es nachdenklich vor sich hin. Er lächelte das dunkle Rothbraun mit einer Art kindischer Freude an. Die Idee, Wein in der Hand zu halten, schien ihm ein Genuß, den er durch Befriedigung nicht sogleich aufheben wollte. So ließ er das Glas gegen das Licht funkeln und sah immer darauf. Sein Blick wurde zuletzt wie geistesabwesend, er versank, wie es schien, in ein Meer alter Erinnerungen. Moorfeld stand seitwärts und betrachtete den Greis eben so ergriffen, wie dieser sein Labsal. Das währte eine geraume Weile. Hierauf gab der Alte dem Glas eine leichte Schwenkung und murmelte fast feierlich: Evviva Vienna! Damit leerte er es.
Moorfeld hatte den Toast belauscht. Er erstaunte. Ha, mein Herr, Ihre Erinnerungen knüpfen sich an Wien! rief er aufwallend von Heimathsgefühl. Er streckte dem Greise beide Arme entgegen. Es waren die zehn schönsten Jahre meines Lebens! antwortete dieser traumversunken. -- O wie bedauere ich die Schicksale, die dieses Glück Ihnen geraubt. Sie müssen trauriger Art gewesen sein! -- Zwei Todesfälle waren es, Signor. Den 20. Februar 1790 starb Kaiser Joseph, der wärmste Freund und Beschützer der Künste, und den 5. December 1791 Amade Mozart, der Kaiser seiner Kunst selbt. Was sollte da ich noch in Wien! -- Moorfeld sah den Alten groß an. Wer ist es, der mit mir spricht? rief er in höchster Spannung. -- Wenig, antwortete der Greis, und kauerte sich tiefer in seinen Mantel zusammen, -- ich heiße da Ponte.
Da Ponte! rief Moorfeld außer sich: Casti's und Metastasio's Rival, verschmachtend am Strande der Manhattan! Er stand vor dem alten Manne wie vor der Reliquie eines Heiligen. Unaussprechlich war seine Bewegung. Der Gedanke, mit seinem Blick auf einem Haupte zu ruhen, das in Mozart's brüderlichem Schoß gelegen, ergriff ihn betäubend. Staunen und Ehrfurcht hielt ihn wie mit Bezauberung vor dem Bilde des alten Mannes gefesselt. Er bedurfte einiger Minuten um sich zu fassen. Dann trat er vor den Greis und sprach mit einer fast ritter¬ lichen Courtoisie: Herr Abbe, ich bitte Sie, den Tribut meiner begeistert¬ sten Hochachtung anzunehmen. So weit die Erde Cultur hat, ist jeder einzelne Mensch Ihnen Dank schuldig. Wie tief mich das Unglück erschüttert, das dieser unwirthliche Boden Ihnen zu bereiten scheint, so muß ich den Zufall segnen, der es meine Hand sein ließ, welche in
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es nachdenklich vor ſich hin. Er lächelte das dunkle Rothbraun mit einer Art kindiſcher Freude an. Die Idee, Wein in der Hand zu halten, ſchien ihm ein Genuß, den er durch Befriedigung nicht ſogleich aufheben wollte. So ließ er das Glas gegen das Licht funkeln und ſah immer darauf. Sein Blick wurde zuletzt wie geiſtesabweſend, er verſank, wie es ſchien, in ein Meer alter Erinnerungen. Moorfeld ſtand ſeitwärts und betrachtete den Greis eben ſo ergriffen, wie dieſer ſein Labſal. Das währte eine geraume Weile. Hierauf gab der Alte dem Glas eine leichte Schwenkung und murmelte faſt feierlich: Evviva Vienna! Damit leerte er es.
Moorfeld hatte den Toaſt belauſcht. Er erſtaunte. Ha, mein Herr, Ihre Erinnerungen knüpfen ſich an Wien! rief er aufwallend von Heimathsgefühl. Er ſtreckte dem Greiſe beide Arme entgegen. Es waren die zehn ſchönſten Jahre meines Lebens! antwortete dieſer traumverſunken. — O wie bedauere ich die Schickſale, die dieſes Glück Ihnen geraubt. Sie müſſen trauriger Art geweſen ſein! — Zwei Todesfälle waren es, Signor. Den 20. Februar 1790 ſtarb Kaiſer Joſeph, der wärmſte Freund und Beſchützer der Künſte, und den 5. December 1791 Amade Mozart, der Kaiſer ſeiner Kunſt ſelbt. Was ſollte da ich noch in Wien! — Moorfeld ſah den Alten groß an. Wer iſt es, der mit mir ſpricht? rief er in höchſter Spannung. — Wenig, antwortete der Greis, und kauerte ſich tiefer in ſeinen Mantel zuſammen, — ich heiße da Ponte.
Da Ponte! rief Moorfeld außer ſich: Caſti’s und Metaſtaſio’s Rival, verſchmachtend am Strande der Manhattan! Er ſtand vor dem alten Manne wie vor der Reliquie eines Heiligen. Unausſprechlich war ſeine Bewegung. Der Gedanke, mit ſeinem Blick auf einem Haupte zu ruhen, das in Mozart's brüderlichem Schoß gelegen, ergriff ihn betäubend. Staunen und Ehrfurcht hielt ihn wie mit Bezauberung vor dem Bilde des alten Mannes gefeſſelt. Er bedurfte einiger Minuten um ſich zu faſſen. Dann trat er vor den Greis und ſprach mit einer faſt ritter¬ lichen Courtoiſie: Herr Abbé, ich bitte Sie, den Tribut meiner begeiſtert¬ ſten Hochachtung anzunehmen. So weit die Erde Cultur hat, iſt jeder einzelne Menſch Ihnen Dank ſchuldig. Wie tief mich das Unglück erſchüttert, das dieſer unwirthliche Boden Ihnen zu bereiten ſcheint, ſo muß ich den Zufall ſegnen, der es meine Hand ſein ließ, welche in
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es nachdenklich vor ſich hin. Er lächelte das dunkle Rothbraun mit
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halten, ſchien ihm ein Genuß, den er durch Befriedigung nicht ſogleich
aufheben wollte. So ließ er das Glas gegen das Licht funkeln und
ſah immer darauf. Sein Blick wurde zuletzt wie geiſtesabweſend, er
verſank, wie es ſchien, in ein Meer alter Erinnerungen. Moorfeld
ſtand ſeitwärts und betrachtete den Greis eben ſo ergriffen, wie dieſer
ſein Labſal. Das währte eine geraume Weile. Hierauf gab der Alte
dem Glas eine leichte Schwenkung und murmelte faſt feierlich: Evviva
Vienna! Damit leerte er es.
Moorfeld hatte den Toaſt belauſcht. Er erſtaunte. Ha, mein
Herr, Ihre Erinnerungen knüpfen ſich an Wien! rief er aufwallend
von Heimathsgefühl. Er ſtreckte dem Greiſe beide Arme entgegen.
Es waren die zehn ſchönſten Jahre meines Lebens! antwortete dieſer
traumverſunken. — O wie bedauere ich die Schickſale, die dieſes Glück
Ihnen geraubt. Sie müſſen trauriger Art geweſen ſein! — Zwei
Todesfälle waren es, Signor. Den 20. Februar 1790 ſtarb Kaiſer
Joſeph, der wärmſte Freund und Beſchützer der Künſte, und den
5. December 1791 Amade Mozart, der Kaiſer ſeiner Kunſt ſelbt.
Was ſollte da ich noch in Wien! — Moorfeld ſah den Alten groß
an. Wer iſt es, der mit mir ſpricht? rief er in höchſter Spannung. —
Wenig, antwortete der Greis, und kauerte ſich tiefer in ſeinen Mantel
zuſammen, — ich heiße da Ponte.
Da Ponte! rief Moorfeld außer ſich: Caſti’s und Metaſtaſio’s Rival,
verſchmachtend am Strande der Manhattan! Er ſtand vor dem alten Manne
wie vor der Reliquie eines Heiligen. Unausſprechlich war ſeine Bewegung.
Der Gedanke, mit ſeinem Blick auf einem Haupte zu ruhen, das in
Mozart's brüderlichem Schoß gelegen, ergriff ihn betäubend. Staunen
und Ehrfurcht hielt ihn wie mit Bezauberung vor dem Bilde des
alten Mannes gefeſſelt. Er bedurfte einiger Minuten um ſich zu
faſſen. Dann trat er vor den Greis und ſprach mit einer faſt ritter¬
lichen Courtoiſie: Herr Abbé, ich bitte Sie, den Tribut meiner begeiſtert¬
ſten Hochachtung anzunehmen. So weit die Erde Cultur hat, iſt jeder
einzelne Menſch Ihnen Dank ſchuldig. Wie tief mich das Unglück
erſchüttert, das dieſer unwirthliche Boden Ihnen zu bereiten ſcheint, ſo
muß ich den Zufall ſegnen, der es meine Hand ſein ließ, welche in
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/489>, abgerufen am 22.11.2024.
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