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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Mein braver Anhorst! Was er mir diesen Knecht, den Schottlän¬
der Adin Ballan, mit Sorgfalt ausgesucht hat! Und wie undankbar
bin ich! Der Mann ist fleißig, nüchtern, treu, wachsam, exemplarisch
bis zur naturhistorischen Merkwürdigkeit. Seine Tugenden gehen wie
eine Uhr. Er hat keine Bedürfnisse, keine Wünsche, keine Genüsse, --
man kann ihn mit nichts glücklich machen. Ein Primchen Tabak, ein
Quart Cider und gerösteter Speck -- für diesen Preis hält er die
Erde aus. Das ist heute wie morgen der Uhrschlüssel womit er auf¬
gezogen wird. Nichts drüber. Nie! Meine feinen Rumflaschen könn¬
ten eben so gut mit Sand gefüllt sein. Wie oft bot ich ihm davon,
in der Absicht ihm die Zunge zu lösen, denn er ist zu seinen übrigen
Tugend-Lastern so gesprächig wie ein Fischteich. Umsonst. Selbst in
Gesellschaft hält er nicht mit. Unlängst hatte ich den Tischler Rapp
zu einer Powle Punsch gebeten, und ihn ein paar wackre Bekannte
mitnehmen lassen. Wir waren aufgeweckt, wie das Salz der Erde;
mein Ballan aber trank sein Quart Cider, und absolut nichts weiter.
Er ist nicht Temperance-Mann, er bildet sich keine Krankheit ein, die
Enthaltsamkeit ist eine Art Monomanie bei ihm. Er ist ein Mann
in den mittleren Jahren, hat einen Sohn in den Kohlengruben von
Newcastle verloren und seine Frau auf der Ueberfahrt. Unglück ge¬
nug, um eine Anlage zur Melancholie auszubilden. Er ist aber auch
nicht melancholisch. Möglich, daß er es war und auch dieses Stadium
schon überwunden hat; wenigstens kannt' ich als Knabe einen Sieben¬
bürger Sachsen, der im Hause meiner Eltern öfter von seinen trau¬
rigen Lebensschicksalen erzählte, und stets damit schloß, wie gefaßt er
sei, und wie christlich er überwunden habe. Ich erinnere mich deut¬
lich, wie peinlich mir der Mann war. Daß man nach seinen Schick¬
salen anstatt wahnsinnig oder todt zu sein, mit Leinwand handeln
könne, verwirrte und demüthigte mein eigenes Mensch-Bewußtsein.
Bei meinem Schotten speculirte ich Anfangs auf Ossian und alte
Balladen -- es war mein crassester Fehlschuß, den ich gethan. Er
sagte, in seiner Jugend habe er wohl zum Dudelsack gesungen. Er
sagt' es mit einem Ton, als ob ohne Jugend und Dudelsack so wenig
Schall im Menschen, wie in einem ausgeweideten Leib. Auch meine
Geige macht ihm keinen Eindruck. Es scheint, Musik sind ihm nur
die schrillen, schnarrenden Klangfarben -- Klarinett, Dudelsack. Welch

Mein braver Anhorſt! Was er mir dieſen Knecht, den Schottlän¬
der Adin Ballan, mit Sorgfalt ausgeſucht hat! Und wie undankbar
bin ich! Der Mann iſt fleißig, nüchtern, treu, wachſam, exemplariſch
bis zur naturhiſtoriſchen Merkwürdigkeit. Seine Tugenden gehen wie
eine Uhr. Er hat keine Bedürfniſſe, keine Wünſche, keine Genüſſe, —
man kann ihn mit nichts glücklich machen. Ein Primchen Tabak, ein
Quart Cider und geröſteter Speck — für dieſen Preis hält er die
Erde aus. Das iſt heute wie morgen der Uhrſchlüſſel womit er auf¬
gezogen wird. Nichts drüber. Nie! Meine feinen Rumflaſchen könn¬
ten eben ſo gut mit Sand gefüllt ſein. Wie oft bot ich ihm davon,
in der Abſicht ihm die Zunge zu löſen, denn er iſt zu ſeinen übrigen
Tugend-Laſtern ſo geſprächig wie ein Fiſchteich. Umſonſt. Selbſt in
Geſellſchaft hält er nicht mit. Unlängſt hatte ich den Tiſchler Rapp
zu einer Powle Punſch gebeten, und ihn ein paar wackre Bekannte
mitnehmen laſſen. Wir waren aufgeweckt, wie das Salz der Erde;
mein Ballan aber trank ſein Quart Cider, und abſolut nichts weiter.
Er iſt nicht Temperance-Mann, er bildet ſich keine Krankheit ein, die
Enthaltſamkeit iſt eine Art Monomanie bei ihm. Er iſt ein Mann
in den mittleren Jahren, hat einen Sohn in den Kohlengruben von
Newcaſtle verloren und ſeine Frau auf der Ueberfahrt. Unglück ge¬
nug, um eine Anlage zur Melancholie auszubilden. Er iſt aber auch
nicht melancholiſch. Möglich, daß er es war und auch dieſes Stadium
ſchon überwunden hat; wenigſtens kannt' ich als Knabe einen Sieben¬
bürger Sachſen, der im Hauſe meiner Eltern öfter von ſeinen trau¬
rigen Lebensſchickſalen erzählte, und ſtets damit ſchloß, wie gefaßt er
ſei, und wie chriſtlich er überwunden habe. Ich erinnere mich deut¬
lich, wie peinlich mir der Mann war. Daß man nach ſeinen Schick¬
ſalen anſtatt wahnſinnig oder todt zu ſein, mit Leinwand handeln
könne, verwirrte und demüthigte mein eigenes Menſch-Bewußtſein.
Bei meinem Schotten ſpeculirte ich Anfangs auf Oſſian und alte
Balladen — es war mein craſſeſter Fehlſchuß, den ich gethan. Er
ſagte, in ſeiner Jugend habe er wohl zum Dudelſack geſungen. Er
ſagt' es mit einem Ton, als ob ohne Jugend und Dudelſack ſo wenig
Schall im Menſchen, wie in einem ausgeweideten Leib. Auch meine
Geige macht ihm keinen Eindruck. Es ſcheint, Muſik ſind ihm nur
die ſchrillen, ſchnarrenden Klangfarben — Klarinett, Dudelſack. Welch

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[358/0376] Mein braver Anhorſt! Was er mir dieſen Knecht, den Schottlän¬ der Adin Ballan, mit Sorgfalt ausgeſucht hat! Und wie undankbar bin ich! Der Mann iſt fleißig, nüchtern, treu, wachſam, exemplariſch bis zur naturhiſtoriſchen Merkwürdigkeit. Seine Tugenden gehen wie eine Uhr. Er hat keine Bedürfniſſe, keine Wünſche, keine Genüſſe, — man kann ihn mit nichts glücklich machen. Ein Primchen Tabak, ein Quart Cider und geröſteter Speck — für dieſen Preis hält er die Erde aus. Das iſt heute wie morgen der Uhrſchlüſſel womit er auf¬ gezogen wird. Nichts drüber. Nie! Meine feinen Rumflaſchen könn¬ ten eben ſo gut mit Sand gefüllt ſein. Wie oft bot ich ihm davon, in der Abſicht ihm die Zunge zu löſen, denn er iſt zu ſeinen übrigen Tugend-Laſtern ſo geſprächig wie ein Fiſchteich. Umſonſt. Selbſt in Geſellſchaft hält er nicht mit. Unlängſt hatte ich den Tiſchler Rapp zu einer Powle Punſch gebeten, und ihn ein paar wackre Bekannte mitnehmen laſſen. Wir waren aufgeweckt, wie das Salz der Erde; mein Ballan aber trank ſein Quart Cider, und abſolut nichts weiter. Er iſt nicht Temperance-Mann, er bildet ſich keine Krankheit ein, die Enthaltſamkeit iſt eine Art Monomanie bei ihm. Er iſt ein Mann in den mittleren Jahren, hat einen Sohn in den Kohlengruben von Newcaſtle verloren und ſeine Frau auf der Ueberfahrt. Unglück ge¬ nug, um eine Anlage zur Melancholie auszubilden. Er iſt aber auch nicht melancholiſch. Möglich, daß er es war und auch dieſes Stadium ſchon überwunden hat; wenigſtens kannt' ich als Knabe einen Sieben¬ bürger Sachſen, der im Hauſe meiner Eltern öfter von ſeinen trau¬ rigen Lebensſchickſalen erzählte, und ſtets damit ſchloß, wie gefaßt er ſei, und wie chriſtlich er überwunden habe. Ich erinnere mich deut¬ lich, wie peinlich mir der Mann war. Daß man nach ſeinen Schick¬ ſalen anſtatt wahnſinnig oder todt zu ſein, mit Leinwand handeln könne, verwirrte und demüthigte mein eigenes Menſch-Bewußtſein. Bei meinem Schotten ſpeculirte ich Anfangs auf Oſſian und alte Balladen — es war mein craſſeſter Fehlſchuß, den ich gethan. Er ſagte, in ſeiner Jugend habe er wohl zum Dudelſack geſungen. Er ſagt' es mit einem Ton, als ob ohne Jugend und Dudelſack ſo wenig Schall im Menſchen, wie in einem ausgeweideten Leib. Auch meine Geige macht ihm keinen Eindruck. Es ſcheint, Muſik ſind ihm nur die ſchrillen, ſchnarrenden Klangfarben — Klarinett, Dudelſack. Welch

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/376>, abgerufen am 24.11.2024.