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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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chen zu Städtchen ziehen und den gesteigerten Bedarf bei äußerst unzu¬
reichender Local-Deckung durch das System der Ambulance befriedigen.
Gerechter Gott, was nennt sich hier Arzt! Ich sah einen Burschen vor
mir mit einem Busineß-Gesicht, wie man sie, die Hand in der Hosen¬
tasche, den Yankee-Doodle-Pfiff auf den Lippen, beim Wollballen, beim
Pferdehandel, bei der Mock-Auction, kurz in allen Branchen der Dollar¬
Macherei stereotyp findet. Ein Ausdruck von Leichtsinn und Unverschämt¬
heit lag auf diesem Gesichte, der mich schaudern machte. Die Art, wie
sich der Mensch um den Zustand des Kranken erkundigte, verrieth mir,
daß er die medicinischen Kenntnisse ungefähr so besaß, wie ein Bücher¬
verleiher die Literatur-Kenntniß. Es waren leere Repräsentations-
Fragen, womit er ein Viertelstündchen ausfüllte, um sodann eine
exorbitante Dosis China zu verordnen, welches Medicament er aus
seiner mithabenden Apotheke in möglichst großen Quantitäten gegen
möglichst viele Dollars zu verabfolgen, offenbar für seinen Hauptberuf
hielt. Ich sah dem Treiben in laienhafter Verwunderung zu. Noch
hatte ich keinen Begriff von dem ganzen Umfange der Schlechtigkeit,
deren Verkörperung vor mir stand. Beim Anblicke seiner Chinarinde,
die überdies zu der schlechtesten Sorte gehörte, bemerkte ich daher, --
bloß auf die Empfehlung und Ausbreitung des Guten bedacht -- daß
sich Amerika, wo dieses Medicament eine so große Rolle spiele, mehr
und mehr den Gebrauch des Chinins aneignen sollte. Es sei frei¬
lich eine theure Arzenei, aber man erspare dem Kranken die Ver¬
dauung vieler nutzloser Stoffe, indem man die größere Masse der
Chinagabe auf das Volumen des eigentlich Wirksamen reducire, auch
setze Chinin uns in den Stand, mit genau bestimmbaren Gewichts¬
mengen auf den Körper zu wirken, während in demselben Gewichte
der Chinarinde sehr wechselnde Mengen des wirksamen Stoffes vor¬
handen seien. -- Der Humbuger erblickte mit einiger Bestürzung einen
Fachmann in seinem Bereich, faßte sich aber sogleich und antwortete
schnell: Ganz Ihrer Meinung, ganz Ihr Meinung, Herr Collega;
nichts über Chinin, ja wohl, Chinin, -- good, very good! ganz
Ihrer Meinung. Aber, setzte er mit gedämpfter Stimme, mich an
das Fenster ziehend, hinzu -- verdammter Unsinn wär's, Mister, für
mehr Geld weniger Arzenei zu bieten. Die Leute wollen das Maul
recht voll. Ich entzog mich kalt dieser empörenden Vertraulichkeit und

chen zu Städtchen ziehen und den geſteigerten Bedarf bei äußerſt unzu¬
reichender Local-Deckung durch das Syſtem der Ambulance befriedigen.
Gerechter Gott, was nennt ſich hier Arzt! Ich ſah einen Burſchen vor
mir mit einem Buſineß-Geſicht, wie man ſie, die Hand in der Hoſen¬
taſche, den Yankee-Doodle-Pfiff auf den Lippen, beim Wollballen, beim
Pferdehandel, bei der Mock-Auction, kurz in allen Branchen der Dollar¬
Macherei ſtereotyp findet. Ein Ausdruck von Leichtſinn und Unverſchämt¬
heit lag auf dieſem Geſichte, der mich ſchaudern machte. Die Art, wie
ſich der Menſch um den Zuſtand des Kranken erkundigte, verrieth mir,
daß er die mediciniſchen Kenntniſſe ungefähr ſo beſaß, wie ein Bücher¬
verleiher die Literatur-Kenntniß. Es waren leere Repräſentations-
Fragen, womit er ein Viertelſtündchen ausfüllte, um ſodann eine
exorbitante Doſis China zu verordnen, welches Medicament er aus
ſeiner mithabenden Apotheke in möglichſt großen Quantitäten gegen
möglichſt viele Dollars zu verabfolgen, offenbar für ſeinen Hauptberuf
hielt. Ich ſah dem Treiben in laienhafter Verwunderung zu. Noch
hatte ich keinen Begriff von dem ganzen Umfange der Schlechtigkeit,
deren Verkörperung vor mir ſtand. Beim Anblicke ſeiner Chinarinde,
die überdies zu der ſchlechteſten Sorte gehörte, bemerkte ich daher, —
bloß auf die Empfehlung und Ausbreitung des Guten bedacht — daß
ſich Amerika, wo dieſes Medicament eine ſo große Rolle ſpiele, mehr
und mehr den Gebrauch des Chinins aneignen ſollte. Es ſei frei¬
lich eine theure Arzenei, aber man erſpare dem Kranken die Ver¬
dauung vieler nutzloſer Stoffe, indem man die größere Maſſe der
Chinagabe auf das Volumen des eigentlich Wirkſamen reducire, auch
ſetze Chinin uns in den Stand, mit genau beſtimmbaren Gewichts¬
mengen auf den Körper zu wirken, während in demſelben Gewichte
der Chinarinde ſehr wechſelnde Mengen des wirkſamen Stoffes vor¬
handen ſeien. — Der Humbuger erblickte mit einiger Beſtürzung einen
Fachmann in ſeinem Bereich, faßte ſich aber ſogleich und antwortete
ſchnell: Ganz Ihrer Meinung, ganz Ihr Meinung, Herr Collega;
nichts über Chinin, ja wohl, Chinin, — good, very good! ganz
Ihrer Meinung. Aber, ſetzte er mit gedämpfter Stimme, mich an
das Fenſter ziehend, hinzu — verdammter Unſinn wär's, Miſter, für
mehr Geld weniger Arzenei zu bieten. Die Leute wollen das Maul
recht voll. Ich entzog mich kalt dieſer empörenden Vertraulichkeit und

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[351/0369] chen zu Städtchen ziehen und den geſteigerten Bedarf bei äußerſt unzu¬ reichender Local-Deckung durch das Syſtem der Ambulance befriedigen. Gerechter Gott, was nennt ſich hier Arzt! Ich ſah einen Burſchen vor mir mit einem Buſineß-Geſicht, wie man ſie, die Hand in der Hoſen¬ taſche, den Yankee-Doodle-Pfiff auf den Lippen, beim Wollballen, beim Pferdehandel, bei der Mock-Auction, kurz in allen Branchen der Dollar¬ Macherei ſtereotyp findet. Ein Ausdruck von Leichtſinn und Unverſchämt¬ heit lag auf dieſem Geſichte, der mich ſchaudern machte. Die Art, wie ſich der Menſch um den Zuſtand des Kranken erkundigte, verrieth mir, daß er die mediciniſchen Kenntniſſe ungefähr ſo beſaß, wie ein Bücher¬ verleiher die Literatur-Kenntniß. Es waren leere Repräſentations- Fragen, womit er ein Viertelſtündchen ausfüllte, um ſodann eine exorbitante Doſis China zu verordnen, welches Medicament er aus ſeiner mithabenden Apotheke in möglichſt großen Quantitäten gegen möglichſt viele Dollars zu verabfolgen, offenbar für ſeinen Hauptberuf hielt. Ich ſah dem Treiben in laienhafter Verwunderung zu. Noch hatte ich keinen Begriff von dem ganzen Umfange der Schlechtigkeit, deren Verkörperung vor mir ſtand. Beim Anblicke ſeiner Chinarinde, die überdies zu der ſchlechteſten Sorte gehörte, bemerkte ich daher, — bloß auf die Empfehlung und Ausbreitung des Guten bedacht — daß ſich Amerika, wo dieſes Medicament eine ſo große Rolle ſpiele, mehr und mehr den Gebrauch des Chinins aneignen ſollte. Es ſei frei¬ lich eine theure Arzenei, aber man erſpare dem Kranken die Ver¬ dauung vieler nutzloſer Stoffe, indem man die größere Maſſe der Chinagabe auf das Volumen des eigentlich Wirkſamen reducire, auch ſetze Chinin uns in den Stand, mit genau beſtimmbaren Gewichts¬ mengen auf den Körper zu wirken, während in demſelben Gewichte der Chinarinde ſehr wechſelnde Mengen des wirkſamen Stoffes vor¬ handen ſeien. — Der Humbuger erblickte mit einiger Beſtürzung einen Fachmann in ſeinem Bereich, faßte ſich aber ſogleich und antwortete ſchnell: Ganz Ihrer Meinung, ganz Ihr Meinung, Herr Collega; nichts über Chinin, ja wohl, Chinin, — good, very good! ganz Ihrer Meinung. Aber, ſetzte er mit gedämpfter Stimme, mich an das Fenſter ziehend, hinzu — verdammter Unſinn wär's, Miſter, für mehr Geld weniger Arzenei zu bieten. Die Leute wollen das Maul recht voll. Ich entzog mich kalt dieſer empörenden Vertraulichkeit und

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/369>, abgerufen am 24.11.2024.