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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mehr Zeit zu versäumen. Sie merken also, der Gedanke des Gedichts
ist Unsinn. Und dieser Unsinn soll der Geliebten viel tausendmal
gesagt werden! Ich danke schön. Es liegt auf der Hand, warum
der Dichter ungeliebt ist. Das Mädchen will von dem langweiligen
Kauz nichts wissen. Er kann lange singen! Er wird keinen Eindruck
machen. Er singt -- ich wiederhole es, um Sie mit allen höheren
Distinctionen zu verschonen -- er singt nicht zweckmäßig.

Howland hatte Mühe, den wilden Freudenglanz seines Auges zu
verbergen. Cöleste sagte schüchtern, fast bittend: Es ist ja nur erotische
Poesie!

Moorfeld glaubte, das Mädchen stehe für Howland ein, und wolle
ihm mit weiblichem Tacte aus der Klemme helfen. Aber selbst wenn
er dem Gegner diese Gunst hätte gönnen wollen -- und es wäre in
in diesem Augenblicke nicht gemeine Selbstverleugnung gewesen -- er
durfte die Interessen der Poesie nicht preisgeben. Er freute sich viel¬
mehr, daß Cöleste selbst an dem Stoffe theilnahm; es gab ihm Ge¬
legenheit, sich mit jener Wärme des Moments zu äußern, die er vor
dem Andern nur mühsam zurückdrängte.

Voll Eifer antwortete er: Warum, theuerste Miß, soll erotische Poesie
zur Trivialität verdammt sein? Doch nicht, weil sie den Frauen ge¬
weiht ist? Aber in der That, das ist die Ursache. Die erotischen Dichter
begehen alle Einen Fehler. Sie glauben die Geliebte nicht genug
feiern zu können und vergessen sich selbst. Sie raffiniren auf den for¬
cirtesten Ausdruck der Liebe, der Zärtlichkeit, der Ergebenheit, sie
leisten das Möglichste und Unmöglichste, um Herz zu zeigen, und thun
nichts, um Charakter zu zeigen. Das ist das Grundübel. Sie opfern
Alle das männliche Element dem weiblichen. So geschieht's, daß keine
Kunstgattung mehr Witz aufbraucht, ihre Ausdrucksmittel stets zu er¬
neuern und zu verstärken, und keine rettungsloser der einen und ewi¬
gen Ohnmacht verfehmt ist, als die erotische Poesie.

Eine paradoxe Forderung: den Frauen zu huldigen und sich selbst
dabei zu bedenken, warf Howland ein.

Als ob den Frauen gedient wäre mit Männern ohne Selbstgefühl!
antwortete Moorfeld. Der erotische Dichter gewöhnlichen Schlags
scheint es aber fast zu glauben. Er plagt sich auf's Ausgesuchteste,
die Leidenschaft zu malen, und vergißt darüber, die Kraft anzu¬

mehr Zeit zu verſäumen. Sie merken alſo, der Gedanke des Gedichts
iſt Unſinn. Und dieſer Unſinn ſoll der Geliebten viel tauſendmal
geſagt werden! Ich danke ſchön. Es liegt auf der Hand, warum
der Dichter ungeliebt iſt. Das Mädchen will von dem langweiligen
Kauz nichts wiſſen. Er kann lange ſingen! Er wird keinen Eindruck
machen. Er ſingt — ich wiederhole es, um Sie mit allen höheren
Diſtinctionen zu verſchonen — er ſingt nicht zweckmäßig.

Howland hatte Mühe, den wilden Freudenglanz ſeines Auges zu
verbergen. Cöleſte ſagte ſchüchtern, faſt bittend: Es iſt ja nur erotiſche
Poeſie!

Moorfeld glaubte, das Mädchen ſtehe für Howland ein, und wolle
ihm mit weiblichem Tacte aus der Klemme helfen. Aber ſelbſt wenn
er dem Gegner dieſe Gunſt hätte gönnen wollen — und es wäre in
in dieſem Augenblicke nicht gemeine Selbſtverleugnung geweſen — er
durfte die Intereſſen der Poeſie nicht preisgeben. Er freute ſich viel¬
mehr, daß Cöleſte ſelbſt an dem Stoffe theilnahm; es gab ihm Ge¬
legenheit, ſich mit jener Wärme des Moments zu äußern, die er vor
dem Andern nur mühſam zurückdrängte.

Voll Eifer antwortete er: Warum, theuerſte Miß, ſoll erotiſche Poeſie
zur Trivialität verdammt ſein? Doch nicht, weil ſie den Frauen ge¬
weiht iſt? Aber in der That, das iſt die Urſache. Die erotiſchen Dichter
begehen alle Einen Fehler. Sie glauben die Geliebte nicht genug
feiern zu können und vergeſſen ſich ſelbſt. Sie raffiniren auf den for¬
cirteſten Ausdruck der Liebe, der Zärtlichkeit, der Ergebenheit, ſie
leiſten das Möglichſte und Unmöglichſte, um Herz zu zeigen, und thun
nichts, um Charakter zu zeigen. Das iſt das Grundübel. Sie opfern
Alle das männliche Element dem weiblichen. So geſchieht's, daß keine
Kunſtgattung mehr Witz aufbraucht, ihre Ausdrucksmittel ſtets zu er¬
neuern und zu verſtärken, und keine rettungsloſer der einen und ewi¬
gen Ohnmacht verfehmt iſt, als die erotiſche Poeſie.

Eine paradoxe Forderung: den Frauen zu huldigen und ſich ſelbſt
dabei zu bedenken, warf Howland ein.

Als ob den Frauen gedient wäre mit Männern ohne Selbſtgefühl!
antwortete Moorfeld. Der erotiſche Dichter gewöhnlichen Schlags
ſcheint es aber faſt zu glauben. Er plagt ſich auf's Ausgeſuchteſte,
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[249/0267] mehr Zeit zu verſäumen. Sie merken alſo, der Gedanke des Gedichts iſt Unſinn. Und dieſer Unſinn ſoll der Geliebten viel tauſendmal geſagt werden! Ich danke ſchön. Es liegt auf der Hand, warum der Dichter ungeliebt iſt. Das Mädchen will von dem langweiligen Kauz nichts wiſſen. Er kann lange ſingen! Er wird keinen Eindruck machen. Er ſingt — ich wiederhole es, um Sie mit allen höheren Diſtinctionen zu verſchonen — er ſingt nicht zweckmäßig. Howland hatte Mühe, den wilden Freudenglanz ſeines Auges zu verbergen. Cöleſte ſagte ſchüchtern, faſt bittend: Es iſt ja nur erotiſche Poeſie! Moorfeld glaubte, das Mädchen ſtehe für Howland ein, und wolle ihm mit weiblichem Tacte aus der Klemme helfen. Aber ſelbſt wenn er dem Gegner dieſe Gunſt hätte gönnen wollen — und es wäre in in dieſem Augenblicke nicht gemeine Selbſtverleugnung geweſen — er durfte die Intereſſen der Poeſie nicht preisgeben. Er freute ſich viel¬ mehr, daß Cöleſte ſelbſt an dem Stoffe theilnahm; es gab ihm Ge¬ legenheit, ſich mit jener Wärme des Moments zu äußern, die er vor dem Andern nur mühſam zurückdrängte. Voll Eifer antwortete er: Warum, theuerſte Miß, ſoll erotiſche Poeſie zur Trivialität verdammt ſein? Doch nicht, weil ſie den Frauen ge¬ weiht iſt? Aber in der That, das iſt die Urſache. Die erotiſchen Dichter begehen alle Einen Fehler. Sie glauben die Geliebte nicht genug feiern zu können und vergeſſen ſich ſelbſt. Sie raffiniren auf den for¬ cirteſten Ausdruck der Liebe, der Zärtlichkeit, der Ergebenheit, ſie leiſten das Möglichſte und Unmöglichſte, um Herz zu zeigen, und thun nichts, um Charakter zu zeigen. Das iſt das Grundübel. Sie opfern Alle das männliche Element dem weiblichen. So geſchieht's, daß keine Kunſtgattung mehr Witz aufbraucht, ihre Ausdrucksmittel ſtets zu er¬ neuern und zu verſtärken, und keine rettungsloſer der einen und ewi¬ gen Ohnmacht verfehmt iſt, als die erotiſche Poeſie. Eine paradoxe Forderung: den Frauen zu huldigen und ſich ſelbſt dabei zu bedenken, warf Howland ein. Als ob den Frauen gedient wäre mit Männern ohne Selbſtgefühl! antwortete Moorfeld. Der erotiſche Dichter gewöhnlichen Schlags ſcheint es aber faſt zu glauben. Er plagt ſich auf's Ausgeſuchteſte, die Leidenſchaft zu malen, und vergißt darüber, die Kraft anzu¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/267>, abgerufen am 22.11.2024.