Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Ja, die Klage um die Poesie brachte ihm die Poesie selbst wieder
zurück. Diese Strophen waren sein erstes Gedicht in Ohio. Freilich
blieben sie Fragment. Das gehaltene Aneinanderreihen elegischer Ge¬
danken und Empfindungen zweiter Ordnung scheint den heftigen Affekt
des Dichters nicht befriedigt zu haben; ungeduldig springt er ab davon,
um in dem strafferen Schlußgedanken Alles auf Einmal auszusprechen:
sein Geist erkenne sich in dem Spiegel größerer Zeiten, das Alterthum
hat die Fülle des Lebens erschöpft, der Epigonen ist das Nichts! Wir
finden zu jenem Fragmente nur noch die Schlußstrophe:

Leander küßte meine Hero,
Aus meinen Bechern trank Lucull,
Mein Satanismus gohr in Nero,
Mein Herz floß über in Tibull!
Heut schaufeln wir mit Schulvergnügen
Nach dieses Daseins Span und Zoll,
Freu'n uns an alten Thränenkrügen
Und -- weinen sie von Neuem voll!

Sechstes Kapitel.

In diesen Schmerzen der Acclimatisation wurde Moorfeld von
einem Ereignisse überrascht, das den stilleren Zug seiner geistigen
Gährungen grell unterbrach, und ihn schrecklich vorbereitet fand, das
Unglück mit offenen Armen zu empfangen.

Die Geschichte, von der wir sprechen, findet sich in Briefform an
Benthal gleich seinen übrigen Aufzeichnungen. Wir haben keine Ur¬
sache, für die Form dieser Erzählung eine andere zu wählen; mit
traurigem Danke vielmehr nehmen wir das Bild hin, so wie es ist,
wie es von dem schwerbetheiligten Herzen sich unmittelbar losgelöst,
mit allen eigenen Zügen des Selbsterlebnisses. Keine Kunst der Dar¬
stellung soll dieses Blatt entweihen. --

Wir erinnern uns, daß die Methodistengemeinde zu Lisbon unter
Vortritt ihres Predigers einen Waldgottesdienst, ein sogenanntes camp¬

D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 25

Ja, die Klage um die Poeſie brachte ihm die Poeſie ſelbſt wieder
zurück. Dieſe Strophen waren ſein erſtes Gedicht in Ohio. Freilich
blieben ſie Fragment. Das gehaltene Aneinanderreihen elegiſcher Ge¬
danken und Empfindungen zweiter Ordnung ſcheint den heftigen Affekt
des Dichters nicht befriedigt zu haben; ungeduldig ſpringt er ab davon,
um in dem ſtrafferen Schlußgedanken Alles auf Einmal auszuſprechen:
ſein Geiſt erkenne ſich in dem Spiegel größerer Zeiten, das Alterthum
hat die Fülle des Lebens erſchöpft, der Epigonen iſt das Nichts! Wir
finden zu jenem Fragmente nur noch die Schlußſtrophe:

Leander küßte meine Hero,
Aus meinen Bechern trank Lucull,
Mein Satanismus gohr in Nero,
Mein Herz floß über in Tibull!
Heut ſchaufeln wir mit Schulvergnügen
Nach dieſes Daſeins Span und Zoll,
Freu'n uns an alten Thränenkrügen
Und — weinen ſie von Neuem voll!

Sechstes Kapitel.

In dieſen Schmerzen der Acclimatiſation wurde Moorfeld von
einem Ereigniſſe überraſcht, das den ſtilleren Zug ſeiner geiſtigen
Gährungen grell unterbrach, und ihn ſchrecklich vorbereitet fand, das
Unglück mit offenen Armen zu empfangen.

Die Geſchichte, von der wir ſprechen, findet ſich in Briefform an
Benthal gleich ſeinen übrigen Aufzeichnungen. Wir haben keine Ur¬
ſache, für die Form dieſer Erzählung eine andere zu wählen; mit
traurigem Danke vielmehr nehmen wir das Bild hin, ſo wie es iſt,
wie es von dem ſchwerbetheiligten Herzen ſich unmittelbar losgelöſt,
mit allen eigenen Zügen des Selbſterlebniſſes. Keine Kunſt der Dar¬
ſtellung ſoll dieſes Blatt entweihen. —

Wir erinnern uns, daß die Methodiſtengemeinde zu Lisbon unter
Vortritt ihres Predigers einen Waldgottesdienſt, ein ſogenanntes camp¬

D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0391" n="373"/>
          <p>Ja, die Klage um die Poe&#x017F;ie brachte ihm die Poe&#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t wieder<lb/>
zurück. Die&#x017F;e Strophen waren &#x017F;ein er&#x017F;tes Gedicht in Ohio. Freilich<lb/>
blieben &#x017F;ie Fragment. Das gehaltene Aneinanderreihen elegi&#x017F;cher Ge¬<lb/>
danken und Empfindungen zweiter Ordnung &#x017F;cheint den heftigen Affekt<lb/>
des Dichters nicht befriedigt zu haben; ungeduldig &#x017F;pringt er ab davon,<lb/>
um in dem &#x017F;trafferen Schlußgedanken Alles auf Einmal auszu&#x017F;prechen:<lb/>
&#x017F;ein Gei&#x017F;t erkenne &#x017F;ich in dem Spiegel größerer Zeiten, das Alterthum<lb/>
hat die Fülle des Lebens er&#x017F;chöpft, der Epigonen i&#x017F;t das Nichts! Wir<lb/>
finden zu jenem Fragmente nur noch die Schluß&#x017F;trophe:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>Leander küßte meine Hero,</l><lb/>
            <l>Aus meinen Bechern trank Lucull,</l><lb/>
            <l>Mein Satanismus gohr in Nero,</l><lb/>
            <l>Mein Herz floß über in Tibull!</l><lb/>
            <l>Heut &#x017F;chaufeln wir mit Schulvergnügen</l><lb/>
            <l>Nach die&#x017F;es Da&#x017F;eins Span und Zoll,</l><lb/>
            <l>Freu'n uns an alten Thränenkrügen</l><lb/>
            <l>Und &#x2014; weinen &#x017F;ie von Neuem voll!</l>
          </lg><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b #g">Sechstes Kapitel.</hi><lb/>
          </head>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>In die&#x017F;en Schmerzen der Acclimati&#x017F;ation wurde Moorfeld von<lb/>
einem Ereigni&#x017F;&#x017F;e überra&#x017F;cht, das den &#x017F;tilleren Zug &#x017F;einer gei&#x017F;tigen<lb/>
Gährungen grell unterbrach, und ihn &#x017F;chrecklich vorbereitet fand, das<lb/>
Unglück mit offenen Armen zu empfangen.</p><lb/>
          <p>Die Ge&#x017F;chichte, von der wir &#x017F;prechen, findet &#x017F;ich in Briefform an<lb/>
Benthal gleich &#x017F;einen übrigen Aufzeichnungen. Wir haben keine Ur¬<lb/>
&#x017F;ache, für die Form die&#x017F;er Erzählung eine andere zu wählen; mit<lb/>
traurigem Danke vielmehr nehmen wir das Bild hin, &#x017F;o wie es i&#x017F;t,<lb/>
wie es von dem &#x017F;chwerbetheiligten Herzen &#x017F;ich unmittelbar losgelö&#x017F;t,<lb/>
mit allen eigenen Zügen des Selb&#x017F;terlebni&#x017F;&#x017F;es. Keine Kun&#x017F;t der Dar¬<lb/>
&#x017F;tellung &#x017F;oll die&#x017F;es Blatt entweihen. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Wir erinnern uns, daß die Methodi&#x017F;tengemeinde zu Lisbon unter<lb/>
Vortritt ihres Predigers einen Waldgottesdien&#x017F;t, ein &#x017F;ogenanntes <hi rendition="#aq">camp</hi>¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D. B. <hi rendition="#aq #b">VIII</hi>. Der Amerika-Müde. 25<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0391] Ja, die Klage um die Poeſie brachte ihm die Poeſie ſelbſt wieder zurück. Dieſe Strophen waren ſein erſtes Gedicht in Ohio. Freilich blieben ſie Fragment. Das gehaltene Aneinanderreihen elegiſcher Ge¬ danken und Empfindungen zweiter Ordnung ſcheint den heftigen Affekt des Dichters nicht befriedigt zu haben; ungeduldig ſpringt er ab davon, um in dem ſtrafferen Schlußgedanken Alles auf Einmal auszuſprechen: ſein Geiſt erkenne ſich in dem Spiegel größerer Zeiten, das Alterthum hat die Fülle des Lebens erſchöpft, der Epigonen iſt das Nichts! Wir finden zu jenem Fragmente nur noch die Schlußſtrophe: Leander küßte meine Hero, Aus meinen Bechern trank Lucull, Mein Satanismus gohr in Nero, Mein Herz floß über in Tibull! Heut ſchaufeln wir mit Schulvergnügen Nach dieſes Daſeins Span und Zoll, Freu'n uns an alten Thränenkrügen Und — weinen ſie von Neuem voll! Sechstes Kapitel. In dieſen Schmerzen der Acclimatiſation wurde Moorfeld von einem Ereigniſſe überraſcht, das den ſtilleren Zug ſeiner geiſtigen Gährungen grell unterbrach, und ihn ſchrecklich vorbereitet fand, das Unglück mit offenen Armen zu empfangen. Die Geſchichte, von der wir ſprechen, findet ſich in Briefform an Benthal gleich ſeinen übrigen Aufzeichnungen. Wir haben keine Ur¬ ſache, für die Form dieſer Erzählung eine andere zu wählen; mit traurigem Danke vielmehr nehmen wir das Bild hin, ſo wie es iſt, wie es von dem ſchwerbetheiligten Herzen ſich unmittelbar losgelöſt, mit allen eigenen Zügen des Selbſterlebniſſes. Keine Kunſt der Dar¬ ſtellung ſoll dieſes Blatt entweihen. — Wir erinnern uns, daß die Methodiſtengemeinde zu Lisbon unter Vortritt ihres Predigers einen Waldgottesdienſt, ein ſogenanntes camp¬ D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 25

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/391
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/391>, abgerufen am 24.11.2024.