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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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chen Ansichten und Bedürfnissen wohnen, welche dieselbe Staatsmari¬
men befolgen und unter denselben, allgemeinen Gesetzen stehen, nennen
Sie dieses Gibraltar endlich Newyork, und ich überlasse es Ihrer eige¬
nen Einbildungskraft, was für ein Schauplatz menschlicher Thätigkeit
und Machtentwicklung dieser unschätzbare Fleck Erde sein kann und
sein muß.

Ja! rief er aus, indem er vor einer Karte Amerika's stehen blieb,
vor diesem Bilde muß jedes menschliche Knie sich beugen. Welch ein
Anblick! Dieses Profil, diese Gliederung, dieser wunderbare Zusammen¬
hang der fähigsten Organe -- welch ein Göttergebilde! Das ist ein
Leib, wie die Schöpfung des Prometheus! Aber nicht das Feuer fehlt
ihm -- beim Himmel, das haben wir selbst! -- bloß der Ausarbei¬
tung seines Geäders sind wir die letzte Hand schuldig. Dieser Hudson,
dieser Mississippi, dieser Ohio und Missouri, diese Seen und dieser
Golf -- er beschrieb mit der Hand schwungvolle Linien -- welcher
Landkörper der Erde hat ähnliche Venen und Arterien aufzuweisen?
Alles ist da, bloß in den Kapillargefäßen bleibt uns noch eine letzte
Feile. Ein paar hundert Eisenbahnen und Kanäle sind wir diesem
Lande schuldig!

Hierauf folgte eine weitere Liturgie über den großartigen Thätig¬
keitstrieb der amerikanischen Nation, über die staunenswerthen Unter¬
nehmungen, die auf allen Punkten des Landes, wie eben so viele Ju¬
piters, gerüstete Minerven erzeugten, -- der Mann verwandelte ohne
Weiters sein Amerika in einen Olymp von Göttern, indem er dürftige
Schulerinnerungen am rechten Orte mit Pomp paradiren ließ. Den
Schluß machte ein Engagement für eine der reichsten und mächtigsten
Eisenbahncompagnien Nordamerika's. Den gänzlichen Schluß bildete
der kleine Nachsatz, Herr Benthal könne gelegentlich der Tracirungen
wohl auch in montanistischer, hydrographischer, chemisch-agrarischer, über¬
haupt in nationalökonomischer Beziehung die Landschaften ein wenig
exploriren und nebenher seine Berichte und Zeichnungen darüber der
Compagnie einsenden. Auf letzteres Offert antwortete Theodor mit
großer Kaltblütigkeit: Also von einem Doppelgeschäfte ist hier die Rede!
Unsre Eisenbahncompagnie ist zugleich eine Gesellschaft für Landhandel.
Eine glückliche Combination, die einen ungeheuren Gewinn abwerfen
muß! Indeß modificirt das unsre Abrede ein wenig, Herr Staunton.

chen Anſichten und Bedürfniſſen wohnen, welche dieſelbe Staatsmari¬
men befolgen und unter denſelben, allgemeinen Geſetzen ſtehen, nennen
Sie dieſes Gibraltar endlich Newyork, und ich überlaſſe es Ihrer eige¬
nen Einbildungskraft, was für ein Schauplatz menſchlicher Thätigkeit
und Machtentwicklung dieſer unſchätzbare Fleck Erde ſein kann und
ſein muß.

Ja! rief er aus, indem er vor einer Karte Amerika's ſtehen blieb,
vor dieſem Bilde muß jedes menſchliche Knie ſich beugen. Welch ein
Anblick! Dieſes Profil, dieſe Gliederung, dieſer wunderbare Zuſammen¬
hang der fähigſten Organe — welch ein Göttergebilde! Das iſt ein
Leib, wie die Schöpfung des Prometheus! Aber nicht das Feuer fehlt
ihm — beim Himmel, das haben wir ſelbſt! — bloß der Ausarbei¬
tung ſeines Geäders ſind wir die letzte Hand ſchuldig. Dieſer Hudſon,
dieſer Miſſiſſippi, dieſer Ohio und Miſſouri, dieſe Seen und dieſer
Golf — er beſchrieb mit der Hand ſchwungvolle Linien — welcher
Landkörper der Erde hat ähnliche Venen und Arterien aufzuweiſen?
Alles iſt da, bloß in den Kapillargefäßen bleibt uns noch eine letzte
Feile. Ein paar hundert Eiſenbahnen und Kanäle ſind wir dieſem
Lande ſchuldig!

Hierauf folgte eine weitere Liturgie über den großartigen Thätig¬
keitstrieb der amerikaniſchen Nation, über die ſtaunenswerthen Unter¬
nehmungen, die auf allen Punkten des Landes, wie eben ſo viele Ju¬
piters, gerüſtete Minerven erzeugten, — der Mann verwandelte ohne
Weiters ſein Amerika in einen Olymp von Göttern, indem er dürftige
Schulerinnerungen am rechten Orte mit Pomp paradiren ließ. Den
Schluß machte ein Engagement für eine der reichſten und mächtigſten
Eiſenbahncompagnien Nordamerika's. Den gänzlichen Schluß bildete
der kleine Nachſatz, Herr Benthal könne gelegentlich der Tracirungen
wohl auch in montaniſtiſcher, hydrographiſcher, chemiſch-agrariſcher, über¬
haupt in nationalökonomiſcher Beziehung die Landſchaften ein wenig
exploriren und nebenher ſeine Berichte und Zeichnungen darüber der
Compagnie einſenden. Auf letzteres Offert antwortete Theodor mit
großer Kaltblütigkeit: Alſo von einem Doppelgeſchäfte iſt hier die Rede!
Unſre Eiſenbahncompagnie iſt zugleich eine Geſellſchaft für Landhandel.
Eine glückliche Combination, die einen ungeheuren Gewinn abwerfen
muß! Indeß modificirt das unſre Abrede ein wenig, Herr Staunton.

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[462/0480] chen Anſichten und Bedürfniſſen wohnen, welche dieſelbe Staatsmari¬ men befolgen und unter denſelben, allgemeinen Geſetzen ſtehen, nennen Sie dieſes Gibraltar endlich Newyork, und ich überlaſſe es Ihrer eige¬ nen Einbildungskraft, was für ein Schauplatz menſchlicher Thätigkeit und Machtentwicklung dieſer unſchätzbare Fleck Erde ſein kann und ſein muß. Ja! rief er aus, indem er vor einer Karte Amerika's ſtehen blieb, vor dieſem Bilde muß jedes menſchliche Knie ſich beugen. Welch ein Anblick! Dieſes Profil, dieſe Gliederung, dieſer wunderbare Zuſammen¬ hang der fähigſten Organe — welch ein Göttergebilde! Das iſt ein Leib, wie die Schöpfung des Prometheus! Aber nicht das Feuer fehlt ihm — beim Himmel, das haben wir ſelbſt! — bloß der Ausarbei¬ tung ſeines Geäders ſind wir die letzte Hand ſchuldig. Dieſer Hudſon, dieſer Miſſiſſippi, dieſer Ohio und Miſſouri, dieſe Seen und dieſer Golf — er beſchrieb mit der Hand ſchwungvolle Linien — welcher Landkörper der Erde hat ähnliche Venen und Arterien aufzuweiſen? Alles iſt da, bloß in den Kapillargefäßen bleibt uns noch eine letzte Feile. Ein paar hundert Eiſenbahnen und Kanäle ſind wir dieſem Lande ſchuldig! Hierauf folgte eine weitere Liturgie über den großartigen Thätig¬ keitstrieb der amerikaniſchen Nation, über die ſtaunenswerthen Unter¬ nehmungen, die auf allen Punkten des Landes, wie eben ſo viele Ju¬ piters, gerüſtete Minerven erzeugten, — der Mann verwandelte ohne Weiters ſein Amerika in einen Olymp von Göttern, indem er dürftige Schulerinnerungen am rechten Orte mit Pomp paradiren ließ. Den Schluß machte ein Engagement für eine der reichſten und mächtigſten Eiſenbahncompagnien Nordamerika's. Den gänzlichen Schluß bildete der kleine Nachſatz, Herr Benthal könne gelegentlich der Tracirungen wohl auch in montaniſtiſcher, hydrographiſcher, chemiſch-agrariſcher, über¬ haupt in nationalökonomiſcher Beziehung die Landſchaften ein wenig exploriren und nebenher ſeine Berichte und Zeichnungen darüber der Compagnie einſenden. Auf letzteres Offert antwortete Theodor mit großer Kaltblütigkeit: Alſo von einem Doppelgeſchäfte iſt hier die Rede! Unſre Eiſenbahncompagnie iſt zugleich eine Geſellſchaft für Landhandel. Eine glückliche Combination, die einen ungeheuren Gewinn abwerfen muß! Indeß modificirt das unſre Abrede ein wenig, Herr Staunton.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/480>, abgerufen am 22.11.2024.