſolirt wie er ſich ſah, fing er zu decla¬
miren an:
Ich ſteh' auf hohem Berg' allein —
auf einmal blickte Cöleſte auf zu ihm. Der Dandy copirte jetzt ganz
Moorfeld's Attitüde von zuvor. Er warf ſich in ein Air von Be¬
geiſterung, welches das Vorgeben durchſchimmern ließ, den dichteriſchen
Ausdruck allegoriſch zu gebrauchen, er heftete ſeinen Blick ſchwärmeriſch
auf Cöleſten und declamirte aus ihrem Auge heraus:
Ich ſteh' auf hohem Berg' allein
In meinem Schmerz und denke dein;
Ein Brünnlein rinnt zu meinem Fuß
Und lispelt leis: ich muß, ich muß
In's grüne Thal hinab von hier,
Dort grüß' ich heimlich ſie von dir!
O Brünnlein, Brünnlein hell und klar
Gleichſt meinen Thränen ganz und gar:
Es weint der Berg dich ſtumm und ſtill
Weil noch ſein Lenz nicht kommen will;
O riesle, riesle fort in's Thal
Und ſag' ihr das viel tauſendmal.
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