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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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sichtszüge mußten glücklich gewesen sein, ließen aber ihr Einst kaum
noch errathen. Das Gesicht war offenbar länger geworden, eine asch¬
fahle Blässe bedeckte es durch und durch, sein Blick stierte gläsern.
Und doch war er noch nicht zwei Jahre hier, denn seine erste Frage
war, wie der Sturm auf Warschau ausgefallen? Das Bevorstehen
desselben hatte er noch "draußen" gelesen. Wie weh ward mir zu
antworten! Ich sprach dafür von Börne und von der Rührigkeit der
republikanischen Partei in Paris, um nur etwas zu sagen. Er hörte
mir mit einem stillblöden Lächeln zu, schien aber von dem Inhalte
nicht so bewegt wie ich meinte; er weidete sich offenbar am bloßen
Klang der deutschen Sprache. Auf dem Tisch sah ich ein Buch liegen.
Es war die Bibel. Das ganze Ameublement einer Pennsylvaniazelle
besteht nämlich bloß aus vier Stücken: Tisch, Stuhl, Bettstelle, Bibel.
Ich fragte den Gefangenen, ob auch andere Lectüre gestattet würde?
Er verneinte es. Ob ihm die Bibel hinlänglich Gedanken gäbe?
Er streckte seine Hand nach dem Plafond aus und sagte: In dieser
Ecke, mein Herr, denke ich darüber nach, wie der' Geist des zwanzig¬
sten Kapitels vom zweiten Buch Mosis mit der katholischen Priester¬
lehre sich in Einklang bringen lasse. Ich ließ mich, da ich nicht
stark in der Bibel bin, auf dieses Problem nicht ein und fragte ihn
bloß, ob er dazu die Stubenecke bedürfe? Allerdings, mein Herr,
war seine Antwort, ich lebe nur von drei oder vier Phantasien hier
und die wohnen in den Zellenecken. Wissen Sie das nicht? Er sah
ganz unbefangen dazu aus. Mir ward seltsam zu Muthe. Wer
wohnt denn in der zweiten Ecke? fragte ich. In dieser Ecke sehe ich
die sechstausend Sclaven kreuzigen, die nach dem Aufruhr des Sparta¬
kus gefangen wurden. Die ganze Straße zwischen Rom und Capua
gab's eine Allee von Kreuzen und zwar eine Doppelallee. Darunter
promenirten die römischen Damen und Herren und genossen des
Schattens, -- so lange bis der Duft nicht kam. -- Ich starrte den
Menschen an. -- Und in der dritten? -- Der Sträfling antwortete:
Ich war in Kentucky einst in der üblen Lage, einen Sclavenaufseher¬
dienst nehmen zu müssen. Da unterhielt sich mein Herr einmal mit
einer jungen Negerin damit, daß er aus einer gewissen Entfernung
mit einem Bowiemesser nach ihrem nackten Leibe warf. So oft er sie
getroffen, mußte sie das Messer eigenhändig aus der Wunde ziehen,

ſichtszüge mußten glücklich geweſen ſein, ließen aber ihr Einſt kaum
noch errathen. Das Geſicht war offenbar länger geworden, eine aſch¬
fahle Bläſſe bedeckte es durch und durch, ſein Blick ſtierte gläſern.
Und doch war er noch nicht zwei Jahre hier, denn ſeine erſte Frage
war, wie der Sturm auf Warſchau ausgefallen? Das Bevorſtehen
desſelben hatte er noch „draußen” geleſen. Wie weh ward mir zu
antworten! Ich ſprach dafür von Börne und von der Rührigkeit der
republikaniſchen Partei in Paris, um nur etwas zu ſagen. Er hörte
mir mit einem ſtillblöden Lächeln zu, ſchien aber von dem Inhalte
nicht ſo bewegt wie ich meinte; er weidete ſich offenbar am bloßen
Klang der deutſchen Sprache. Auf dem Tiſch ſah ich ein Buch liegen.
Es war die Bibel. Das ganze Ameublement einer Pennſylvaniazelle
beſteht nämlich bloß aus vier Stücken: Tiſch, Stuhl, Bettſtelle, Bibel.
Ich fragte den Gefangenen, ob auch andere Lectüre geſtattet würde?
Er verneinte es. Ob ihm die Bibel hinlänglich Gedanken gäbe?
Er ſtreckte ſeine Hand nach dem Plafond aus und ſagte: In dieſer
Ecke, mein Herr, denke ich darüber nach, wie der' Geiſt des zwanzig¬
ſten Kapitels vom zweiten Buch Moſis mit der katholiſchen Prieſter¬
lehre ſich in Einklang bringen laſſe. Ich ließ mich, da ich nicht
ſtark in der Bibel bin, auf dieſes Problem nicht ein und fragte ihn
bloß, ob er dazu die Stubenecke bedürfe? Allerdings, mein Herr,
war ſeine Antwort, ich lebe nur von drei oder vier Phantaſien hier
und die wohnen in den Zellenecken. Wiſſen Sie das nicht? Er ſah
ganz unbefangen dazu aus. Mir ward ſeltſam zu Muthe. Wer
wohnt denn in der zweiten Ecke? fragte ich. In dieſer Ecke ſehe ich
die ſechſtauſend Sclaven kreuzigen, die nach dem Aufruhr des Sparta¬
kus gefangen wurden. Die ganze Straße zwiſchen Rom und Capua
gab's eine Allee von Kreuzen und zwar eine Doppelallee. Darunter
promenirten die römiſchen Damen und Herren und genoſſen des
Schattens, — ſo lange bis der Duft nicht kam. — Ich ſtarrte den
Menſchen an. — Und in der dritten? — Der Sträfling antwortete:
Ich war in Kentucky einſt in der üblen Lage, einen Sclavenaufſeher¬
dienſt nehmen zu müſſen. Da unterhielt ſich mein Herr einmal mit
einer jungen Negerin damit, daß er aus einer gewiſſen Entfernung
mit einem Bowiemeſſer nach ihrem nackten Leibe warf. So oft er ſie
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[268/0286] ſichtszüge mußten glücklich geweſen ſein, ließen aber ihr Einſt kaum noch errathen. Das Geſicht war offenbar länger geworden, eine aſch¬ fahle Bläſſe bedeckte es durch und durch, ſein Blick ſtierte gläſern. Und doch war er noch nicht zwei Jahre hier, denn ſeine erſte Frage war, wie der Sturm auf Warſchau ausgefallen? Das Bevorſtehen desſelben hatte er noch „draußen” geleſen. Wie weh ward mir zu antworten! Ich ſprach dafür von Börne und von der Rührigkeit der republikaniſchen Partei in Paris, um nur etwas zu ſagen. Er hörte mir mit einem ſtillblöden Lächeln zu, ſchien aber von dem Inhalte nicht ſo bewegt wie ich meinte; er weidete ſich offenbar am bloßen Klang der deutſchen Sprache. Auf dem Tiſch ſah ich ein Buch liegen. Es war die Bibel. Das ganze Ameublement einer Pennſylvaniazelle beſteht nämlich bloß aus vier Stücken: Tiſch, Stuhl, Bettſtelle, Bibel. Ich fragte den Gefangenen, ob auch andere Lectüre geſtattet würde? Er verneinte es. Ob ihm die Bibel hinlänglich Gedanken gäbe? Er ſtreckte ſeine Hand nach dem Plafond aus und ſagte: In dieſer Ecke, mein Herr, denke ich darüber nach, wie der' Geiſt des zwanzig¬ ſten Kapitels vom zweiten Buch Moſis mit der katholiſchen Prieſter¬ lehre ſich in Einklang bringen laſſe. Ich ließ mich, da ich nicht ſtark in der Bibel bin, auf dieſes Problem nicht ein und fragte ihn bloß, ob er dazu die Stubenecke bedürfe? Allerdings, mein Herr, war ſeine Antwort, ich lebe nur von drei oder vier Phantaſien hier und die wohnen in den Zellenecken. Wiſſen Sie das nicht? Er ſah ganz unbefangen dazu aus. Mir ward ſeltſam zu Muthe. Wer wohnt denn in der zweiten Ecke? fragte ich. In dieſer Ecke ſehe ich die ſechſtauſend Sclaven kreuzigen, die nach dem Aufruhr des Sparta¬ kus gefangen wurden. Die ganze Straße zwiſchen Rom und Capua gab's eine Allee von Kreuzen und zwar eine Doppelallee. Darunter promenirten die römiſchen Damen und Herren und genoſſen des Schattens, — ſo lange bis der Duft nicht kam. — Ich ſtarrte den Menſchen an. — Und in der dritten? — Der Sträfling antwortete: Ich war in Kentucky einſt in der üblen Lage, einen Sclavenaufſeher¬ dienſt nehmen zu müſſen. Da unterhielt ſich mein Herr einmal mit einer jungen Negerin damit, daß er aus einer gewiſſen Entfernung mit einem Bowiemeſſer nach ihrem nackten Leibe warf. So oft er ſie getroffen, mußte ſie das Meſſer eigenhändig aus der Wunde ziehen,

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/286>, abgerufen am 25.11.2024.