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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Granitherzen. Endlich ergab sich der Andere in sein Schicksal. Er
zog seine Brieftasche und händigte ihnen zwei Banknoten aus. Dann
setzte er sich auf die Bank hin und begrub den Kopf in seine beiden
Hände, welche er auf die Knie stützte. Wenn ein Maler eine Mannes¬
thräne malen wollte, ohne sie sehen zu lassen, so würde er diese
Stellung wählen -- sagte sich Moorfeld.

Jetzt trat durch einen untern Eingang des "Saales" der Sheriff
mit zwei Clerks ein. Er stellte sich hinter seinen Tisch und gab mit
einem Hammer das Zeichen des Anfangs. Die anwesenden Waldfäuste
erhoben sich vorwurfsvoll über sein langes Ausbleiben. Der Scheriff
bat die "Herren" sehr artig um Verzeihung, worauf sich das sou¬
veräne Volk zufrieden gab. In diesem Augenblicke näherte sich ein
fünfter Industrieritter dem Mann auf der Bank. Er legte ihm die
Hand auf die Schulter und mußte ihn mit einem Worte aufgescheucht
haben, das genau die Tendenz der vier Andern ausdrückte, denn der
Mann zuckte, wie von einem elektrischen Schlage getroffen zusammen,
und starrte den Fünften an, gleichsam als begriffe er nicht, wie es
möglich sei, daß sich nach all seinen Opfern die alte Zumuthung von
Neuem vor sein Auge hinpflanzen könne. Indem Moorfeld sein so er¬
hobenes Gesicht betrachtete, ergriffen ihn die rührenden Züge des
inneren Menschen darin. Der Kopf kam ihm schöner vor als zuvor, gleich¬
sam als hätte der Schmerz inzwischen Zeit gefunden, sich über sein
ganzes Ich auszugießen und es zu einem reinen Modell des Seelen¬
leidens zu idealisiren. Desto abscheulicher stach die Physiognomie
des Fünften neben ihm ab. Der Mann war ungefähr ein naher
Sechziger, sein Schädel eine schwere und unförmliche Masse, seine
Züge grob geschnitten, das Gesicht aufgetrieben, wulstig, voll War¬
zen und beulenartiger Unebenheiten, welche durch die Ideenver¬
bindung mit Krankheitsursachen noch zurückstoßender wurden; er hatte
eine niedrige Stirn, eine platte Nase, einen dicken brutalen Mund
und hervorragende Backenknochen. Seine Augen waren klein, grau und
von einem bösen Blick; zottige Augenbrauen hingen darüber in finstern,
schweren Büschen herab und vollendeten den Ausdruck eines unge¬
selligen, harten, rachsüchtigen Charakters. Dieser Wehrwolf stellte sich
jetzt dem vielgebeugten Manne entgegen und wiederholte, wie man
sah, das Manöver der vier Vorhergegangenen. Der Deutsche stand

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Granitherzen. Endlich ergab ſich der Andere in ſein Schickſal. Er
zog ſeine Brieftaſche und händigte ihnen zwei Banknoten aus. Dann
ſetzte er ſich auf die Bank hin und begrub den Kopf in ſeine beiden
Hände, welche er auf die Knie ſtützte. Wenn ein Maler eine Mannes¬
thräne malen wollte, ohne ſie ſehen zu laſſen, ſo würde er dieſe
Stellung wählen — ſagte ſich Moorfeld.

Jetzt trat durch einen untern Eingang des „Saales“ der Sheriff
mit zwei Clerks ein. Er ſtellte ſich hinter ſeinen Tiſch und gab mit
einem Hammer das Zeichen des Anfangs. Die anweſenden Waldfäuſte
erhoben ſich vorwurfsvoll über ſein langes Ausbleiben. Der Scheriff
bat die „Herren“ ſehr artig um Verzeihung, worauf ſich das ſou¬
veräne Volk zufrieden gab. In dieſem Augenblicke näherte ſich ein
fünfter Induſtrieritter dem Mann auf der Bank. Er legte ihm die
Hand auf die Schulter und mußte ihn mit einem Worte aufgeſcheucht
haben, das genau die Tendenz der vier Andern ausdrückte, denn der
Mann zuckte, wie von einem elektriſchen Schlage getroffen zuſammen,
und ſtarrte den Fünften an, gleichſam als begriffe er nicht, wie es
möglich ſei, daß ſich nach all ſeinen Opfern die alte Zumuthung von
Neuem vor ſein Auge hinpflanzen könne. Indem Moorfeld ſein ſo er¬
hobenes Geſicht betrachtete, ergriffen ihn die rührenden Züge des
inneren Menſchen darin. Der Kopf kam ihm ſchöner vor als zuvor, gleich¬
ſam als hätte der Schmerz inzwiſchen Zeit gefunden, ſich über ſein
ganzes Ich auszugießen und es zu einem reinen Modell des Seelen¬
leidens zu idealiſiren. Deſto abſcheulicher ſtach die Phyſiognomie
des Fünften neben ihm ab. Der Mann war ungefähr ein naher
Sechziger, ſein Schädel eine ſchwere und unförmliche Maſſe, ſeine
Züge grob geſchnitten, das Geſicht aufgetrieben, wulſtig, voll War¬
zen und beulenartiger Unebenheiten, welche durch die Ideenver¬
bindung mit Krankheitsurſachen noch zurückſtoßender wurden; er hatte
eine niedrige Stirn, eine platte Naſe, einen dicken brutalen Mund
und hervorragende Backenknochen. Seine Augen waren klein, grau und
von einem böſen Blick; zottige Augenbrauen hingen darüber in finſtern,
ſchweren Büſchen herab und vollendeten den Ausdruck eines unge¬
ſelligen, harten, rachſüchtigen Charakters. Dieſer Wehrwolf ſtellte ſich
jetzt dem vielgebeugten Manne entgegen und wiederholte, wie man
ſah, das Manöver der vier Vorhergegangenen. Der Deutſche ſtand

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[307/0325] Granitherzen. Endlich ergab ſich der Andere in ſein Schickſal. Er zog ſeine Brieftaſche und händigte ihnen zwei Banknoten aus. Dann ſetzte er ſich auf die Bank hin und begrub den Kopf in ſeine beiden Hände, welche er auf die Knie ſtützte. Wenn ein Maler eine Mannes¬ thräne malen wollte, ohne ſie ſehen zu laſſen, ſo würde er dieſe Stellung wählen — ſagte ſich Moorfeld. Jetzt trat durch einen untern Eingang des „Saales“ der Sheriff mit zwei Clerks ein. Er ſtellte ſich hinter ſeinen Tiſch und gab mit einem Hammer das Zeichen des Anfangs. Die anweſenden Waldfäuſte erhoben ſich vorwurfsvoll über ſein langes Ausbleiben. Der Scheriff bat die „Herren“ ſehr artig um Verzeihung, worauf ſich das ſou¬ veräne Volk zufrieden gab. In dieſem Augenblicke näherte ſich ein fünfter Induſtrieritter dem Mann auf der Bank. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und mußte ihn mit einem Worte aufgeſcheucht haben, das genau die Tendenz der vier Andern ausdrückte, denn der Mann zuckte, wie von einem elektriſchen Schlage getroffen zuſammen, und ſtarrte den Fünften an, gleichſam als begriffe er nicht, wie es möglich ſei, daß ſich nach all ſeinen Opfern die alte Zumuthung von Neuem vor ſein Auge hinpflanzen könne. Indem Moorfeld ſein ſo er¬ hobenes Geſicht betrachtete, ergriffen ihn die rührenden Züge des inneren Menſchen darin. Der Kopf kam ihm ſchöner vor als zuvor, gleich¬ ſam als hätte der Schmerz inzwiſchen Zeit gefunden, ſich über ſein ganzes Ich auszugießen und es zu einem reinen Modell des Seelen¬ leidens zu idealiſiren. Deſto abſcheulicher ſtach die Phyſiognomie des Fünften neben ihm ab. Der Mann war ungefähr ein naher Sechziger, ſein Schädel eine ſchwere und unförmliche Maſſe, ſeine Züge grob geſchnitten, das Geſicht aufgetrieben, wulſtig, voll War¬ zen und beulenartiger Unebenheiten, welche durch die Ideenver¬ bindung mit Krankheitsurſachen noch zurückſtoßender wurden; er hatte eine niedrige Stirn, eine platte Naſe, einen dicken brutalen Mund und hervorragende Backenknochen. Seine Augen waren klein, grau und von einem böſen Blick; zottige Augenbrauen hingen darüber in finſtern, ſchweren Büſchen herab und vollendeten den Ausdruck eines unge¬ ſelligen, harten, rachſüchtigen Charakters. Dieſer Wehrwolf ſtellte ſich jetzt dem vielgebeugten Manne entgegen und wiederholte, wie man ſah, das Manöver der vier Vorhergegangenen. Der Deutſche ſtand 20 *

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/325>, abgerufen am 22.11.2024.