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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mit seinem kräftigsten Stammholz. Die hohen Laubkronen schliefen
kapuanisch wollüstig in der sammtenen Himmelsbläue, -- aber wenn
sie abendlich zu rauschen anfingen und die Wachfeuer der Versammlung
aufloderten, und ein feierlicher Bußgesang dreinscholl, so mußte -- den
Standpunkt in halbdeutlicher Ferne genommen -- das Bild eine ge¬
waltige Wirkung thun. Die Waldwiese, auf der wir jetzt hielten,
war bereits das Lager des camp-meeting. Auf ihrer Mitte sahen
wir die Fuhrwerke der Pilger in ein längliches Viereck zusammen¬
gestellt, eine Art Wagenburg. Näher am Waldsaume waren Zelte
und Laubhütten zur profanen Haushaltung aufgeschlagen, das Innere
der Wagenburg aber war das Allerheiligste, der penn. An der
Längenfronte desselben in der Mitte stand aus Brettern und Baum¬
ästen gezimmert die Tribüne des Predigers; horizontal vor dieser liefen
die Bänke der Zuhörer, ein Querschnitt durch dieselben bildete einen
Gang, welcher die Geschlechter trennte. Die acht Ecken der beiden
Vierecke, in welche durch diesen Querschnitt das oblonge Quadrat des
penn's zerlegt wurde, sah ich mit Herdstellen versehen. Das Brenn¬
material lag schon jetzt darauf in Bereitschaft zum Anzünden für
den Nachtgottesdienst. Noch war die Wagenburg leer; alle Hände
tummelten sich, die Waldstelle erst häuslich in Besitz zu nehmen.
Daß der ganze Ort übrigens ziemlich ab von dem ungesunden Lisbon
lag, versteht sich unter smart-mens von selbst.

Wir Neulinge sahen sonderbar drein. Da standen wir nun in
der Mitte des fremden Volks -- es mochten wohl einige Tausende
da sein. Ich musterte mir die Versammlung, -- auf den ersten Blick
war's kein reiches Charakterbild. Was ich schon im Einzelnen bemerkt,
fand ich hier ausgedehnter bestätigt: ein Amerikaner sieht dem andern
ähnlich. Es ist ohne Uebertreibung wahr: Amerika, das größte Acker¬
bauland der Erde, hat keinen Bauernstand. Diese Gesichter sieht man
auf unsern Börsen. Jedes drückt List und Sorge aus, ihre spitzen
pfiffigen Nasen stecken gleich Widerhacken in der Zukunft -- nirgend
ein bäuerliches Sattsein in der Gegenwart oder Vergangenheit. Satt
ist Amerika überhaupt nicht, trotz seiner größten Fleischconsumtion.
Ich sah noch keine Corpulenz. Alles spindelt und schlottert, nament¬
lich sind die Köpfe so dürr, wie es die edelste Race, mindestens bei
den Pferden, bedeutet. Hier aber bedeutet es das Fieber.

mit ſeinem kräftigſten Stammholz. Die hohen Laubkronen ſchliefen
kapuaniſch wollüſtig in der ſammtenen Himmelsbläue, — aber wenn
ſie abendlich zu rauſchen anfingen und die Wachfeuer der Verſammlung
aufloderten, und ein feierlicher Bußgeſang dreinſcholl, ſo mußte — den
Standpunkt in halbdeutlicher Ferne genommen — das Bild eine ge¬
waltige Wirkung thun. Die Waldwieſe, auf der wir jetzt hielten,
war bereits das Lager des camp-meeting. Auf ihrer Mitte ſahen
wir die Fuhrwerke der Pilger in ein längliches Viereck zuſammen¬
geſtellt, eine Art Wagenburg. Näher am Waldſaume waren Zelte
und Laubhütten zur profanen Haushaltung aufgeſchlagen, das Innere
der Wagenburg aber war das Allerheiligſte, der penn. An der
Längenfronte deſſelben in der Mitte ſtand aus Brettern und Baum¬
äſten gezimmert die Tribüne des Predigers; horizontal vor dieſer liefen
die Bänke der Zuhörer, ein Querſchnitt durch dieſelben bildete einen
Gang, welcher die Geſchlechter trennte. Die acht Ecken der beiden
Vierecke, in welche durch dieſen Querſchnitt das oblonge Quadrat des
penn's zerlegt wurde, ſah ich mit Herdſtellen verſehen. Das Brenn¬
material lag ſchon jetzt darauf in Bereitſchaft zum Anzünden für
den Nachtgottesdienſt. Noch war die Wagenburg leer; alle Hände
tummelten ſich, die Waldſtelle erſt häuslich in Beſitz zu nehmen.
Daß der ganze Ort übrigens ziemlich ab von dem ungeſunden Lisbon
lag, verſteht ſich unter smart-mens von ſelbſt.

Wir Neulinge ſahen ſonderbar drein. Da ſtanden wir nun in
der Mitte des fremden Volks — es mochten wohl einige Tauſende
da ſein. Ich muſterte mir die Verſammlung, — auf den erſten Blick
war's kein reiches Charakterbild. Was ich ſchon im Einzelnen bemerkt,
fand ich hier ausgedehnter beſtätigt: ein Amerikaner ſieht dem andern
ähnlich. Es iſt ohne Uebertreibung wahr: Amerika, das größte Acker¬
bauland der Erde, hat keinen Bauernſtand. Dieſe Geſichter ſieht man
auf unſern Börſen. Jedes drückt Liſt und Sorge aus, ihre ſpitzen
pfiffigen Naſen ſtecken gleich Widerhacken in der Zukunft — nirgend
ein bäuerliches Sattſein in der Gegenwart oder Vergangenheit. Satt
iſt Amerika überhaupt nicht, trotz ſeiner größten Fleiſchconſumtion.
Ich ſah noch keine Corpulenz. Alles ſpindelt und ſchlottert, nament¬
lich ſind die Köpfe ſo dürr, wie es die edelſte Race, mindeſtens bei
den Pferden, bedeutet. Hier aber bedeutet es das Fieber.

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[382/0400] mit ſeinem kräftigſten Stammholz. Die hohen Laubkronen ſchliefen kapuaniſch wollüſtig in der ſammtenen Himmelsbläue, — aber wenn ſie abendlich zu rauſchen anfingen und die Wachfeuer der Verſammlung aufloderten, und ein feierlicher Bußgeſang dreinſcholl, ſo mußte — den Standpunkt in halbdeutlicher Ferne genommen — das Bild eine ge¬ waltige Wirkung thun. Die Waldwieſe, auf der wir jetzt hielten, war bereits das Lager des camp-meeting. Auf ihrer Mitte ſahen wir die Fuhrwerke der Pilger in ein längliches Viereck zuſammen¬ geſtellt, eine Art Wagenburg. Näher am Waldſaume waren Zelte und Laubhütten zur profanen Haushaltung aufgeſchlagen, das Innere der Wagenburg aber war das Allerheiligſte, der penn. An der Längenfronte deſſelben in der Mitte ſtand aus Brettern und Baum¬ äſten gezimmert die Tribüne des Predigers; horizontal vor dieſer liefen die Bänke der Zuhörer, ein Querſchnitt durch dieſelben bildete einen Gang, welcher die Geſchlechter trennte. Die acht Ecken der beiden Vierecke, in welche durch dieſen Querſchnitt das oblonge Quadrat des penn's zerlegt wurde, ſah ich mit Herdſtellen verſehen. Das Brenn¬ material lag ſchon jetzt darauf in Bereitſchaft zum Anzünden für den Nachtgottesdienſt. Noch war die Wagenburg leer; alle Hände tummelten ſich, die Waldſtelle erſt häuslich in Beſitz zu nehmen. Daß der ganze Ort übrigens ziemlich ab von dem ungeſunden Lisbon lag, verſteht ſich unter smart-mens von ſelbſt. Wir Neulinge ſahen ſonderbar drein. Da ſtanden wir nun in der Mitte des fremden Volks — es mochten wohl einige Tauſende da ſein. Ich muſterte mir die Verſammlung, — auf den erſten Blick war's kein reiches Charakterbild. Was ich ſchon im Einzelnen bemerkt, fand ich hier ausgedehnter beſtätigt: ein Amerikaner ſieht dem andern ähnlich. Es iſt ohne Uebertreibung wahr: Amerika, das größte Acker¬ bauland der Erde, hat keinen Bauernſtand. Dieſe Geſichter ſieht man auf unſern Börſen. Jedes drückt Liſt und Sorge aus, ihre ſpitzen pfiffigen Naſen ſtecken gleich Widerhacken in der Zukunft — nirgend ein bäuerliches Sattſein in der Gegenwart oder Vergangenheit. Satt iſt Amerika überhaupt nicht, trotz ſeiner größten Fleiſchconſumtion. Ich ſah noch keine Corpulenz. Alles ſpindelt und ſchlottert, nament¬ lich ſind die Köpfe ſo dürr, wie es die edelſte Race, mindeſtens bei den Pferden, bedeutet. Hier aber bedeutet es das Fieber.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/400>, abgerufen am 24.11.2024.