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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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doch erinnerte sich Moorfeld an Kleindeutschland. Die vorgerückte
Stunde, sonst zu jedem Besuch unpassend, eignete sich eben zu diesem.
Dort konnte er den einzigen Versuch, Benthal zu finden, noch heute
machen. Das that er. Glücklicherweise fand er in seinem Notizbuch
die Adresse jenes abgelegenen Stadtwinkels vor, wohin er sich sonst
wohl schwerlich zurechtgefunden hätte. So warf er sich in die nächste
Miethkutsche und flog dahin.

Das Gasthaus zum grünen Baum stand jetzt in einer Straße, das
vor drei Monaten fast noch auf freiem Felde gestanden. Im Innern
aber war es so ziemlich beim Alten geblieben. Herr Häberle, "der
deutsche Kaiser", war noch immer ein rundes Bild von leiblichem Ge¬
deihen bei geistigen Vacanzen; Vronele, sein flinkes Töchterlein, oder
vielmehr seine Vormünderin, führte noch immer schnippisch und gut¬
müthig das Reichsregiment nach stabilen Satzungen und Maximen, die
anwesenden Gäste waren noch immer deutsche Zungen und deutsche Ge¬
sichter, welche behaglich bei ihrem Schoppen saßen, nicht wie der hastige
Yankee stehend an der Bar tranken, und so meinte Moorfeld die Person
des Rector magnificus könne gar nicht fehlen, wie ihn um und um
Alles so hübsch gewohnheitstreu anheimelte. Erblicken aber konnte er
sie noch nicht.

Ueberhaupt bemerkte Moorfeld bei einiger Aufmerksamkeit doch
mehr Veränderung in der Physiognomie der Trinkstube, als es auf
den ersten Blick scheinen mochte. Das Local war besuchter, was er
theils der späteren Jahreszeit, theils dem vermehrten Anbau zuschrieb.
Das Publikum selbst war gemischter: die Gäste schienen nicht mehr
ausschließlich der Einen Klasse von arbeitsuchenden Handwerkern anzu¬
gehören, noch verrieth ihr Beisammensein jenes familienhafte Gemein¬
gefühl, jene Brüderlichkeit des Bedrängnisses, was dem Hause damals
ein so eigenthümliches Gepräge verliehen. Moorfeld erblickte zufriedene
Gesichter, welche offenbar mit ihrer Subsistenz im Reinen waren, dann
wieder verdutzte, rekrutenhafte, welche vielleicht Auswanderern ange¬
hörten, die erst während seiner Abwesenheit angekommen. Daß er selbst
von dem schwäbischen Wirth und seiner Tochter nicht wieder erkannt
wurde, brauchen wir kaum hinzuzufügen.

Indem Moorfeld sich Letzteren näherte, um über die Person, die
er suchte, Nachfrage zu thun, hielt er plötzlich inne. Es schlug ihm

doch erinnerte ſich Moorfeld an Kleindeutſchland. Die vorgerückte
Stunde, ſonſt zu jedem Beſuch unpaſſend, eignete ſich eben zu dieſem.
Dort konnte er den einzigen Verſuch, Benthal zu finden, noch heute
machen. Das that er. Glücklicherweiſe fand er in ſeinem Notizbuch
die Adreſſe jenes abgelegenen Stadtwinkels vor, wohin er ſich ſonſt
wohl ſchwerlich zurechtgefunden hätte. So warf er ſich in die nächſte
Miethkutſche und flog dahin.

Das Gaſthaus zum grünen Baum ſtand jetzt in einer Straße, das
vor drei Monaten faſt noch auf freiem Felde geſtanden. Im Innern
aber war es ſo ziemlich beim Alten geblieben. Herr Häberle, „der
deutſche Kaiſer“, war noch immer ein rundes Bild von leiblichem Ge¬
deihen bei geiſtigen Vacanzen; Vronele, ſein flinkes Töchterlein, oder
vielmehr ſeine Vormünderin, führte noch immer ſchnippiſch und gut¬
müthig das Reichsregiment nach ſtabilen Satzungen und Maximen, die
anweſenden Gäſte waren noch immer deutſche Zungen und deutſche Ge¬
ſichter, welche behaglich bei ihrem Schoppen ſaßen, nicht wie der haſtige
Yankee ſtehend an der Bar tranken, und ſo meinte Moorfeld die Perſon
des Rector magnificus könne gar nicht fehlen, wie ihn um und um
Alles ſo hübſch gewohnheitstreu anheimelte. Erblicken aber konnte er
ſie noch nicht.

Ueberhaupt bemerkte Moorfeld bei einiger Aufmerkſamkeit doch
mehr Veränderung in der Phyſiognomie der Trinkſtube, als es auf
den erſten Blick ſcheinen mochte. Das Local war beſuchter, was er
theils der ſpäteren Jahreszeit, theils dem vermehrten Anbau zuſchrieb.
Das Publikum ſelbſt war gemiſchter: die Gäſte ſchienen nicht mehr
ausſchließlich der Einen Klaſſe von arbeitſuchenden Handwerkern anzu¬
gehören, noch verrieth ihr Beiſammenſein jenes familienhafte Gemein¬
gefühl, jene Brüderlichkeit des Bedrängniſſes, was dem Hauſe damals
ein ſo eigenthümliches Gepräge verliehen. Moorfeld erblickte zufriedene
Geſichter, welche offenbar mit ihrer Subſiſtenz im Reinen waren, dann
wieder verdutzte, rekrutenhafte, welche vielleicht Auswanderern ange¬
hörten, die erſt während ſeiner Abweſenheit angekommen. Daß er ſelbſt
von dem ſchwäbiſchen Wirth und ſeiner Tochter nicht wieder erkannt
wurde, brauchen wir kaum hinzuzufügen.

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[446/0464] doch erinnerte ſich Moorfeld an Kleindeutſchland. Die vorgerückte Stunde, ſonſt zu jedem Beſuch unpaſſend, eignete ſich eben zu dieſem. Dort konnte er den einzigen Verſuch, Benthal zu finden, noch heute machen. Das that er. Glücklicherweiſe fand er in ſeinem Notizbuch die Adreſſe jenes abgelegenen Stadtwinkels vor, wohin er ſich ſonſt wohl ſchwerlich zurechtgefunden hätte. So warf er ſich in die nächſte Miethkutſche und flog dahin. Das Gaſthaus zum grünen Baum ſtand jetzt in einer Straße, das vor drei Monaten faſt noch auf freiem Felde geſtanden. Im Innern aber war es ſo ziemlich beim Alten geblieben. Herr Häberle, „der deutſche Kaiſer“, war noch immer ein rundes Bild von leiblichem Ge¬ deihen bei geiſtigen Vacanzen; Vronele, ſein flinkes Töchterlein, oder vielmehr ſeine Vormünderin, führte noch immer ſchnippiſch und gut¬ müthig das Reichsregiment nach ſtabilen Satzungen und Maximen, die anweſenden Gäſte waren noch immer deutſche Zungen und deutſche Ge¬ ſichter, welche behaglich bei ihrem Schoppen ſaßen, nicht wie der haſtige Yankee ſtehend an der Bar tranken, und ſo meinte Moorfeld die Perſon des Rector magnificus könne gar nicht fehlen, wie ihn um und um Alles ſo hübſch gewohnheitstreu anheimelte. Erblicken aber konnte er ſie noch nicht. Ueberhaupt bemerkte Moorfeld bei einiger Aufmerkſamkeit doch mehr Veränderung in der Phyſiognomie der Trinkſtube, als es auf den erſten Blick ſcheinen mochte. Das Local war beſuchter, was er theils der ſpäteren Jahreszeit, theils dem vermehrten Anbau zuſchrieb. Das Publikum ſelbſt war gemiſchter: die Gäſte ſchienen nicht mehr ausſchließlich der Einen Klaſſe von arbeitſuchenden Handwerkern anzu¬ gehören, noch verrieth ihr Beiſammenſein jenes familienhafte Gemein¬ gefühl, jene Brüderlichkeit des Bedrängniſſes, was dem Hauſe damals ein ſo eigenthümliches Gepräge verliehen. Moorfeld erblickte zufriedene Geſichter, welche offenbar mit ihrer Subſiſtenz im Reinen waren, dann wieder verdutzte, rekrutenhafte, welche vielleicht Auswanderern ange¬ hörten, die erſt während ſeiner Abweſenheit angekommen. Daß er ſelbſt von dem ſchwäbiſchen Wirth und ſeiner Tochter nicht wieder erkannt wurde, brauchen wir kaum hinzuzufügen. Indem Moorfeld ſich Letzteren näherte, um über die Perſon, die er ſuchte, Nachfrage zu thun, hielt er plötzlich inne. Es ſchlug ihm

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/464>, abgerufen am 22.11.2024.