und dem Winnebagosee. Dort wurde das Berathungsfeuer angezündet. Die Ufer des Foxflusses wimmelten von Indianern. An dreitausend waren gekommen im Gefolge ihrer Häuptlinge. Die Menomenies, die Winnebagoes, die Stockbridges, die Oneidas, die Chippeways, die Brothertons und noch viele andere, bekehrte und wilde, Ost- und Westvölker sah man vertreten. Vor allen herrlich schritten die Männer und Frauen der stolzen Winnebagoes. Sie trugen die schönsten Waffen, den schönsten Schmuck, hatten die besten Canoes, die stattlichsten Zelte. An einem strahlenreichen Morgen, als über der stillen Fläche des Fox¬ flusses die Nebel zu wallen und sich zu brechen anfingen, betrat ich zuerst ihr weitverstreutes Zeltlager. Hier erblickt' ich die Tochter eines Häuptlings, ein junges, schönes, reichgekleidetes Mädchen. Sie schritt einher mit dem ganzen Stolze jungfräulicher Reinheit und Anmuth. Eine natürliche Heiterkeit strahlte aus ihrem Auge, jede ihrer Bewe¬ gungen war reizend und würdevoll. Sie glich einer Blume im Glanze des ersten Morgenthau's. Nach drei Tagen führte mich mein Dienst wieder zu den Winnebagoes. Ich begegnete demselben Mädchen. Sie saß in einsamer Entfernung von dem väterlichen Zelte am Ufer des Foxflusses. Ihr Haar war los, ihr Schmuck, ihre kostbaren Kleider verschwunden, ein Tuch hing über ihre Schultern und bedeckte noth¬ dürftig ihren Körper. Ihr ganzes Aeußere war ein Bild von ver¬ lorener Selbstachtung. Geist und Adel hatten ihr Antlitz verlassen, ihr Auge stierte todt in die Wellen des Flusses. Bestürzt fragte ich. Ach, sie war zu unschuldig ihr Unglück zu verheimlichen. Ein weißer Mann hatte ihr Feuerwasser gegeben und sie entehrt. Als ich dieses hörte, warf ich meine Bibeln in den Foxfluß, kehrte zurück, und gewinne mein armes Leben mit dieser Axt.
So sprach der Indianer. Moorfeld aber fragte nicht mehr nach der nächsten Farm; er übernachtete in dem Reisigzelte des rothen Mannes.
Wie erwachte er morgens! Verdrossen, nicht leidenschaftlich schleppte er diesen Tag sich weiter. Sein Reisetrieb war gedämpft, der Schmelz jener duftigen Waldregionen dahin. Hätte er nicht Anhorst in Detroit zu finden, oder zu erwarten gehofft, so stand er ganz ziellos jetzt auf sei¬ nen wilden Irrwegen. Dieser Eine Zug bewegte ihn noch vorwärts.
Die Landschaft war heute angenehmer, die Luft dagegen gänzlich verstimmt.
D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 27
und dem Winnebagoſee. Dort wurde das Berathungsfeuer angezündet. Die Ufer des Foxfluſſes wimmelten von Indianern. An dreitauſend waren gekommen im Gefolge ihrer Häuptlinge. Die Menomenies, die Winnebagoes, die Stockbridges, die Oneidas, die Chippeways, die Brothertons und noch viele andere, bekehrte und wilde, Oſt- und Weſtvölker ſah man vertreten. Vor allen herrlich ſchritten die Männer und Frauen der ſtolzen Winnebagoes. Sie trugen die ſchönſten Waffen, den ſchönſten Schmuck, hatten die beſten Canoes, die ſtattlichſten Zelte. An einem ſtrahlenreichen Morgen, als über der ſtillen Fläche des Fox¬ fluſſes die Nebel zu wallen und ſich zu brechen anfingen, betrat ich zuerſt ihr weitverſtreutes Zeltlager. Hier erblickt' ich die Tochter eines Häuptlings, ein junges, ſchönes, reichgekleidetes Mädchen. Sie ſchritt einher mit dem ganzen Stolze jungfräulicher Reinheit und Anmuth. Eine natürliche Heiterkeit ſtrahlte aus ihrem Auge, jede ihrer Bewe¬ gungen war reizend und würdevoll. Sie glich einer Blume im Glanze des erſten Morgenthau's. Nach drei Tagen führte mich mein Dienſt wieder zu den Winnebagoes. Ich begegnete demſelben Mädchen. Sie ſaß in einſamer Entfernung von dem väterlichen Zelte am Ufer des Foxfluſſes. Ihr Haar war los, ihr Schmuck, ihre koſtbaren Kleider verſchwunden, ein Tuch hing über ihre Schultern und bedeckte noth¬ dürftig ihren Körper. Ihr ganzes Aeußere war ein Bild von ver¬ lorener Selbſtachtung. Geiſt und Adel hatten ihr Antlitz verlaſſen, ihr Auge ſtierte todt in die Wellen des Fluſſes. Beſtürzt fragte ich. Ach, ſie war zu unſchuldig ihr Unglück zu verheimlichen. Ein weißer Mann hatte ihr Feuerwaſſer gegeben und ſie entehrt. Als ich dieſes hörte, warf ich meine Bibeln in den Foxfluß, kehrte zurück, und gewinne mein armes Leben mit dieſer Axt.
So ſprach der Indianer. Moorfeld aber fragte nicht mehr nach der nächſten Farm; er übernachtete in dem Reiſigzelte des rothen Mannes.
Wie erwachte er morgens! Verdroſſen, nicht leidenſchaftlich ſchleppte er dieſen Tag ſich weiter. Sein Reiſetrieb war gedämpft, der Schmelz jener duftigen Waldregionen dahin. Hätte er nicht Anhorſt in Detroit zu finden, oder zu erwarten gehofft, ſo ſtand er ganz ziellos jetzt auf ſei¬ nen wilden Irrwegen. Dieſer Eine Zug bewegte ihn noch vorwärts.
Die Landſchaft war heute angenehmer, die Luft dagegen gänzlich verſtimmt.
D. B. VIII. Der Amerika-Müde. 27
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und dem Winnebagoſee. Dort wurde das Berathungsfeuer angezündet.
Die Ufer des Foxfluſſes wimmelten von Indianern. An dreitauſend
waren gekommen im Gefolge ihrer Häuptlinge. Die Menomenies, die
Winnebagoes, die Stockbridges, die Oneidas, die Chippeways, die
Brothertons und noch viele andere, bekehrte und wilde, Oſt- und
Weſtvölker ſah man vertreten. Vor allen herrlich ſchritten die Männer
und Frauen der ſtolzen Winnebagoes. Sie trugen die ſchönſten Waffen,
den ſchönſten Schmuck, hatten die beſten Canoes, die ſtattlichſten Zelte.
An einem ſtrahlenreichen Morgen, als über der ſtillen Fläche des Fox¬
fluſſes die Nebel zu wallen und ſich zu brechen anfingen, betrat ich
zuerſt ihr weitverſtreutes Zeltlager. Hier erblickt' ich die Tochter eines
Häuptlings, ein junges, ſchönes, reichgekleidetes Mädchen. Sie ſchritt
einher mit dem ganzen Stolze jungfräulicher Reinheit und Anmuth.
Eine natürliche Heiterkeit ſtrahlte aus ihrem Auge, jede ihrer Bewe¬
gungen war reizend und würdevoll. Sie glich einer Blume im Glanze
des erſten Morgenthau's. Nach drei Tagen führte mich mein Dienſt
wieder zu den Winnebagoes. Ich begegnete demſelben Mädchen. Sie
ſaß in einſamer Entfernung von dem väterlichen Zelte am Ufer des
Foxfluſſes. Ihr Haar war los, ihr Schmuck, ihre koſtbaren Kleider
verſchwunden, ein Tuch hing über ihre Schultern und bedeckte noth¬
dürftig ihren Körper. Ihr ganzes Aeußere war ein Bild von ver¬
lorener Selbſtachtung. Geiſt und Adel hatten ihr Antlitz verlaſſen, ihr
Auge ſtierte todt in die Wellen des Fluſſes. Beſtürzt fragte ich. Ach,
ſie war zu unſchuldig ihr Unglück zu verheimlichen. Ein weißer Mann
hatte ihr Feuerwaſſer gegeben und ſie entehrt. Als ich dieſes hörte,
warf ich meine Bibeln in den Foxfluß, kehrte zurück, und gewinne
mein armes Leben mit dieſer Axt.
So ſprach der Indianer. Moorfeld aber fragte nicht mehr nach der
nächſten Farm; er übernachtete in dem Reiſigzelte des rothen Mannes.
Wie erwachte er morgens! Verdroſſen, nicht leidenſchaftlich ſchleppte
er dieſen Tag ſich weiter. Sein Reiſetrieb war gedämpft, der Schmelz jener
duftigen Waldregionen dahin. Hätte er nicht Anhorſt in Detroit zu
finden, oder zu erwarten gehofft, ſo ſtand er ganz ziellos jetzt auf ſei¬
nen wilden Irrwegen. Dieſer Eine Zug bewegte ihn noch vorwärts.
Die Landſchaft war heute angenehmer, die Luft dagegen gänzlich
verſtimmt.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/423>, abgerufen am 24.11.2024.
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