seiner obern Gesichtshälfte in der gewohnheitsmäßigen Heiterkeit der Stirn und des Auges noch siegreich genug hinweggelächelt, hat aber in der untern Hälfte, die überhaupt unbedeutend gedrängt und gekniffen ist, zwischen dünngespannten Lippen und krampfhaften Mundwinkeln eine sehr be¬ merkbarte Heimath. Die ganze Erscheinung machte den Eindruck eines Mannes, der stets als Geschäftsmensch gelebt und stets als Gentleman sich gefirnißt hatte.
Dieser Herr trat seinem Gast jetzt entgegen und begrüßte ihn mit einer sorgfältigen Herzlichkeit. Er lud ihn ein, sich zu verbrennen, d. h. er bot ihm das Sopha an, er selbst nahm seinen Platz auf einem von den Stühlen der Königin Mab. Hiermit eröffnete er die Unterhaltung, indem er sich wegen seines schwarzen Dieners Jack ent¬ schuldigte, den er schon vor zwei Stunden an den Landungsplatz ge¬ schickt hätte, um ihn, den erwarteten Gast nämlich, abzuholen. Das Schiff, wisse er, sei so pünktlich eingelaufen, als es signalisirt war, es könne nur die Fahrlässigkeit des Dieners sein, der ihn verfehlt habe, er werde ihm die Genugthuung geben, den Schuldigen zu bestrafen. Moorfeld verbat sich diese Aufmerksamkeit, und da er nicht verkannte, daß das Gesagte auch eine Anspielung auf sein eigenes Verspäten sein könne, so gestand er freimüthig, daß er aus dem Hafengetümmel sich unverzüglich auf die Battery geflüchtet, und dann der Begierde nach¬ gegeben habe, eine Promenade durch die Stadt zu machen. Der Ame¬ rikaner hörte dieser Erklärung salbungsvoll zu, er erhob sich mit einem eigenthümlichen Ausdruck in's Große und Hohe und sagte mit einer gedehnten Feierlichkeit: Ich danke Ihnen im Namen unserer unvergleich¬ lichen Hauptstadt, daß Sie bewundern die Pracht und Größe ihrer An¬ lage, die Thätigkeit ihrer Menschen, den Geist der Freiheit und der Vernunft, der Ihnen entgegenkommt aus allen Bildern unsers öffent¬ lichen Lebens. Haben Sie in Europa sich an ähnlichen Schauspielen zu erfreuen? Moorfeld der zunächst weder von Bewunderung, noch Freude, sondern nur von seiner Schaulust gesprochen, nahm diese Rede ganz so auf, wie er durfte, und sagte gemessen: Europa lebt viel von altem Gelde, Arbeit und Muße harmonirt dort wie Licht und Schat¬ ten in einem fein durchdachten Bilde. Moorfeld erröthete, es fiel ihm auf, daß er in zwei Stunden bereits zweimal seiner Begeisterung wi¬ dersprochen und Europa gegen Amerika bevorzugt. Herr Staunton
ſeiner obern Geſichtshälfte in der gewohnheitsmäßigen Heiterkeit der Stirn und des Auges noch ſiegreich genug hinweggelächelt, hat aber in der untern Hälfte, die überhaupt unbedeutend gedrängt und gekniffen iſt, zwiſchen dünngeſpannten Lippen und krampfhaften Mundwinkeln eine ſehr be¬ merkbarte Heimath. Die ganze Erſcheinung machte den Eindruck eines Mannes, der ſtets als Geſchäftsmenſch gelebt und ſtets als Gentleman ſich gefirnißt hatte.
Dieſer Herr trat ſeinem Gaſt jetzt entgegen und begrüßte ihn mit einer ſorgfältigen Herzlichkeit. Er lud ihn ein, ſich zu verbrennen, d. h. er bot ihm das Sopha an, er ſelbſt nahm ſeinen Platz auf einem von den Stühlen der Königin Mab. Hiermit eröffnete er die Unterhaltung, indem er ſich wegen ſeines ſchwarzen Dieners Jack ent¬ ſchuldigte, den er ſchon vor zwei Stunden an den Landungsplatz ge¬ ſchickt hätte, um ihn, den erwarteten Gaſt nämlich, abzuholen. Das Schiff, wiſſe er, ſei ſo pünktlich eingelaufen, als es ſignaliſirt war, es könne nur die Fahrläſſigkeit des Dieners ſein, der ihn verfehlt habe, er werde ihm die Genugthuung geben, den Schuldigen zu beſtrafen. Moorfeld verbat ſich dieſe Aufmerkſamkeit, und da er nicht verkannte, daß das Geſagte auch eine Anſpielung auf ſein eigenes Verſpäten ſein könne, ſo geſtand er freimüthig, daß er aus dem Hafengetümmel ſich unverzüglich auf die Battery geflüchtet, und dann der Begierde nach¬ gegeben habe, eine Promenade durch die Stadt zu machen. Der Ame¬ rikaner hörte dieſer Erklärung ſalbungsvoll zu, er erhob ſich mit einem eigenthümlichen Ausdruck in's Große und Hohe und ſagte mit einer gedehnten Feierlichkeit: Ich danke Ihnen im Namen unſerer unvergleich¬ lichen Hauptſtadt, daß Sie bewundern die Pracht und Größe ihrer An¬ lage, die Thätigkeit ihrer Menſchen, den Geiſt der Freiheit und der Vernunft, der Ihnen entgegenkommt aus allen Bildern unſers öffent¬ lichen Lebens. Haben Sie in Europa ſich an ähnlichen Schauſpielen zu erfreuen? Moorfeld der zunächſt weder von Bewunderung, noch Freude, ſondern nur von ſeiner Schauluſt geſprochen, nahm dieſe Rede ganz ſo auf, wie er durfte, und ſagte gemeſſen: Europa lebt viel von altem Gelde, Arbeit und Muße harmonirt dort wie Licht und Schat¬ ten in einem fein durchdachten Bilde. Moorfeld erröthete, es fiel ihm auf, daß er in zwei Stunden bereits zweimal ſeiner Begeiſterung wi¬ derſprochen und Europa gegen Amerika bevorzugt. Herr Staunton
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[26/0044]
ſeiner obern Geſichtshälfte in der gewohnheitsmäßigen Heiterkeit der Stirn
und des Auges noch ſiegreich genug hinweggelächelt, hat aber in der untern
Hälfte, die überhaupt unbedeutend gedrängt und gekniffen iſt, zwiſchen
dünngeſpannten Lippen und krampfhaften Mundwinkeln eine ſehr be¬
merkbarte Heimath. Die ganze Erſcheinung machte den Eindruck eines
Mannes, der ſtets als Geſchäftsmenſch gelebt und ſtets als Gentleman
ſich gefirnißt hatte.
Dieſer Herr trat ſeinem Gaſt jetzt entgegen und begrüßte ihn mit
einer ſorgfältigen Herzlichkeit. Er lud ihn ein, ſich zu verbrennen,
d. h. er bot ihm das Sopha an, er ſelbſt nahm ſeinen Platz auf
einem von den Stühlen der Königin Mab. Hiermit eröffnete er die
Unterhaltung, indem er ſich wegen ſeines ſchwarzen Dieners Jack ent¬
ſchuldigte, den er ſchon vor zwei Stunden an den Landungsplatz ge¬
ſchickt hätte, um ihn, den erwarteten Gaſt nämlich, abzuholen. Das
Schiff, wiſſe er, ſei ſo pünktlich eingelaufen, als es ſignaliſirt war,
es könne nur die Fahrläſſigkeit des Dieners ſein, der ihn verfehlt habe,
er werde ihm die Genugthuung geben, den Schuldigen zu beſtrafen.
Moorfeld verbat ſich dieſe Aufmerkſamkeit, und da er nicht verkannte,
daß das Geſagte auch eine Anſpielung auf ſein eigenes Verſpäten ſein
könne, ſo geſtand er freimüthig, daß er aus dem Hafengetümmel ſich
unverzüglich auf die Battery geflüchtet, und dann der Begierde nach¬
gegeben habe, eine Promenade durch die Stadt zu machen. Der Ame¬
rikaner hörte dieſer Erklärung ſalbungsvoll zu, er erhob ſich mit einem
eigenthümlichen Ausdruck in's Große und Hohe und ſagte mit einer
gedehnten Feierlichkeit: Ich danke Ihnen im Namen unſerer unvergleich¬
lichen Hauptſtadt, daß Sie bewundern die Pracht und Größe ihrer An¬
lage, die Thätigkeit ihrer Menſchen, den Geiſt der Freiheit und der
Vernunft, der Ihnen entgegenkommt aus allen Bildern unſers öffent¬
lichen Lebens. Haben Sie in Europa ſich an ähnlichen Schauſpielen
zu erfreuen? Moorfeld der zunächſt weder von Bewunderung, noch
Freude, ſondern nur von ſeiner Schauluſt geſprochen, nahm dieſe Rede
ganz ſo auf, wie er durfte, und ſagte gemeſſen: Europa lebt viel von
altem Gelde, Arbeit und Muße harmonirt dort wie Licht und Schat¬
ten in einem fein durchdachten Bilde. Moorfeld erröthete, es fiel ihm
auf, daß er in zwei Stunden bereits zweimal ſeiner Begeiſterung wi¬
derſprochen und Europa gegen Amerika bevorzugt. Herr Staunton
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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