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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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auf dem Riesenwipfel der Wheymouthtanne, dieser Lurley der Pflanzen¬
welt, griffen nicht Morgennebel mit ossianischen Geisterarmen durch
das Gezack der windungsreichen Lebenseiche, ließ nicht der Mond an
weißen Birkenstämmen sein bleiches Silberlicht hängen, zog nicht ein
mystisches, wehmüthiges Elfengeflüster durch die zitternden Grasrespen
der Prairie, und sprach nicht rings um ihn her die große freie Wild¬
niß das Wort aus, das ein fühlender Mensch nur nachzusprechen
braucht, um langen Reihen von Geschlechtern und Zeiten unvergeßlich
zu bleiben? Ja, die Scene stand. Aber wenn die gefangene Königin
ihre fühlende Kennedy auf Augenblicke bei Seite setzt, um nach Wind
und Wolken ihre Arme zu breiten, so eilte hier der Gesellschafter von
Wind und Wolken, von Bäumen und Graswogen wieder und wieder
ans Schreibpult in die Arme eines Menschen, selbst eines abwesenden,
und aus dem Tiefsten heraus schrieb er an Benthal einst das Wort
nieder: Ich bin nicht einsam hier, sondern nullsam! --

In der That, so war es geworden. Moorfeld saß in seinem Ur¬
walde und sein liebstes Urwalds-Vergnügen war -- sein Schreiben
an Benthal! Es verging kein Tag, kaum eine Stunde, daß er nicht
schrieb. Eine Unzahl von Blättern und Blättchen datirt aus dieser
verhältnißmäßig so kurzen Spanne Zeit. Wir können sie unmöglich
so wie sie liegen mittheilen: denn wer sollte sich nicht wiederholen,
wer, der so gährend und gierig in sich hineinlebt, sollte ein Gedächtniß
dafür haben können, was er geschrieben, wie er's geschrieben, wie oft
dieselbe Welle an die nämliche Stelle zurückrollte? Und doch lebt
Moorfeld nach außen hin ein so spurloses, stillstehendes Leben jetzt,
daß wir, da es einen fortlaufenden Erzählungsfaden nicht zuläßt,
gerne in jene Blätter zurück greifen werden, um Figur und Farbe
dieser Tage uns bildlich zu machen. Freilich wird dazu nur die
kleinste Auswahl genügen, wenige werden die Dienste aller thun,
und indem wir die äußere und innere Landschaft unseres Einsiedlers
nur an einzelnen Punkten beleuchten, wird Gemüth und Fantasie es
nicht als Abbruch, sondern als sein Recht empfinden, die dazwischen¬
liegenden Parthien selbstthätig zu beleben.

Vor Allem wollen wir Denen, welche im Handeln, nicht im
Empfinden Heil sehen, Bericht davon geben, daß Moorfeld nicht in
"schöner Muße" allein seinen Genuß suchte. Der Rothschrei des

auf dem Rieſenwipfel der Wheymouthtanne, dieſer Lurley der Pflanzen¬
welt, griffen nicht Morgennebel mit oſſianiſchen Geiſterarmen durch
das Gezack der windungsreichen Lebenseiche, ließ nicht der Mond an
weißen Birkenſtämmen ſein bleiches Silberlicht hängen, zog nicht ein
myſtiſches, wehmüthiges Elfengeflüſter durch die zitternden Grasreſpen
der Prairie, und ſprach nicht rings um ihn her die große freie Wild¬
niß das Wort aus, das ein fühlender Menſch nur nachzuſprechen
braucht, um langen Reihen von Geſchlechtern und Zeiten unvergeßlich
zu bleiben? Ja, die Scene ſtand. Aber wenn die gefangene Königin
ihre fühlende Kennedy auf Augenblicke bei Seite ſetzt, um nach Wind
und Wolken ihre Arme zu breiten, ſo eilte hier der Geſellſchafter von
Wind und Wolken, von Bäumen und Graswogen wieder und wieder
ans Schreibpult in die Arme eines Menſchen, ſelbſt eines abweſenden,
und aus dem Tiefſten heraus ſchrieb er an Benthal einſt das Wort
nieder: Ich bin nicht einſam hier, ſondern nullſam! —

In der That, ſo war es geworden. Moorfeld ſaß in ſeinem Ur¬
walde und ſein liebſtes Urwalds-Vergnügen war — ſein Schreiben
an Benthal! Es verging kein Tag, kaum eine Stunde, daß er nicht
ſchrieb. Eine Unzahl von Blättern und Blättchen datirt aus dieſer
verhältnißmäßig ſo kurzen Spanne Zeit. Wir können ſie unmöglich
ſo wie ſie liegen mittheilen: denn wer ſollte ſich nicht wiederholen,
wer, der ſo gährend und gierig in ſich hineinlebt, ſollte ein Gedächtniß
dafür haben können, was er geſchrieben, wie er's geſchrieben, wie oft
dieſelbe Welle an die nämliche Stelle zurückrollte? Und doch lebt
Moorfeld nach außen hin ein ſo ſpurloſes, ſtillſtehendes Leben jetzt,
daß wir, da es einen fortlaufenden Erzählungsfaden nicht zuläßt,
gerne in jene Blätter zurück greifen werden, um Figur und Farbe
dieſer Tage uns bildlich zu machen. Freilich wird dazu nur die
kleinſte Auswahl genügen, wenige werden die Dienſte aller thun,
und indem wir die äußere und innere Landſchaft unſeres Einſiedlers
nur an einzelnen Punkten beleuchten, wird Gemüth und Fantaſie es
nicht als Abbruch, ſondern als ſein Recht empfinden, die dazwiſchen¬
liegenden Parthien ſelbſtthätig zu beleben.

Vor Allem wollen wir Denen, welche im Handeln, nicht im
Empfinden Heil ſehen, Bericht davon geben, daß Moorfeld nicht in
„ſchöner Muße“ allein ſeinen Genuß ſuchte. Der Rothſchrei des

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[349/0367] auf dem Rieſenwipfel der Wheymouthtanne, dieſer Lurley der Pflanzen¬ welt, griffen nicht Morgennebel mit oſſianiſchen Geiſterarmen durch das Gezack der windungsreichen Lebenseiche, ließ nicht der Mond an weißen Birkenſtämmen ſein bleiches Silberlicht hängen, zog nicht ein myſtiſches, wehmüthiges Elfengeflüſter durch die zitternden Grasreſpen der Prairie, und ſprach nicht rings um ihn her die große freie Wild¬ niß das Wort aus, das ein fühlender Menſch nur nachzuſprechen braucht, um langen Reihen von Geſchlechtern und Zeiten unvergeßlich zu bleiben? Ja, die Scene ſtand. Aber wenn die gefangene Königin ihre fühlende Kennedy auf Augenblicke bei Seite ſetzt, um nach Wind und Wolken ihre Arme zu breiten, ſo eilte hier der Geſellſchafter von Wind und Wolken, von Bäumen und Graswogen wieder und wieder ans Schreibpult in die Arme eines Menſchen, ſelbſt eines abweſenden, und aus dem Tiefſten heraus ſchrieb er an Benthal einſt das Wort nieder: Ich bin nicht einſam hier, ſondern nullſam! — In der That, ſo war es geworden. Moorfeld ſaß in ſeinem Ur¬ walde und ſein liebſtes Urwalds-Vergnügen war — ſein Schreiben an Benthal! Es verging kein Tag, kaum eine Stunde, daß er nicht ſchrieb. Eine Unzahl von Blättern und Blättchen datirt aus dieſer verhältnißmäßig ſo kurzen Spanne Zeit. Wir können ſie unmöglich ſo wie ſie liegen mittheilen: denn wer ſollte ſich nicht wiederholen, wer, der ſo gährend und gierig in ſich hineinlebt, ſollte ein Gedächtniß dafür haben können, was er geſchrieben, wie er's geſchrieben, wie oft dieſelbe Welle an die nämliche Stelle zurückrollte? Und doch lebt Moorfeld nach außen hin ein ſo ſpurloſes, ſtillſtehendes Leben jetzt, daß wir, da es einen fortlaufenden Erzählungsfaden nicht zuläßt, gerne in jene Blätter zurück greifen werden, um Figur und Farbe dieſer Tage uns bildlich zu machen. Freilich wird dazu nur die kleinſte Auswahl genügen, wenige werden die Dienſte aller thun, und indem wir die äußere und innere Landſchaft unſeres Einſiedlers nur an einzelnen Punkten beleuchten, wird Gemüth und Fantaſie es nicht als Abbruch, ſondern als ſein Recht empfinden, die dazwiſchen¬ liegenden Parthien ſelbſtthätig zu beleben. Vor Allem wollen wir Denen, welche im Handeln, nicht im Empfinden Heil ſehen, Bericht davon geben, daß Moorfeld nicht in „ſchöner Muße“ allein ſeinen Genuß ſuchte. Der Rothſchrei des

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/367>, abgerufen am 24.11.2024.