Doctor Luther hat auch für mich gelebt, sagte ich, nicht ohne einige Verwirrung, und war froh, daß mir die Phrase so durchging. Es geschieht Einem doch ganz eigen, wenn man mit seiner weitschichtigen Aufklärung so knapp-positiven Gemüthern confrontirt ist! Verschiedene Stände sind verschiedene Jahrhunderte.
Wir verständigten uns. Ich habe nun eine Anstellung im Ur¬ walde, -- ich bin Erzieher. Wahrlich, das kleine Abenteuer freut mich mehr, als es scheinen mag. Ich bin, wie du weißt, Kinderfreund. Freilich hat mir eine geistreiche Frau einst gesagt: dann sind Sie Menschenfeind, und ich war wie vom Blitz gerührt, daß sie Recht hatte. Aber ist's meine Schuld? Ich läugne es nicht, die Kinder repräsentiren mir die Menschheit reiner als die Erwachsenen. Der muthige Knabe entartet zum servilen Unterthan, und wie selten findet das Mädchen zwischen Prüderie und Koketterie den Begriff der Weib¬ lichkeit. Blüthen siod Bienenkost, ausgewachsene Frucht oft nicht Schweinekost. Die Nähe dieses Kindes soll mir wohl thun. Ich nehm's wie ein glückliches Unterpfand von dem Gott, der mich hier¬ hergeführt.
Nächst dieser Bekanntschaft, die unsern Freund so sehr anmuthet, wollen wir von seinen übrigen Nachbar-Besuchen noch zwei erzählen, zwar nicht ihrer Anmuth wegen, sondern weil sie sonst nicht ohne einiges Interesse an ihm vorübergingen. Moorfeld machte sie beide Tags nach dem hier mitgetheilten Begegniß und diesmal in Anhorst's Begleitung.
Auf dem Wege sagte Anhorst: die Farm, die wir zunächst besuchen werden, gehört einem Amerikaner, Mister Thorne. Wir werden ihn selbst nicht zu Hause treffen -- er ist seit einigen Wochen auf irgend ein Busineß abwesend. Indeß lohnt es sich doch den Gang dahin. Er hat einen Knecht, oder "hand" wie man hier sagt, der eigentlich ein Tischler und zwar ein vorzüglicher deutscher Ar¬ beiter ist. Wenn Sie sich einzumöbliren gedenken, so können Sie mit dem Manne gleich Rücksprache darüber nehmen. Er ist auf sein Handwerk sehr zu empfehlen.
Dann sitzt er wohl auch nicht aus Geschmack am Landleben hier? sagte Moorfeld.
Gewiß nicht, antwortete Anhorst.
Doctor Luther hat auch für mich gelebt, ſagte ich, nicht ohne einige Verwirrung, und war froh, daß mir die Phraſe ſo durchging. Es geſchieht Einem doch ganz eigen, wenn man mit ſeiner weitſchichtigen Aufklärung ſo knapp-poſitiven Gemüthern confrontirt iſt! Verſchiedene Stände ſind verſchiedene Jahrhunderte.
Wir verſtändigten uns. Ich habe nun eine Anſtellung im Ur¬ walde, — ich bin Erzieher. Wahrlich, das kleine Abenteuer freut mich mehr, als es ſcheinen mag. Ich bin, wie du weißt, Kinderfreund. Freilich hat mir eine geiſtreiche Frau einſt geſagt: dann ſind Sie Menſchenfeind, und ich war wie vom Blitz gerührt, daß ſie Recht hatte. Aber iſt's meine Schuld? Ich läugne es nicht, die Kinder repräſentiren mir die Menſchheit reiner als die Erwachſenen. Der muthige Knabe entartet zum ſervilen Unterthan, und wie ſelten findet das Mädchen zwiſchen Prüderie und Koketterie den Begriff der Weib¬ lichkeit. Blüthen ſiod Bienenkoſt, ausgewachſene Frucht oft nicht Schweinekoſt. Die Nähe dieſes Kindes ſoll mir wohl thun. Ich nehm's wie ein glückliches Unterpfand von dem Gott, der mich hier¬ hergeführt.
Nächſt dieſer Bekanntſchaft, die unſern Freund ſo ſehr anmuthet, wollen wir von ſeinen übrigen Nachbar-Beſuchen noch zwei erzählen, zwar nicht ihrer Anmuth wegen, ſondern weil ſie ſonſt nicht ohne einiges Intereſſe an ihm vorübergingen. Moorfeld machte ſie beide Tags nach dem hier mitgetheilten Begegniß und diesmal in Anhorſt's Begleitung.
Auf dem Wege ſagte Anhorſt: die Farm, die wir zunächſt beſuchen werden, gehört einem Amerikaner, Miſter Thorne. Wir werden ihn ſelbſt nicht zu Hauſe treffen — er iſt ſeit einigen Wochen auf irgend ein Buſineß abweſend. Indeß lohnt es ſich doch den Gang dahin. Er hat einen Knecht, oder „hand” wie man hier ſagt, der eigentlich ein Tiſchler und zwar ein vorzüglicher deutſcher Ar¬ beiter iſt. Wenn Sie ſich einzumöbliren gedenken, ſo können Sie mit dem Manne gleich Rückſprache darüber nehmen. Er iſt auf ſein Handwerk ſehr zu empfehlen.
Dann ſitzt er wohl auch nicht aus Geſchmack am Landleben hier? ſagte Moorfeld.
Gewiß nicht, antwortete Anhorſt.
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Doctor Luther hat auch für mich gelebt, ſagte ich, nicht ohne einige
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geſchieht Einem doch ganz eigen, wenn man mit ſeiner weitſchichtigen
Aufklärung ſo knapp-poſitiven Gemüthern confrontirt iſt! Verſchiedene
Stände ſind verſchiedene Jahrhunderte.
Wir verſtändigten uns. Ich habe nun eine Anſtellung im Ur¬
walde, — ich bin Erzieher. Wahrlich, das kleine Abenteuer freut
mich mehr, als es ſcheinen mag. Ich bin, wie du weißt, Kinderfreund.
Freilich hat mir eine geiſtreiche Frau einſt geſagt: dann ſind Sie
Menſchenfeind, und ich war wie vom Blitz gerührt, daß ſie Recht
hatte. Aber iſt's meine Schuld? Ich läugne es nicht, die Kinder
repräſentiren mir die Menſchheit reiner als die Erwachſenen. Der
muthige Knabe entartet zum ſervilen Unterthan, und wie ſelten findet
das Mädchen zwiſchen Prüderie und Koketterie den Begriff der Weib¬
lichkeit. Blüthen ſiod Bienenkoſt, ausgewachſene Frucht oft nicht
Schweinekoſt. Die Nähe dieſes Kindes ſoll mir wohl thun. Ich
nehm's wie ein glückliches Unterpfand von dem Gott, der mich hier¬
hergeführt.
Nächſt dieſer Bekanntſchaft, die unſern Freund ſo ſehr anmuthet,
wollen wir von ſeinen übrigen Nachbar-Beſuchen noch zwei erzählen,
zwar nicht ihrer Anmuth wegen, ſondern weil ſie ſonſt nicht ohne
einiges Intereſſe an ihm vorübergingen. Moorfeld machte ſie beide
Tags nach dem hier mitgetheilten Begegniß und diesmal in Anhorſt's
Begleitung.
Auf dem Wege ſagte Anhorſt: die Farm, die wir zunächſt beſuchen
werden, gehört einem Amerikaner, Miſter Thorne. Wir werden ihn
ſelbſt nicht zu Hauſe treffen — er iſt ſeit einigen Wochen auf
irgend ein Buſineß abweſend. Indeß lohnt es ſich doch den Gang
dahin. Er hat einen Knecht, oder „hand” wie man hier ſagt,
der eigentlich ein Tiſchler und zwar ein vorzüglicher deutſcher Ar¬
beiter iſt. Wenn Sie ſich einzumöbliren gedenken, ſo können Sie
mit dem Manne gleich Rückſprache darüber nehmen. Er iſt auf ſein
Handwerk ſehr zu empfehlen.
Dann ſitzt er wohl auch nicht aus Geſchmack am Landleben hier?
ſagte Moorfeld.
Gewiß nicht, antwortete Anhorſt.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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