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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Mattgold des wiesenflachen Vordergrundes einschnitten, dachte Moor¬
feld zum zweitenmale an seine Einkehr. Indem er den Zirkel der
Gegend nach Spuren menschlicher Nähe durchflog, tönten ihm aus dem
nahen Waldgrund Artschläge entgegen. Moorfeld folgte ihnen. Er
fand einen Mann im Schurzfell und baumwollenen Hemde, welches
bis an den Gürtel eingestreift war, beim Holzfällen. Sein Körper
leuchtete kupferroth vom Widerschein der untergehenden Sonne. Doch
nein; Moorfeld erkannte diese Röthe bald als die natürliche Hautfarbe
des Mannes. Der Holzschläger war ein Indianer.

Zum erstenmal seit er Amerika's Boden betreten, hatte Moorfeld
den Anblick der rothen Race. Der Indianer gehörte offenbar der Ci¬
vilisation an. Sein Wesen unterschied sich in nichts von dem arbeit¬
gewohnten Proletarier. Spuren kriegerischer Wildheit leuchteten nicht
daraus vor. Seine Züge waren die eines alternden, sorgenvollen
Menschen, seine schwarzen Augen lagen hohl und wenn sie nicht eben
mit "der Gedankens Blässe" blickten, so war es doch ein -- christ¬
licher Leidensblick.

Moorfeld hielt sein Thier an, und fragte nach der Lage der nächsten
Farm. Der Indianer maß ihn mit argwöhnischen Blicken, indem er
für alle Fälle seine Axt an sich faßte. Moorfeld durchschaute die Lage
des Mannes. Aus der kurzen Erfahrung seines Grundbesitzes wußte
er, daß der Besitz ausgedehnter Waldstrecken von den Nichtbesitzenden
kaum als ein Recht, ja fast wie eine Versündigung an dem Natur¬
rechte betrachtet, und Jagd und Holzschlag auf sogenanntem fremden
Boden dieser Anschauung gemäß überall ausgeübt wurde. Moorfeld
war kein Gegner dieser Rechtsbegriffe. In Amerika, wo das Holz
mehr Last als Revenüe ist, wo durch die Landspeculation aufgekaufte
Waldmassen überall herrenlos liegen und sogar oft nicht anders als
mit den Noten einer Schwindelbank bezahlt sind: kann der größere
Waldfrevel leicht beim Monopol des Besitzers selbst zu sein scheinen.
Deßungeachtet handhabten viele Besitzer den Schutz ihrer Wälder un¬
erbittlich, mehr mit dem Instinkte der Grausamkeit als der Gerechtigkeit,
und der Indianer fürchtete seinem ganzen Benehmen nach Verrath.

Moorfeld sah daher ein, daß er zuerst um das Vertrauen des rothen
Mannes werben müsse. Er bot dem Arbeitsmüden seine Feldflasche an,
überzeugt, den kürzesten Weg zu seinem Zweck damit einzuschlagen. Aber

Mattgold des wieſenflachen Vordergrundes einſchnitten, dachte Moor¬
feld zum zweitenmale an ſeine Einkehr. Indem er den Zirkel der
Gegend nach Spuren menſchlicher Nähe durchflog, tönten ihm aus dem
nahen Waldgrund Artſchläge entgegen. Moorfeld folgte ihnen. Er
fand einen Mann im Schurzfell und baumwollenen Hemde, welches
bis an den Gürtel eingeſtreift war, beim Holzfällen. Sein Körper
leuchtete kupferroth vom Widerſchein der untergehenden Sonne. Doch
nein; Moorfeld erkannte dieſe Röthe bald als die natürliche Hautfarbe
des Mannes. Der Holzſchläger war ein Indianer.

Zum erſtenmal ſeit er Amerika's Boden betreten, hatte Moorfeld
den Anblick der rothen Race. Der Indianer gehörte offenbar der Ci¬
viliſation an. Sein Weſen unterſchied ſich in nichts von dem arbeit¬
gewohnten Proletarier. Spuren kriegeriſcher Wildheit leuchteten nicht
daraus vor. Seine Züge waren die eines alternden, ſorgenvollen
Menſchen, ſeine ſchwarzen Augen lagen hohl und wenn ſie nicht eben
mit „der Gedankens Bläſſe“ blickten, ſo war es doch ein — chriſt¬
licher Leidensblick.

Moorfeld hielt ſein Thier an, und fragte nach der Lage der nächſten
Farm. Der Indianer maß ihn mit argwöhniſchen Blicken, indem er
für alle Fälle ſeine Axt an ſich faßte. Moorfeld durchſchaute die Lage
des Mannes. Aus der kurzen Erfahrung ſeines Grundbeſitzes wußte
er, daß der Beſitz ausgedehnter Waldſtrecken von den Nichtbeſitzenden
kaum als ein Recht, ja faſt wie eine Verſündigung an dem Natur¬
rechte betrachtet, und Jagd und Holzſchlag auf ſogenanntem fremden
Boden dieſer Anſchauung gemäß überall ausgeübt wurde. Moorfeld
war kein Gegner dieſer Rechtsbegriffe. In Amerika, wo das Holz
mehr Laſt als Revenüe iſt, wo durch die Landſpeculation aufgekaufte
Waldmaſſen überall herrenlos liegen und ſogar oft nicht anders als
mit den Noten einer Schwindelbank bezahlt ſind: kann der größere
Waldfrevel leicht beim Monopol des Beſitzers ſelbſt zu ſein ſcheinen.
Deßungeachtet handhabten viele Beſitzer den Schutz ihrer Wälder un¬
erbittlich, mehr mit dem Inſtinkte der Grauſamkeit als der Gerechtigkeit,
und der Indianer fürchtete ſeinem ganzen Benehmen nach Verrath.

Moorfeld ſah daher ein, daß er zuerſt um das Vertrauen des rothen
Mannes werben müſſe. Er bot dem Arbeitsmüden ſeine Feldflaſche an,
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[403/0421] Mattgold des wieſenflachen Vordergrundes einſchnitten, dachte Moor¬ feld zum zweitenmale an ſeine Einkehr. Indem er den Zirkel der Gegend nach Spuren menſchlicher Nähe durchflog, tönten ihm aus dem nahen Waldgrund Artſchläge entgegen. Moorfeld folgte ihnen. Er fand einen Mann im Schurzfell und baumwollenen Hemde, welches bis an den Gürtel eingeſtreift war, beim Holzfällen. Sein Körper leuchtete kupferroth vom Widerſchein der untergehenden Sonne. Doch nein; Moorfeld erkannte dieſe Röthe bald als die natürliche Hautfarbe des Mannes. Der Holzſchläger war ein Indianer. Zum erſtenmal ſeit er Amerika's Boden betreten, hatte Moorfeld den Anblick der rothen Race. Der Indianer gehörte offenbar der Ci¬ viliſation an. Sein Weſen unterſchied ſich in nichts von dem arbeit¬ gewohnten Proletarier. Spuren kriegeriſcher Wildheit leuchteten nicht daraus vor. Seine Züge waren die eines alternden, ſorgenvollen Menſchen, ſeine ſchwarzen Augen lagen hohl und wenn ſie nicht eben mit „der Gedankens Bläſſe“ blickten, ſo war es doch ein — chriſt¬ licher Leidensblick. Moorfeld hielt ſein Thier an, und fragte nach der Lage der nächſten Farm. Der Indianer maß ihn mit argwöhniſchen Blicken, indem er für alle Fälle ſeine Axt an ſich faßte. Moorfeld durchſchaute die Lage des Mannes. Aus der kurzen Erfahrung ſeines Grundbeſitzes wußte er, daß der Beſitz ausgedehnter Waldſtrecken von den Nichtbeſitzenden kaum als ein Recht, ja faſt wie eine Verſündigung an dem Natur¬ rechte betrachtet, und Jagd und Holzſchlag auf ſogenanntem fremden Boden dieſer Anſchauung gemäß überall ausgeübt wurde. Moorfeld war kein Gegner dieſer Rechtsbegriffe. In Amerika, wo das Holz mehr Laſt als Revenüe iſt, wo durch die Landſpeculation aufgekaufte Waldmaſſen überall herrenlos liegen und ſogar oft nicht anders als mit den Noten einer Schwindelbank bezahlt ſind: kann der größere Waldfrevel leicht beim Monopol des Beſitzers ſelbſt zu ſein ſcheinen. Deßungeachtet handhabten viele Beſitzer den Schutz ihrer Wälder un¬ erbittlich, mehr mit dem Inſtinkte der Grauſamkeit als der Gerechtigkeit, und der Indianer fürchtete ſeinem ganzen Benehmen nach Verrath. Moorfeld ſah daher ein, daß er zuerſt um das Vertrauen des rothen Mannes werben müſſe. Er bot dem Arbeitsmüden ſeine Feldflaſche an, überzeugt, den kürzeſten Weg zu ſeinem Zweck damit einzuſchlagen. Aber

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/421>, abgerufen am 24.11.2024.