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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Das Gedicht heißt "Des Schäfers Botschaft" wandte er sich gegen
Moorfeld, -- wie gefällt es Ihnen, Herr Doctor?

Ich begreife zunächst nicht, wie es hieher gehört, antwortete Moor¬
feld, erzürnt über die forcirte Störung.

Mit Erlaubniß, Sir, ein gutes Gedicht gehört überall hin.

Ein gutes!

Wie, Sir, ist das Gedicht schlecht?

Ganz außerordentlich, Sir.

Hätte Moorfeld bei seiner eigenen inneren Fülle jetzt einen Blick
haben können für den versteckten Geist dieses Augenblicks, so hätte
es ihm auffallen müssen, daß sich eine eigenthümliche Verlegenheit in
Cölestens Antlitz malte, während Mr. Howland mit einer faunischen
Schadenfreude sich die Lippen biß.

Ihre Gründe, Sir! Ihre Gründe! rief der Snob mit einem un¬
gewöhnlichen Eifer.

Gründe! sagte Moorfeld wegwerfend, mein Gott, ja! sie sind
wohlfeiler als Brombeeren hier.

Nun, Sir?

Moorfeld antwortete mit einer Gelassenheit, die nur die Bändigung
seiner inneren Aufregung war:

Betrachten wir, um einer amerikanischen Anschauungsweise entgegen¬
zukommen, das Gedicht zunächst nur unter der Kategorie der Zweck¬
mäßigkeit. Das Gedicht ist eine Adresse. Es adressirt sich an die Ge¬
liebte. Wie, denken Sie sich nun, erreicht diese Adresse ihren Zweck?
Der Kern des Gedichtes ist der Vergleich eines weinenden Liebhabers
mit einem weinenden Berg. Ein Liebhaber und ein Berg! Der Dich¬
ter hat auch nicht den leisesten poetischen Instinct für die Neben¬
begriffe eines Bildes, sonst würde er sich nicht selbst zum Fallstaff
machen. Er thut es aber, und so ist der Zweck seiner Adresse verfehlt.
Die Schäferin soll doch nicht einen Fallstaff lieben? Dies der Neben¬
begriff des Bildes; nun aber das Bild selbst. Ist das Quellrieseln
eines Berges ein zweckmäßiges Bild für das Weinen eines Liebhabers?
Warum soll der Berg weinen? "Weil noch sein Lenz nicht kommen
will"? Aber der Berg hat seit tausend und mehr Jahren die Erfah¬
rung gemacht, daß der Lenz regelmäßig kommt. Weinen denn wir,
wenn einmal ein Frühling schlecht geräth? Und der Berg hat ungleich

Das Gedicht heißt „Des Schäfers Botſchaft“ wandte er ſich gegen
Moorfeld, — wie gefällt es Ihnen, Herr Doctor?

Ich begreife zunächſt nicht, wie es hieher gehört, antwortete Moor¬
feld, erzürnt über die forcirte Störung.

Mit Erlaubniß, Sir, ein gutes Gedicht gehört überall hin.

Ein gutes!

Wie, Sir, iſt das Gedicht ſchlecht?

Ganz außerordentlich, Sir.

Hätte Moorfeld bei ſeiner eigenen inneren Fülle jetzt einen Blick
haben können für den verſteckten Geiſt dieſes Augenblicks, ſo hätte
es ihm auffallen müſſen, daß ſich eine eigenthümliche Verlegenheit in
Cöleſtens Antlitz malte, während Mr. Howland mit einer fauniſchen
Schadenfreude ſich die Lippen biß.

Ihre Gründe, Sir! Ihre Gründe! rief der Snob mit einem un¬
gewöhnlichen Eifer.

Gründe! ſagte Moorfeld wegwerfend, mein Gott, ja! ſie ſind
wohlfeiler als Brombeeren hier.

Nun, Sir?

Moorfeld antwortete mit einer Gelaſſenheit, die nur die Bändigung
ſeiner inneren Aufregung war:

Betrachten wir, um einer amerikaniſchen Anſchauungsweiſe entgegen¬
zukommen, das Gedicht zunächſt nur unter der Kategorie der Zweck¬
mäßigkeit. Das Gedicht iſt eine Adreſſe. Es adreſſirt ſich an die Ge¬
liebte. Wie, denken Sie ſich nun, erreicht dieſe Adreſſe ihren Zweck?
Der Kern des Gedichtes iſt der Vergleich eines weinenden Liebhabers
mit einem weinenden Berg. Ein Liebhaber und ein Berg! Der Dich¬
ter hat auch nicht den leiſeſten poetiſchen Inſtinct für die Neben¬
begriffe eines Bildes, ſonſt würde er ſich nicht ſelbſt zum Fallſtaff
machen. Er thut es aber, und ſo iſt der Zweck ſeiner Adreſſe verfehlt.
Die Schäferin ſoll doch nicht einen Fallſtaff lieben? Dies der Neben¬
begriff des Bildes; nun aber das Bild ſelbſt. Iſt das Quellrieſeln
eines Berges ein zweckmäßiges Bild für das Weinen eines Liebhabers?
Warum ſoll der Berg weinen? „Weil noch ſein Lenz nicht kommen
will“? Aber der Berg hat ſeit tauſend und mehr Jahren die Erfah¬
rung gemacht, daß der Lenz regelmäßig kommt. Weinen denn wir,
wenn einmal ein Frühling ſchlecht geräth? Und der Berg hat ungleich

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[248/0266] Das Gedicht heißt „Des Schäfers Botſchaft“ wandte er ſich gegen Moorfeld, — wie gefällt es Ihnen, Herr Doctor? Ich begreife zunächſt nicht, wie es hieher gehört, antwortete Moor¬ feld, erzürnt über die forcirte Störung. Mit Erlaubniß, Sir, ein gutes Gedicht gehört überall hin. Ein gutes! Wie, Sir, iſt das Gedicht ſchlecht? Ganz außerordentlich, Sir. Hätte Moorfeld bei ſeiner eigenen inneren Fülle jetzt einen Blick haben können für den verſteckten Geiſt dieſes Augenblicks, ſo hätte es ihm auffallen müſſen, daß ſich eine eigenthümliche Verlegenheit in Cöleſtens Antlitz malte, während Mr. Howland mit einer fauniſchen Schadenfreude ſich die Lippen biß. Ihre Gründe, Sir! Ihre Gründe! rief der Snob mit einem un¬ gewöhnlichen Eifer. Gründe! ſagte Moorfeld wegwerfend, mein Gott, ja! ſie ſind wohlfeiler als Brombeeren hier. Nun, Sir? Moorfeld antwortete mit einer Gelaſſenheit, die nur die Bändigung ſeiner inneren Aufregung war: Betrachten wir, um einer amerikaniſchen Anſchauungsweiſe entgegen¬ zukommen, das Gedicht zunächſt nur unter der Kategorie der Zweck¬ mäßigkeit. Das Gedicht iſt eine Adreſſe. Es adreſſirt ſich an die Ge¬ liebte. Wie, denken Sie ſich nun, erreicht dieſe Adreſſe ihren Zweck? Der Kern des Gedichtes iſt der Vergleich eines weinenden Liebhabers mit einem weinenden Berg. Ein Liebhaber und ein Berg! Der Dich¬ ter hat auch nicht den leiſeſten poetiſchen Inſtinct für die Neben¬ begriffe eines Bildes, ſonſt würde er ſich nicht ſelbſt zum Fallſtaff machen. Er thut es aber, und ſo iſt der Zweck ſeiner Adreſſe verfehlt. Die Schäferin ſoll doch nicht einen Fallſtaff lieben? Dies der Neben¬ begriff des Bildes; nun aber das Bild ſelbſt. Iſt das Quellrieſeln eines Berges ein zweckmäßiges Bild für das Weinen eines Liebhabers? Warum ſoll der Berg weinen? „Weil noch ſein Lenz nicht kommen will“? Aber der Berg hat ſeit tauſend und mehr Jahren die Erfah¬ rung gemacht, daß der Lenz regelmäßig kommt. Weinen denn wir, wenn einmal ein Frühling ſchlecht geräth? Und der Berg hat ungleich

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/266>, abgerufen am 22.11.2024.