ein Gesellschafter für mich! Der brave Anhorst! Hätt' er mir einen lider¬ lichen aber lustigen Irländer zugebracht, -- meine Rumflaschen wür¬ den leerer, aber meine Einsamkeit voller. Welch eine Gesellschaft!
Und wenn ich nun Nachts im Bette liege und aufwache und mich besinne, ich bin in Amerika, dem Lande meiner langen, alten Sehnsucht, so komme ich mir vor -- wie eine ägyptische Mumie, die unter Mehmet Ali die Augen aufschlägt! Seit ich in den Hafen von New¬ york einlief, dünkt es mir Jahrtausende und doch -- wenn ich einen tüchtigen Brocken, einen guten Schluck Lebensgefühl haben will, kann ich nur daran anknüpfen, und Alles dazwischen liegende ist so ver¬ dünnt! so unsättlich! Wenigstens in der hohen Erregbarkeit einer schlaflosen Nacht. Ja, mitten in der Finsterniß, wo ich nichts sehe, empfinde ich die Fremde noch weit empfindlicher, als am hellen, bilder¬ vollen Tage. Die feineren Sinne kommen dann in's Spiel. Denn das ist richtig, die Nacht hat ihren Geruch, ihre Acustik, wie der Tag; nur sind die Sinne dafür schärfer, etwa wie die eines Blinden. Wach' ich in Europa aus dem Schlafe auf: ein bellender Hund -- ein Hahnschrei -- ein Flämmchen im Nachbarhause, -- ein Posthorn auf der Landstraße -- den classischen Nachtwächter nicht zu vergessen, -- das Alles hat seine eigene, dem Gemüth fest verwachsene Staffage. So athmen, wie bekannt, auch die Pflanzen stärker des Nachts, und der eigenthümliche Geruch eines ganzen Landes, ja Welttheils, kann nur in der Nacht vernommen werden. Es geht ein schwärmerischer Zug durch die europäischen Nächte, eine zaubervolle, geistige Hell¬ seherei, -- was sind sie denn sonst, die Elfen, als diese spielenden körpergewichtslosen Regungen? Hier dehnt die Nacht nicht aus, sie drückt zusammen, ist kalt -- schrill -- hart. In meinem Kamin bläst sich eine Kröte auf, in den Wandspalten des Blockhauses klemmt sich eine Natter ein und pfeift in Todesangst, -- das sind die Nachttöne, die mich hier wecken. Ich stiere zur Fensterlucke hinaus, ob die Sonne Homers schon komme oder die rosenfingerige Eos, und im Finstern, statt kühlender, weich-wehender Lindenschatten, glotzen mich verkohlte Baumstrünke an. Und nebenan schläft mir der Schottländer, und träumt von dem erstickten Sohn im Kohlenschacht und von der ver¬
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ein Geſellſchafter für mich! Der brave Anhorſt! Hätt' er mir einen lider¬ lichen aber luſtigen Irländer zugebracht, — meine Rumflaſchen wür¬ den leerer, aber meine Einſamkeit voller. Welch eine Geſellſchaft!
Und wenn ich nun Nachts im Bette liege und aufwache und mich beſinne, ich bin in Amerika, dem Lande meiner langen, alten Sehnſucht, ſo komme ich mir vor — wie eine ägyptiſche Mumie, die unter Mehmet Ali die Augen aufſchlägt! Seit ich in den Hafen von New¬ york einlief, dünkt es mir Jahrtauſende und doch — wenn ich einen tüchtigen Brocken, einen guten Schluck Lebensgefühl haben will, kann ich nur daran anknüpfen, und Alles dazwiſchen liegende iſt ſo ver¬ dünnt! ſo unſättlich! Wenigſtens in der hohen Erregbarkeit einer ſchlafloſen Nacht. Ja, mitten in der Finſterniß, wo ich nichts ſehe, empfinde ich die Fremde noch weit empfindlicher, als am hellen, bilder¬ vollen Tage. Die feineren Sinne kommen dann in's Spiel. Denn das iſt richtig, die Nacht hat ihren Geruch, ihre Acuſtik, wie der Tag; nur ſind die Sinne dafür ſchärfer, etwa wie die eines Blinden. Wach' ich in Europa aus dem Schlafe auf: ein bellender Hund — ein Hahnſchrei — ein Flämmchen im Nachbarhauſe, — ein Poſthorn auf der Landſtraße — den claſſiſchen Nachtwächter nicht zu vergeſſen, — das Alles hat ſeine eigene, dem Gemüth feſt verwachſene Staffage. So athmen, wie bekannt, auch die Pflanzen ſtärker des Nachts, und der eigenthümliche Geruch eines ganzen Landes, ja Welttheils, kann nur in der Nacht vernommen werden. Es geht ein ſchwärmeriſcher Zug durch die europäiſchen Nächte, eine zaubervolle, geiſtige Hell¬ ſeherei, — was ſind ſie denn ſonſt, die Elfen, als dieſe ſpielenden körpergewichtsloſen Regungen? Hier dehnt die Nacht nicht aus, ſie drückt zuſammen, iſt kalt — ſchrill — hart. In meinem Kamin bläſt ſich eine Kröte auf, in den Wandſpalten des Blockhauſes klemmt ſich eine Natter ein und pfeift in Todesangſt, — das ſind die Nachttöne, die mich hier wecken. Ich ſtiere zur Fenſterlucke hinaus, ob die Sonne Homers ſchon komme oder die roſenfingerige Eos, und im Finſtern, ſtatt kühlender, weich-wehender Lindenſchatten, glotzen mich verkohlte Baumſtrünke an. Und nebenan ſchläft mir der Schottländer, und träumt von dem erſtickten Sohn im Kohlenſchacht und von der ver¬
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ein Geſellſchafter für mich! Der brave Anhorſt! Hätt' er mir einen lider¬
lichen aber luſtigen Irländer zugebracht, — meine Rumflaſchen wür¬
den leerer, aber meine Einſamkeit voller. Welch eine Geſellſchaft!
Und wenn ich nun Nachts im Bette liege und aufwache und mich
beſinne, ich bin in Amerika, dem Lande meiner langen, alten Sehnſucht,
ſo komme ich mir vor — wie eine ägyptiſche Mumie, die unter
Mehmet Ali die Augen aufſchlägt! Seit ich in den Hafen von New¬
york einlief, dünkt es mir Jahrtauſende und doch — wenn ich einen
tüchtigen Brocken, einen guten Schluck Lebensgefühl haben will, kann
ich nur daran anknüpfen, und Alles dazwiſchen liegende iſt ſo ver¬
dünnt! ſo unſättlich! Wenigſtens in der hohen Erregbarkeit einer
ſchlafloſen Nacht. Ja, mitten in der Finſterniß, wo ich nichts ſehe,
empfinde ich die Fremde noch weit empfindlicher, als am hellen, bilder¬
vollen Tage. Die feineren Sinne kommen dann in's Spiel. Denn
das iſt richtig, die Nacht hat ihren Geruch, ihre Acuſtik, wie der Tag;
nur ſind die Sinne dafür ſchärfer, etwa wie die eines Blinden.
Wach' ich in Europa aus dem Schlafe auf: ein bellender Hund —
ein Hahnſchrei — ein Flämmchen im Nachbarhauſe, — ein Poſthorn
auf der Landſtraße — den claſſiſchen Nachtwächter nicht zu vergeſſen, —
das Alles hat ſeine eigene, dem Gemüth feſt verwachſene Staffage.
So athmen, wie bekannt, auch die Pflanzen ſtärker des Nachts, und
der eigenthümliche Geruch eines ganzen Landes, ja Welttheils, kann
nur in der Nacht vernommen werden. Es geht ein ſchwärmeriſcher
Zug durch die europäiſchen Nächte, eine zaubervolle, geiſtige Hell¬
ſeherei, — was ſind ſie denn ſonſt, die Elfen, als dieſe ſpielenden
körpergewichtsloſen Regungen? Hier dehnt die Nacht nicht aus, ſie
drückt zuſammen, iſt kalt — ſchrill — hart. In meinem Kamin
bläſt ſich eine Kröte auf, in den Wandſpalten des Blockhauſes klemmt
ſich eine Natter ein und pfeift in Todesangſt, — das ſind die Nachttöne,
die mich hier wecken. Ich ſtiere zur Fenſterlucke hinaus, ob die Sonne
Homers ſchon komme oder die roſenfingerige Eos, und im Finſtern,
ſtatt kühlender, weich-wehender Lindenſchatten, glotzen mich verkohlte
Baumſtrünke an. Und nebenan ſchläft mir der Schottländer, und
träumt von dem erſtickten Sohn im Kohlenſchacht und von der ver¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/377>, abgerufen am 24.11.2024.
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