Anhorst bezeigte sich ungemein erfreut über das Gehörte. Vielleicht gefiel ihm Moorfeld's Puff darum so ungewöhnlich, weil er nicht bloß ein müssiges Spiel des Witzes, sondern eine praktische That mit einem bestimmten sittlichen Zwecke war. Unter diesem Gesichtspunkte begriff er das Geistreiche leicht und lebhaft.
Es war das Erstemal, auf dem abendlichen und theilweise nächt¬ lichen Nachhauseritt, daß diese so ungleich gearteten Männer sich besser als je verstanden. Jeder schien bei sich selbst gegen den Andern zu wider¬ rufen, daß er ausschließlich Prosaiker oder ausschließlich Schöngeist sei. Diese Meinung transpirirte mit einer warmen Ausstrahlung durch ihr Gespräch. Anhorst's und Moorfeld's Unterhaltung in dieser Stunde war von jener Art, welche dauernde Freundschaften zu begründen pflegt. So erreichten sie ihren einsamen Waldwinkel.
Fünftes Kapitel.
Aber jetzt war auch der Tag für Anhorst's Marktfahrt heran¬ gekommen. Allerorts begannen die Ernten und wenn Anhorst die Chance nicht verlieren wollte, so hatte er keinen Augenblick zu ver¬ säumen. Er brach auf. Ungern sah Moorfeld ihn scheiden. Anhorst war offenbar, wenn auch langsam, geistig wieder aufgelebt, Moorfeld dagegen meinte an praktischem Sinne ihm näher gerückt zu sein. Es schien ihm wie eine Sünde gegen Natur und Kunst zugleich, den begin¬ nenden Fluß der Melodie jetzt mit einer Pause zu zerhacken. Es war unschön, es war widersinnig. Moorfeld hatte fast das Gefühl, als müßte sich hier etwas strafen, als geschähe den Mächten des Gemüthes Ge¬ walt durch die Mächte der Materie. Aber freilich war dieses Gefühl unaussprechlich. Wie sollte Moorfeld die ahnungsvolle Spürkraft des ästhetischen Sentiments in einen so rechtwinkeligen, unvermischten Charakter wie Anhorst hinübertragen? Er schämte sich, die alte Me¬ lodie zu variiren: Bleibe bei mir, Max! und darauf lief seine Re¬ gung doch wohl allein hinaus. Es war fast rührend, wie Anhorst am Vorabend seines Auszugs mit einem langen starken Mann vor das
Anhorſt bezeigte ſich ungemein erfreut über das Gehörte. Vielleicht gefiel ihm Moorfeld's Puff darum ſo ungewöhnlich, weil er nicht bloß ein müſſiges Spiel des Witzes, ſondern eine praktiſche That mit einem beſtimmten ſittlichen Zwecke war. Unter dieſem Geſichtspunkte begriff er das Geiſtreiche leicht und lebhaft.
Es war das Erſtemal, auf dem abendlichen und theilweiſe nächt¬ lichen Nachhauſeritt, daß dieſe ſo ungleich gearteten Männer ſich beſſer als je verſtanden. Jeder ſchien bei ſich ſelbſt gegen den Andern zu wider¬ rufen, daß er ausſchließlich Proſaiker oder ausſchließlich Schöngeiſt ſei. Dieſe Meinung transpirirte mit einer warmen Ausſtrahlung durch ihr Geſpräch. Anhorſt's und Moorfeld's Unterhaltung in dieſer Stunde war von jener Art, welche dauernde Freundſchaften zu begründen pflegt. So erreichten ſie ihren einſamen Waldwinkel.
Fünftes Kapitel.
Aber jetzt war auch der Tag für Anhorſt's Marktfahrt heran¬ gekommen. Allerorts begannen die Ernten und wenn Anhorſt die Chance nicht verlieren wollte, ſo hatte er keinen Augenblick zu ver¬ ſäumen. Er brach auf. Ungern ſah Moorfeld ihn ſcheiden. Anhorſt war offenbar, wenn auch langſam, geiſtig wieder aufgelebt, Moorfeld dagegen meinte an praktiſchem Sinne ihm näher gerückt zu ſein. Es ſchien ihm wie eine Sünde gegen Natur und Kunſt zugleich, den begin¬ nenden Fluß der Melodie jetzt mit einer Pauſe zu zerhacken. Es war unſchön, es war widerſinnig. Moorfeld hatte faſt das Gefühl, als müßte ſich hier etwas ſtrafen, als geſchähe den Mächten des Gemüthes Ge¬ walt durch die Mächte der Materie. Aber freilich war dieſes Gefühl unausſprechlich. Wie ſollte Moorfeld die ahnungsvolle Spürkraft des äſthetiſchen Sentiments in einen ſo rechtwinkeligen, unvermiſchten Charakter wie Anhorſt hinübertragen? Er ſchämte ſich, die alte Me¬ lodie zu variiren: Bleibe bei mir, Max! und darauf lief ſeine Re¬ gung doch wohl allein hinaus. Es war faſt rührend, wie Anhorſt am Vorabend ſeines Auszugs mit einem langen ſtarken Mann vor das
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Anhorſt bezeigte ſich ungemein erfreut über das Gehörte. Vielleicht
gefiel ihm Moorfeld's Puff darum ſo ungewöhnlich, weil er nicht
bloß ein müſſiges Spiel des Witzes, ſondern eine praktiſche That mit
einem beſtimmten ſittlichen Zwecke war. Unter dieſem Geſichtspunkte
begriff er das Geiſtreiche leicht und lebhaft.
Es war das Erſtemal, auf dem abendlichen und theilweiſe nächt¬
lichen Nachhauſeritt, daß dieſe ſo ungleich gearteten Männer ſich beſſer
als je verſtanden. Jeder ſchien bei ſich ſelbſt gegen den Andern zu wider¬
rufen, daß er ausſchließlich Proſaiker oder ausſchließlich Schöngeiſt ſei.
Dieſe Meinung transpirirte mit einer warmen Ausſtrahlung durch ihr
Geſpräch. Anhorſt's und Moorfeld's Unterhaltung in dieſer Stunde
war von jener Art, welche dauernde Freundſchaften zu begründen
pflegt. So erreichten ſie ihren einſamen Waldwinkel.
Fünftes Kapitel.
Aber jetzt war auch der Tag für Anhorſt's Marktfahrt heran¬
gekommen. Allerorts begannen die Ernten und wenn Anhorſt die
Chance nicht verlieren wollte, ſo hatte er keinen Augenblick zu ver¬
ſäumen. Er brach auf. Ungern ſah Moorfeld ihn ſcheiden. Anhorſt
war offenbar, wenn auch langſam, geiſtig wieder aufgelebt, Moorfeld
dagegen meinte an praktiſchem Sinne ihm näher gerückt zu ſein. Es
ſchien ihm wie eine Sünde gegen Natur und Kunſt zugleich, den begin¬
nenden Fluß der Melodie jetzt mit einer Pauſe zu zerhacken. Es war
unſchön, es war widerſinnig. Moorfeld hatte faſt das Gefühl, als müßte
ſich hier etwas ſtrafen, als geſchähe den Mächten des Gemüthes Ge¬
walt durch die Mächte der Materie. Aber freilich war dieſes Gefühl
unausſprechlich. Wie ſollte Moorfeld die ahnungsvolle Spürkraft des
äſthetiſchen Sentiments in einen ſo rechtwinkeligen, unvermiſchten
Charakter wie Anhorſt hinübertragen? Er ſchämte ſich, die alte Me¬
lodie zu variiren: Bleibe bei mir, Max! und darauf lief ſeine Re¬
gung doch wohl allein hinaus. Es war faſt rührend, wie Anhorſt am
Vorabend ſeines Auszugs mit einem langen ſtarken Mann vor das
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/365>, abgerufen am 24.11.2024.
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