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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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schien die ganze Kraft seiner Menschenkenntniß zusammenzuraffen, um
denselben zu durchschauen. Dieser wandte sich stolz zum Gehen. Der
Deutsche schüttelte den Kopf, seufzte und folgte Jenem, indem ihm zu
bangen schien, die Verhandlung abzubrechen. So wandelten die Beiden
in kurzen Schritten auf einem schmalen Bodenstreifen eine Zeitlang
auf und ab und setzten sich ernstlich auseinander. Das Ende war, daß
der Eine wieder seine Brieftasche zog und dem Andern eine Banknote
daraus reichte, von der er sich mit sichtlicher Aufopferung trennte.
Hierauf trat er an ein Fenster oder vielmehr in eine der leeren Fenster¬
höhlen und erholte sich mit ein paar Athemzügen frischer Luft von sei¬
nem Kummer. Aber er stand nicht lange so. Zwei Schächer nahmen
ihn in die Mitte, indem sie links und rechts an seine Seite traten.
Dritte und vierte Wiederholung der nämlichen Pantomime. Nur schie¬
nen sich die Rollen diesmal umzukehren. Der Deutsche stellte sich kalt,
gelassen, gleichgiltig und versuchte es, die zwei neuen Quälgeister über
seinen eigentlichen Zustand, auf den sie speculiren mochten, irre zu
führen. Der Versuch blieb aber vergebens. Sei es, daß sie sein Be¬
nehmen in den beiden vorigen Fällen allzu genau beobachtet, oder
überhaupt untrüglich gut orientirt waren: genug sie hatten sich bald
fest in den Mann gehackt, der zwischen ihnen jetzt ein so tragisches
Bild bot, wie Laokoon zwischen den Schlangen. Er litt, er duldete.
Seine Mimik war ganz Schmerz, aber düstrer, hoffnungsloser Schmerz,
der nur ein Unterliegen vor Augen hat, kein Ueberwinden. Er kämpft,
weil er noch die Kraft dazu fühlt, -- Schritt für Schritt diese Kraft
aufzubrauchen, kann der einzige Preis des Kampfes sein. So sah man
ihn mit seinen beiden Tyrannen handeln und unterhandeln, Vorstel¬
lungen machen, schroff und entgegenkommend, nachdrücklich und ge¬
linde sein, man sah die ganze Arbeit eines Menschen, der Alles ver¬
sucht, einen billigen Frieden zu erlangen, und weiß, daß Alles um¬
sonst sein wird. Seine Partner standen und ließen ihn gewähren, wie
man einen Menschen etwa Höflichkeitshalber anhört. Wie dringend
er die Action belebte, sie waren todt und ließen ihn Schläge ins
Wasser thun. Ein kaltes Achselzucken, ein Schnippchen mit dem Finger,
ein Ruck auf dem Absatz, ein stummes Getändel mit der Uhrkette,
mitunter ein spitzer Mund, als pfiffen sie geistesabwesend ein Lied¬
chen -- das war ihre ganze Antwort. Es war die Rhetorik von

ſchien die ganze Kraft ſeiner Menſchenkenntniß zuſammenzuraffen, um
denſelben zu durchſchauen. Dieſer wandte ſich ſtolz zum Gehen. Der
Deutſche ſchüttelte den Kopf, ſeufzte und folgte Jenem, indem ihm zu
bangen ſchien, die Verhandlung abzubrechen. So wandelten die Beiden
in kurzen Schritten auf einem ſchmalen Bodenſtreifen eine Zeitlang
auf und ab und ſetzten ſich ernſtlich auseinander. Das Ende war, daß
der Eine wieder ſeine Brieftaſche zog und dem Andern eine Banknote
daraus reichte, von der er ſich mit ſichtlicher Aufopferung trennte.
Hierauf trat er an ein Fenſter oder vielmehr in eine der leeren Fenſter¬
höhlen und erholte ſich mit ein paar Athemzügen friſcher Luft von ſei¬
nem Kummer. Aber er ſtand nicht lange ſo. Zwei Schächer nahmen
ihn in die Mitte, indem ſie links und rechts an ſeine Seite traten.
Dritte und vierte Wiederholung der nämlichen Pantomime. Nur ſchie¬
nen ſich die Rollen diesmal umzukehren. Der Deutſche ſtellte ſich kalt,
gelaſſen, gleichgiltig und verſuchte es, die zwei neuen Quälgeiſter über
ſeinen eigentlichen Zuſtand, auf den ſie ſpeculiren mochten, irre zu
führen. Der Verſuch blieb aber vergebens. Sei es, daß ſie ſein Be¬
nehmen in den beiden vorigen Fällen allzu genau beobachtet, oder
überhaupt untrüglich gut orientirt waren: genug ſie hatten ſich bald
feſt in den Mann gehackt, der zwiſchen ihnen jetzt ein ſo tragiſches
Bild bot, wie Laokoon zwiſchen den Schlangen. Er litt, er duldete.
Seine Mimik war ganz Schmerz, aber düſtrer, hoffnungsloſer Schmerz,
der nur ein Unterliegen vor Augen hat, kein Ueberwinden. Er kämpft,
weil er noch die Kraft dazu fühlt, — Schritt für Schritt dieſe Kraft
aufzubrauchen, kann der einzige Preis des Kampfes ſein. So ſah man
ihn mit ſeinen beiden Tyrannen handeln und unterhandeln, Vorſtel¬
lungen machen, ſchroff und entgegenkommend, nachdrücklich und ge¬
linde ſein, man ſah die ganze Arbeit eines Menſchen, der Alles ver¬
ſucht, einen billigen Frieden zu erlangen, und weiß, daß Alles um¬
ſonſt ſein wird. Seine Partner ſtanden und ließen ihn gewähren, wie
man einen Menſchen etwa Höflichkeitshalber anhört. Wie dringend
er die Action belebte, ſie waren todt und ließen ihn Schläge ins
Waſſer thun. Ein kaltes Achſelzucken, ein Schnippchen mit dem Finger,
ein Ruck auf dem Abſatz, ein ſtummes Getändel mit der Uhrkette,
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[306/0324] ſchien die ganze Kraft ſeiner Menſchenkenntniß zuſammenzuraffen, um denſelben zu durchſchauen. Dieſer wandte ſich ſtolz zum Gehen. Der Deutſche ſchüttelte den Kopf, ſeufzte und folgte Jenem, indem ihm zu bangen ſchien, die Verhandlung abzubrechen. So wandelten die Beiden in kurzen Schritten auf einem ſchmalen Bodenſtreifen eine Zeitlang auf und ab und ſetzten ſich ernſtlich auseinander. Das Ende war, daß der Eine wieder ſeine Brieftaſche zog und dem Andern eine Banknote daraus reichte, von der er ſich mit ſichtlicher Aufopferung trennte. Hierauf trat er an ein Fenſter oder vielmehr in eine der leeren Fenſter¬ höhlen und erholte ſich mit ein paar Athemzügen friſcher Luft von ſei¬ nem Kummer. Aber er ſtand nicht lange ſo. Zwei Schächer nahmen ihn in die Mitte, indem ſie links und rechts an ſeine Seite traten. Dritte und vierte Wiederholung der nämlichen Pantomime. Nur ſchie¬ nen ſich die Rollen diesmal umzukehren. Der Deutſche ſtellte ſich kalt, gelaſſen, gleichgiltig und verſuchte es, die zwei neuen Quälgeiſter über ſeinen eigentlichen Zuſtand, auf den ſie ſpeculiren mochten, irre zu führen. Der Verſuch blieb aber vergebens. Sei es, daß ſie ſein Be¬ nehmen in den beiden vorigen Fällen allzu genau beobachtet, oder überhaupt untrüglich gut orientirt waren: genug ſie hatten ſich bald feſt in den Mann gehackt, der zwiſchen ihnen jetzt ein ſo tragiſches Bild bot, wie Laokoon zwiſchen den Schlangen. Er litt, er duldete. Seine Mimik war ganz Schmerz, aber düſtrer, hoffnungsloſer Schmerz, der nur ein Unterliegen vor Augen hat, kein Ueberwinden. Er kämpft, weil er noch die Kraft dazu fühlt, — Schritt für Schritt dieſe Kraft aufzubrauchen, kann der einzige Preis des Kampfes ſein. So ſah man ihn mit ſeinen beiden Tyrannen handeln und unterhandeln, Vorſtel¬ lungen machen, ſchroff und entgegenkommend, nachdrücklich und ge¬ linde ſein, man ſah die ganze Arbeit eines Menſchen, der Alles ver¬ ſucht, einen billigen Frieden zu erlangen, und weiß, daß Alles um¬ ſonſt ſein wird. Seine Partner ſtanden und ließen ihn gewähren, wie man einen Menſchen etwa Höflichkeitshalber anhört. Wie dringend er die Action belebte, ſie waren todt und ließen ihn Schläge ins Waſſer thun. Ein kaltes Achſelzucken, ein Schnippchen mit dem Finger, ein Ruck auf dem Abſatz, ein ſtummes Getändel mit der Uhrkette, mitunter ein ſpitzer Mund, als pfiffen ſie geiſtesabweſend ein Lied¬ chen — das war ihre ganze Antwort. Es war die Rhetorik von

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/324>, abgerufen am 22.11.2024.