Fiebers erscholl jetzt im Lande, und unser Held trug zwar einen adop¬ tirten Namen, doch sein Dr. nicht umsonst davor. Unaufgefordert bot er Nahen und Fernen Hilfe. Leider werden wir belehrt, daß auch die That des Thätigen nicht Zufriedenheit gibt, wo der Boden fehlt, das Schöne schön zu empfangen.
Beginnen wir in seinen Aufzeichnungen unsre Lese:
Es ist Hochsommer, das ganze Land liegt im Fieber. Ich reite weit und breit herum und bin, wie man sagt, nützlich. Aber ich habe keine Freude daran. Der Amerikaner versteht den europäischen "Ret¬ tungsengel" nicht. Er honorirt ihn mit seinen Dollars, und wenn's der Engel ausschlägt, so hält er ihn für einen Simpel. Oder es kommen die giftigen Kannegießer und Medisance-Pächter, die auch bei der dünnsten Urwaldsbevölkerung in diesem Claquen- und Cliquen¬ lande nicht fehlen, die stecken die Köpfe zusammen und munkeln: Was will der Kerl? gebt Acht, der will was. Er macht Partei für die Dütchmens, er ist ein Papist, er bringt die Cholera in's Land und ähnlichen Unsinn. Und dann -- hab' ich am Ende doch die Arzneikunst verlassen, weil ich Poet bin und der Anblick der lei¬ denden Materie den Geist zu Boden drückt, statt ihn zu erheben. Bin ich nach Amerika gegangen, um dunstige Bettdecken aufzuheben und belegte Zungen zu sehen, -- dieselben Zungen, deren geübteste Muskelbewegung das "damn'dDutchman" ist? So komme ich oft Abends nach Hause -- mit einem langen Schatten-Queue von Me¬ lancholie hinter mir her, ich könnte zehn Schlemihls damit versorgen und bin am Ende selbst einer.
Das ist deutlich. Aber vollends ins Zerrbild gezogen fand Moor¬ feld den Werth seines guten Willens, wenn er auf demselben Gebiete frivolstem und frevelhaftestem Unwerth begegnete und die Affenliebe amerikanischer National-Eitelkeit kein Hehl hatte, was für ein Prinzip sie hielt und begünstigte. Wir lesen:
Am Krankenbette Mr. Gull's, des County-Clerks zu New Lisbon traf ich heute mit einem wandernden Arzte zusammen. Zur Zeit der Fieber sind nämlich die Schüler Aeskulap's hier Landes stark unterwegs, indem sie in dünn bevölkerten Strichen von Farm zu Farm, von Städt¬
Fiebers erſcholl jetzt im Lande, und unſer Held trug zwar einen adop¬ tirten Namen, doch ſein Dr. nicht umſonſt davor. Unaufgefordert bot er Nahen und Fernen Hilfe. Leider werden wir belehrt, daß auch die That des Thätigen nicht Zufriedenheit gibt, wo der Boden fehlt, das Schöne ſchön zu empfangen.
Beginnen wir in ſeinen Aufzeichnungen unſre Leſe:
Es iſt Hochſommer, das ganze Land liegt im Fieber. Ich reite weit und breit herum und bin, wie man ſagt, nützlich. Aber ich habe keine Freude daran. Der Amerikaner verſteht den europäiſchen „Ret¬ tungsengel“ nicht. Er honorirt ihn mit ſeinen Dollars, und wenn's der Engel ausſchlägt, ſo hält er ihn für einen Simpel. Oder es kommen die giftigen Kannegießer und Mediſance-Pächter, die auch bei der dünnſten Urwaldsbevölkerung in dieſem Claquen- und Cliquen¬ lande nicht fehlen, die ſtecken die Köpfe zuſammen und munkeln: Was will der Kerl? gebt Acht, der will was. Er macht Partei für die Dütchmens, er iſt ein Papiſt, er bringt die Cholera in's Land und ähnlichen Unſinn. Und dann — hab' ich am Ende doch die Arzneikunſt verlaſſen, weil ich Poet bin und der Anblick der lei¬ denden Materie den Geiſt zu Boden drückt, ſtatt ihn zu erheben. Bin ich nach Amerika gegangen, um dunſtige Bettdecken aufzuheben und belegte Zungen zu ſehen, — dieſelben Zungen, deren geübteſte Muskelbewegung das „damn'dDutchman“ iſt? So komme ich oft Abends nach Hauſe — mit einem langen Schatten-Queue von Me¬ lancholie hinter mir her, ich könnte zehn Schlemihls damit verſorgen und bin am Ende ſelbſt einer.
Das iſt deutlich. Aber vollends ins Zerrbild gezogen fand Moor¬ feld den Werth ſeines guten Willens, wenn er auf demſelben Gebiete frivolſtem und frevelhafteſtem Unwerth begegnete und die Affenliebe amerikaniſcher National-Eitelkeit kein Hehl hatte, was für ein Prinzip ſie hielt und begünſtigte. Wir leſen:
Am Krankenbette Mr. Gull's, des County-Clerks zu New Lisbon traf ich heute mit einem wandernden Arzte zuſammen. Zur Zeit der Fieber ſind nämlich die Schüler Aeskulap's hier Landes ſtark unterwegs, indem ſie in dünn bevölkerten Strichen von Farm zu Farm, von Städt¬
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Fiebers erſcholl jetzt im Lande, und unſer Held trug zwar einen adop¬
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Nahen und Fernen Hilfe. Leider werden wir belehrt, daß auch die
That des Thätigen nicht Zufriedenheit gibt, wo der Boden fehlt, das
Schöne ſchön zu empfangen.
Beginnen wir in ſeinen Aufzeichnungen unſre Leſe:
Es iſt Hochſommer, das ganze Land liegt im Fieber. Ich reite
weit und breit herum und bin, wie man ſagt, nützlich. Aber ich habe
keine Freude daran. Der Amerikaner verſteht den europäiſchen „Ret¬
tungsengel“ nicht. Er honorirt ihn mit ſeinen Dollars, und wenn's
der Engel ausſchlägt, ſo hält er ihn für einen Simpel. Oder es
kommen die giftigen Kannegießer und Mediſance-Pächter, die auch bei
der dünnſten Urwaldsbevölkerung in dieſem Claquen- und Cliquen¬
lande nicht fehlen, die ſtecken die Köpfe zuſammen und munkeln:
Was will der Kerl? gebt Acht, der will was. Er macht Partei
für die Dütchmens, er iſt ein Papiſt, er bringt die Cholera in's
Land und ähnlichen Unſinn. Und dann — hab' ich am Ende doch
die Arzneikunſt verlaſſen, weil ich Poet bin und der Anblick der lei¬
denden Materie den Geiſt zu Boden drückt, ſtatt ihn zu erheben.
Bin ich nach Amerika gegangen, um dunſtige Bettdecken aufzuheben
und belegte Zungen zu ſehen, — dieſelben Zungen, deren geübteſte
Muskelbewegung das „damn'd Dutchman“ iſt? So komme ich oft
Abends nach Hauſe — mit einem langen Schatten-Queue von Me¬
lancholie hinter mir her, ich könnte zehn Schlemihls damit verſorgen
und bin am Ende ſelbſt einer.
Das iſt deutlich. Aber vollends ins Zerrbild gezogen fand Moor¬
feld den Werth ſeines guten Willens, wenn er auf demſelben Gebiete
frivolſtem und frevelhafteſtem Unwerth begegnete und die Affenliebe
amerikaniſcher National-Eitelkeit kein Hehl hatte, was für ein Prinzip
ſie hielt und begünſtigte. Wir leſen:
Am Krankenbette Mr. Gull's, des County-Clerks zu New Lisbon
traf ich heute mit einem wandernden Arzte zuſammen. Zur Zeit der
Fieber ſind nämlich die Schüler Aeskulap's hier Landes ſtark unterwegs,
indem ſie in dünn bevölkerten Strichen von Farm zu Farm, von Städt¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/368>, abgerufen am 24.11.2024.
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