Schatz. Nur in seinen besten, überzeugtesten Dichterstunden kann die Newyorker-Battery durch seine Leier rauschen.
Moorfeld griff wiederholt diese Melodie, aber -- sie versagte. Mit tödtlicher Verwunderung erfüllte ihn dieser Wortbruch der Musen. Vertrauen und Mißtrauen wechselten so in gleichmäßiger Selbsttäu¬ schung. Wie ein plötzlicher Anflug ihm ausdauernde Kraft, so schien die versagte Gabe des Augenblicks ihm bleibender, unwiederbringlicher Verlust. Er glaubte an eine Abnahme seiner Geisteskräfte. Seine Blätter überflossen von Klagen eines Unglücklichen. Die Termiten der Selbstbeobachtung fielen ihn an, und jeder Zug wurde zum Zeug¬ nisse seines Verfalls. So finden wir die Klage verzeichnet, daß er jetzt einen Nachmittagsschlummer halte, was er sonst nur Philistern überlassen, und was ein verhaßtes Zeichen seiner ausgehenden Jugend. Daß er in Ohio um zehn Breitegrade dem Aequator näher als in Deutschland schlief, für dieses Zeichen nahm er es nicht. Auch die Beobachtung zufälliger Vergeßlichkeit schien ihm verhängnißvoll. Gestern -- schrieb er -- commandirte ich meinen Schottländer nach Neu-Lisbon, das Buch Postpapier zu holen, das ich nebst anderen Sachen in Mr. Clahane's Store eingekauft, aber in der Zerstreuung wieder liegen gelassen. Der Knecht kam zurück, das Papier hätte sich nicht gefunden, ich müsse es haben. Die Gauner haben es Euch ver¬ leugnet, aber hättet Ihr doch um Gotteswillen ein neues Buch gekauft, ich will so eben schreiben, und soll nun passen, bis Ihr noch einmal hin- und zurückreitet. So fuhr ich auf. In demselben Augenblicke aber hielt ich inne, denn ich schrieb ja wirklich an Dich. Und erst daran merkte ich, daß ich das vermißte Papier vor mir unter der Feder hatte. So steht's mit mir. Das ist der Dämon der Einsamkeit. Wahrlich, die Klöster haben nicht verdummt, sie müssen selbst dumm gewesen sein. -- Und ein anderes Mal lesen wir: Kennst Du die Tra¬ gödie von dem elektrischen Aal? Man hat lange die Bemerkung ge¬ macht, wenn der elektrische Aal von den Gewässern Süd-Amerika's nach England verführt wird, so kam er entweder todt, oder todes¬ matt an, kurz, starb ab unterwegs. Man forschte vielfach über diese Erscheinung nach, zog Klima, Nahrung, Gewohnheiten des Thieres etc. in Betracht und erkünstelte ihm in all diesen Stücken auf's Genaueste seine Heimath. Umsonst; er starb ab. Endlich entdeckte man's. Holz
Schatz. Nur in ſeinen beſten, überzeugteſten Dichterſtunden kann die Newyorker-Battery durch ſeine Leier rauſchen.
Moorfeld griff wiederholt dieſe Melodie, aber — ſie verſagte. Mit tödtlicher Verwunderung erfüllte ihn dieſer Wortbruch der Muſen. Vertrauen und Mißtrauen wechſelten ſo in gleichmäßiger Selbſttäu¬ ſchung. Wie ein plötzlicher Anflug ihm ausdauernde Kraft, ſo ſchien die verſagte Gabe des Augenblicks ihm bleibender, unwiederbringlicher Verluſt. Er glaubte an eine Abnahme ſeiner Geiſteskräfte. Seine Blätter überfloſſen von Klagen eines Unglücklichen. Die Termiten der Selbſtbeobachtung fielen ihn an, und jeder Zug wurde zum Zeug¬ niſſe ſeines Verfalls. So finden wir die Klage verzeichnet, daß er jetzt einen Nachmittagsſchlummer halte, was er ſonſt nur Philiſtern überlaſſen, und was ein verhaßtes Zeichen ſeiner ausgehenden Jugend. Daß er in Ohio um zehn Breitegrade dem Aequator näher als in Deutſchland ſchlief, für dieſes Zeichen nahm er es nicht. Auch die Beobachtung zufälliger Vergeßlichkeit ſchien ihm verhängnißvoll. Geſtern — ſchrieb er — commandirte ich meinen Schottländer nach Neu-Lisbon, das Buch Poſtpapier zu holen, das ich nebſt anderen Sachen in Mr. Clahane's Store eingekauft, aber in der Zerſtreuung wieder liegen gelaſſen. Der Knecht kam zurück, das Papier hätte ſich nicht gefunden, ich müſſe es haben. Die Gauner haben es Euch ver¬ leugnet, aber hättet Ihr doch um Gotteswillen ein neues Buch gekauft, ich will ſo eben ſchreiben, und ſoll nun paſſen, bis Ihr noch einmal hin- und zurückreitet. So fuhr ich auf. In demſelben Augenblicke aber hielt ich inne, denn ich ſchrieb ja wirklich an Dich. Und erſt daran merkte ich, daß ich das vermißte Papier vor mir unter der Feder hatte. So ſteht's mit mir. Das iſt der Dämon der Einſamkeit. Wahrlich, die Klöſter haben nicht verdummt, ſie müſſen ſelbſt dumm geweſen ſein. — Und ein anderes Mal leſen wir: Kennſt Du die Tra¬ gödie von dem elektriſchen Aal? Man hat lange die Bemerkung ge¬ macht, wenn der elektriſche Aal von den Gewäſſern Süd-Amerika's nach England verführt wird, ſo kam er entweder todt, oder todes¬ matt an, kurz, ſtarb ab unterwegs. Man forſchte vielfach über dieſe Erſcheinung nach, zog Klima, Nahrung, Gewohnheiten des Thieres ꝛc. in Betracht und erkünſtelte ihm in all dieſen Stücken auf's Genaueſte ſeine Heimath. Umſonſt; er ſtarb ab. Endlich entdeckte man's. Holz
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Schatz. Nur in ſeinen beſten, überzeugteſten Dichterſtunden kann die
Newyorker-Battery durch ſeine Leier rauſchen.
Moorfeld griff wiederholt dieſe Melodie, aber — ſie verſagte.
Mit tödtlicher Verwunderung erfüllte ihn dieſer Wortbruch der Muſen.
Vertrauen und Mißtrauen wechſelten ſo in gleichmäßiger Selbſttäu¬
ſchung. Wie ein plötzlicher Anflug ihm ausdauernde Kraft, ſo ſchien
die verſagte Gabe des Augenblicks ihm bleibender, unwiederbringlicher
Verluſt. Er glaubte an eine Abnahme ſeiner Geiſteskräfte. Seine
Blätter überfloſſen von Klagen eines Unglücklichen. Die Termiten
der Selbſtbeobachtung fielen ihn an, und jeder Zug wurde zum Zeug¬
niſſe ſeines Verfalls. So finden wir die Klage verzeichnet, daß er
jetzt einen Nachmittagsſchlummer halte, was er ſonſt nur Philiſtern
überlaſſen, und was ein verhaßtes Zeichen ſeiner ausgehenden Jugend.
Daß er in Ohio um zehn Breitegrade dem Aequator näher als in
Deutſchland ſchlief, für dieſes Zeichen nahm er es nicht. Auch die
Beobachtung zufälliger Vergeßlichkeit ſchien ihm verhängnißvoll.
Geſtern — ſchrieb er — commandirte ich meinen Schottländer nach
Neu-Lisbon, das Buch Poſtpapier zu holen, das ich nebſt anderen
Sachen in Mr. Clahane's Store eingekauft, aber in der Zerſtreuung
wieder liegen gelaſſen. Der Knecht kam zurück, das Papier hätte ſich
nicht gefunden, ich müſſe es haben. Die Gauner haben es Euch ver¬
leugnet, aber hättet Ihr doch um Gotteswillen ein neues Buch gekauft,
ich will ſo eben ſchreiben, und ſoll nun paſſen, bis Ihr noch einmal
hin- und zurückreitet. So fuhr ich auf. In demſelben Augenblicke
aber hielt ich inne, denn ich ſchrieb ja wirklich an Dich. Und erſt
daran merkte ich, daß ich das vermißte Papier vor mir unter der Feder
hatte. So ſteht's mit mir. Das iſt der Dämon der Einſamkeit.
Wahrlich, die Klöſter haben nicht verdummt, ſie müſſen ſelbſt dumm
geweſen ſein. — Und ein anderes Mal leſen wir: Kennſt Du die Tra¬
gödie von dem elektriſchen Aal? Man hat lange die Bemerkung ge¬
macht, wenn der elektriſche Aal von den Gewäſſern Süd-Amerika's
nach England verführt wird, ſo kam er entweder todt, oder todes¬
matt an, kurz, ſtarb ab unterwegs. Man forſchte vielfach über dieſe
Erſcheinung nach, zog Klima, Nahrung, Gewohnheiten des Thieres ꝛc.
in Betracht und erkünſtelte ihm in all dieſen Stücken auf's Genaueſte
ſeine Heimath. Umſonſt; er ſtarb ab. Endlich entdeckte man's. Holz
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/389>, abgerufen am 24.11.2024.
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