Sie erweckte ihm die Vorstellung, daß sie als Hausfrau in einer großen Stadt an dem verfehltesten und unglücklichsten Platz ihres Lebens stehe. Der ganze Himmel Newyorks, dachte er, müßte über ihrem Haupte voll Damocles-Schwertern hängen. Ahnungen treiben oft mehr, als Ueberzeugungen, und Moorfeld fühlte sich getrieben, das Loos Paulinens wie einer Schwester zu bedenken. Dies scheue, schüch¬ terne Mädchenleben dem gefräßigen Egoismus der Welt zu entrücken, schwebte ihm bald als ein natürlicher Beruf seiner Ansiedlung vor. "Jungfräulicher Boden", wie es der Sprachgebrauch nennt, war allein der Boden ihres Gedeihens. Ganz von selbst verband sich ihr Bild mit dem Bilde einer stilldämmerigen Urwaldsbucht. Schien sie doch gleichsam ein verkörperter Waldschatten! --
So reiste denn Moorfeld. Er sieht jetzt Amerika außer Newyork. Vom Hudson an dem Ohio zieht er eine neue Linie Landes- und Volksschau in das Buch, das ihm Newyork aufgethan. Aber es wird uns nicht überraschen, wenn Ton und Stimmung auch in dieser Reihe von Bildern wenig erfreulich sein sollte. Er tritt aus dem Hause Bennet's in der glücklichsten Herzenswärme, die den jungen, lebhaft fühlenden Mann ergreifen kann. Aber dieser Aufschwung kommt nicht seiner Reise zu Gute. Nach der Natur der menschlichen Seele dürfen wir vielmehr das Gegentheil annehmen. Der Kontrast ist groß; die Wirklichkeit, die vor dem Musen- und Grazien-Tempel auf der Bat¬ tery lagert, wird dem Heraustretenden mit ihren schärfsten, nüchternsten Lichtern in's Auge fallen. Ihre Kälte wird kalt, ihre Häßlichkeit häßlich sein; er wird das Gemeine schneidender als je empfinden. Mit dieser Voraussicht wird es räthlich sein, Moorfeld's Reisetagebuch auf¬ zuschlagen. Die rosigen Zukunftsträume, welche die Katastrophe von Bennet's Rout in seiner Seele entzündet, dürfen wir nicht darin suchen; -- sie bilden die duftige Fernsicht seiner inneren Landschaft. Was wir im Vordergründe sehen, wird so schroff, hart, trocken ge¬ färbt sein, wie es leibt und lebt, und wie ein leidenschaftlich bewegtes Gemüth, dessen Abstoßungskraft wahrhaftig nicht gebrochen ist, bald satyrisch, bald ironisch, bald tragisch, stets aber mit der ganzen Fülle des unmittelbaren Eindrucks es auffaßt.
Darum zogen wir's auch vor, unsern Helden seinen Reiseerleb¬ nissen gegenüber sich selbst vertreten zu lassen, indem wir sein Tagebuch
Sie erweckte ihm die Vorſtellung, daß ſie als Hausfrau in einer großen Stadt an dem verfehlteſten und unglücklichſten Platz ihres Lebens ſtehe. Der ganze Himmel Newyorks, dachte er, müßte über ihrem Haupte voll Damocles-Schwertern hängen. Ahnungen treiben oft mehr, als Ueberzeugungen, und Moorfeld fühlte ſich getrieben, das Loos Paulinens wie einer Schweſter zu bedenken. Dies ſcheue, ſchüch¬ terne Mädchenleben dem gefräßigen Egoismus der Welt zu entrücken, ſchwebte ihm bald als ein natürlicher Beruf ſeiner Anſiedlung vor. „Jungfräulicher Boden”, wie es der Sprachgebrauch nennt, war allein der Boden ihres Gedeihens. Ganz von ſelbſt verband ſich ihr Bild mit dem Bilde einer ſtilldämmerigen Urwaldsbucht. Schien ſie doch gleichſam ein verkörperter Waldſchatten! —
So reiſte denn Moorfeld. Er ſieht jetzt Amerika außer Newyork. Vom Hudſon an dem Ohio zieht er eine neue Linie Landes- und Volksſchau in das Buch, das ihm Newyork aufgethan. Aber es wird uns nicht überraſchen, wenn Ton und Stimmung auch in dieſer Reihe von Bildern wenig erfreulich ſein ſollte. Er tritt aus dem Hauſe Bennet's in der glücklichſten Herzenswärme, die den jungen, lebhaft fühlenden Mann ergreifen kann. Aber dieſer Aufſchwung kommt nicht ſeiner Reiſe zu Gute. Nach der Natur der menſchlichen Seele dürfen wir vielmehr das Gegentheil annehmen. Der Kontraſt iſt groß; die Wirklichkeit, die vor dem Muſen- und Grazien-Tempel auf der Bat¬ tery lagert, wird dem Heraustretenden mit ihren ſchärfſten, nüchternſten Lichtern in's Auge fallen. Ihre Kälte wird kalt, ihre Häßlichkeit häßlich ſein; er wird das Gemeine ſchneidender als je empfinden. Mit dieſer Vorausſicht wird es räthlich ſein, Moorfeld's Reiſetagebuch auf¬ zuſchlagen. Die roſigen Zukunftsträume, welche die Kataſtrophe von Bennet's Rout in ſeiner Seele entzündet, dürfen wir nicht darin ſuchen; — ſie bilden die duftige Fernſicht ſeiner inneren Landſchaft. Was wir im Vordergründe ſehen, wird ſo ſchroff, hart, trocken ge¬ färbt ſein, wie es leibt und lebt, und wie ein leidenſchaftlich bewegtes Gemüth, deſſen Abſtoßungskraft wahrhaftig nicht gebrochen iſt, bald ſatyriſch, bald ironiſch, bald tragiſch, ſtets aber mit der ganzen Fülle des unmittelbaren Eindrucks es auffaßt.
Darum zogen wir's auch vor, unſern Helden ſeinen Reiſeerleb¬ niſſen gegenüber ſich ſelbſt vertreten zu laſſen, indem wir ſein Tagebuch
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Sie erweckte ihm die Vorſtellung, daß ſie als Hausfrau in einer
großen Stadt an dem verfehlteſten und unglücklichſten Platz ihres
Lebens ſtehe. Der ganze Himmel Newyorks, dachte er, müßte über
ihrem Haupte voll Damocles-Schwertern hängen. Ahnungen treiben
oft mehr, als Ueberzeugungen, und Moorfeld fühlte ſich getrieben, das
Loos Paulinens wie einer Schweſter zu bedenken. Dies ſcheue, ſchüch¬
terne Mädchenleben dem gefräßigen Egoismus der Welt zu entrücken,
ſchwebte ihm bald als ein natürlicher Beruf ſeiner Anſiedlung vor.
„Jungfräulicher Boden”, wie es der Sprachgebrauch nennt, war allein
der Boden ihres Gedeihens. Ganz von ſelbſt verband ſich ihr Bild
mit dem Bilde einer ſtilldämmerigen Urwaldsbucht. Schien ſie doch
gleichſam ein verkörperter Waldſchatten! —
So reiſte denn Moorfeld. Er ſieht jetzt Amerika außer Newyork.
Vom Hudſon an dem Ohio zieht er eine neue Linie Landes- und
Volksſchau in das Buch, das ihm Newyork aufgethan. Aber es wird
uns nicht überraſchen, wenn Ton und Stimmung auch in dieſer Reihe
von Bildern wenig erfreulich ſein ſollte. Er tritt aus dem Hauſe
Bennet's in der glücklichſten Herzenswärme, die den jungen, lebhaft
fühlenden Mann ergreifen kann. Aber dieſer Aufſchwung kommt nicht
ſeiner Reiſe zu Gute. Nach der Natur der menſchlichen Seele dürfen
wir vielmehr das Gegentheil annehmen. Der Kontraſt iſt groß; die
Wirklichkeit, die vor dem Muſen- und Grazien-Tempel auf der Bat¬
tery lagert, wird dem Heraustretenden mit ihren ſchärfſten, nüchternſten
Lichtern in's Auge fallen. Ihre Kälte wird kalt, ihre Häßlichkeit
häßlich ſein; er wird das Gemeine ſchneidender als je empfinden. Mit
dieſer Vorausſicht wird es räthlich ſein, Moorfeld's Reiſetagebuch auf¬
zuſchlagen. Die roſigen Zukunftsträume, welche die Kataſtrophe von
Bennet's Rout in ſeiner Seele entzündet, dürfen wir nicht darin
ſuchen; — ſie bilden die duftige Fernſicht ſeiner inneren Landſchaft.
Was wir im Vordergründe ſehen, wird ſo ſchroff, hart, trocken ge¬
färbt ſein, wie es leibt und lebt, und wie ein leidenſchaftlich bewegtes
Gemüth, deſſen Abſtoßungskraft wahrhaftig nicht gebrochen iſt, bald
ſatyriſch, bald ironiſch, bald tragiſch, ſtets aber mit der ganzen Fülle
des unmittelbaren Eindrucks es auffaßt.
Darum zogen wir's auch vor, unſern Helden ſeinen Reiſeerleb¬
niſſen gegenüber ſich ſelbſt vertreten zu laſſen, indem wir ſein Tagebuch
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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