Effect hervorbringen. Die Recitative sind ganz davon ausgeschlossen, man singt Alles, und jede Art des Gesanges muß darin entwickelt wer¬ den. Das Adagio und Allegro, das Andante, das Amabile, das Ar¬ monioso, das Strepitoso, das Arcistonpitoso und das Fortissimo, womit sich in der Regel das Finale schließt, und was man die Chiesa oder Stretta nennt: -- ich weiß nicht, ob man es so benennt, weil darin die ganze Kraft des Dramas sich zusammenzieht, oder weil es allgemein das arme Gehirn des Poeten, der er zu schreiben hat, nicht ein- son¬ dern tausendmal in die Enge treibt. In einem Finale müssen nach theatralischem Brauch alle Sänger auf der Bühne erscheinen und wä¬ ren ihrer noch so viele, um einzeln, zu zweien, zu drei, zu sechs, zu zehn und zu sechzig Arien, Duette, Terzette, Sextette und große Chöre zu singen. Sollte der Inhalt des Dramas das nicht erlauben, so ist es Aufgabe des Dichters, sich einen Weg zu suchen, auf dem er es bewerkstelligen kann, ohne gegen die gesunde Vernunft oder die aristotelischen Vorschriften allzu gröblich sich zu versündigen. Gewiß, es ist eine große Sache, ein gutes Finale zu schreiben.
Diese Sprache eines altmodischen Jahrhunderts stach nicht ohne Reiz für Moorfeld von seiner eigenen ab. Der Grundton der schlich¬ ten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, seine Begeisterung selbst zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das Alter entgegenbrachte.
Und nun, sprechen Sie, Herr Abbe, fragte er, wie war es möglich, daß ich das Schicksal in so schwerer Schuld gegen Sie finden konnte? Sprechen Sie, wie hat dieses unselige Land an Ihnen gefrevelt?
Da Ponte schüttelte nach einer Pause das Haupt. Er zog einen seiner obersten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte sich eine Art Lichtschirm daraus, gleichsam als störte der ihn bedeckende Lampenschimmer seine Gedankenbildung, wie er den Nerv seines Auges belästigen mochte. Aus diesem Dunkel heraus sprach er:
Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kunst so viele Mittel und wohl auch guten Willen hat, -- ich wüßte äußere Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu nennen, Signor. Aber einen Zug will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie selbst sagen sollen, ob ich ex ungue leonem daran erkennen und für immer zurückschrecken durfte.
Effect hervorbringen. Die Recitative ſind ganz davon ausgeſchloſſen, man ſingt Alles, und jede Art des Geſanges muß darin entwickelt wer¬ den. Das Adagio und Allegro, das Andante, das Amabile, das Ar¬ monioſo, das Strepitoſo, das Arciſtonpitoſo und das Fortiſſimo, womit ſich in der Regel das Finale ſchließt, und was man die Chieſa oder Stretta nennt: — ich weiß nicht, ob man es ſo benennt, weil darin die ganze Kraft des Dramas ſich zuſammenzieht, oder weil es allgemein das arme Gehirn des Poeten, der er zu ſchreiben hat, nicht ein- ſon¬ dern tauſendmal in die Enge treibt. In einem Finale müſſen nach theatraliſchem Brauch alle Sänger auf der Bühne erſcheinen und wä¬ ren ihrer noch ſo viele, um einzeln, zu zweien, zu drei, zu ſechs, zu zehn und zu ſechzig Arien, Duette, Terzette, Sextette und große Chöre zu ſingen. Sollte der Inhalt des Dramas das nicht erlauben, ſo iſt es Aufgabe des Dichters, ſich einen Weg zu ſuchen, auf dem er es bewerkſtelligen kann, ohne gegen die geſunde Vernunft oder die ariſtoteliſchen Vorſchriften allzu gröblich ſich zu verſündigen. Gewiß, es iſt eine große Sache, ein gutes Finale zu ſchreiben.
Dieſe Sprache eines altmodiſchen Jahrhunderts ſtach nicht ohne Reiz für Moorfeld von ſeiner eigenen ab. Der Grundton der ſchlich¬ ten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, ſeine Begeiſterung ſelbſt zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das Alter entgegenbrachte.
Und nun, ſprechen Sie, Herr Abbé, fragte er, wie war es möglich, daß ich das Schickſal in ſo ſchwerer Schuld gegen Sie finden konnte? Sprechen Sie, wie hat dieſes unſelige Land an Ihnen gefrevelt?
Da Ponte ſchüttelte nach einer Pauſe das Haupt. Er zog einen ſeiner oberſten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte ſich eine Art Lichtſchirm daraus, gleichſam als ſtörte der ihn bedeckende Lampenſchimmer ſeine Gedankenbildung, wie er den Nerv ſeines Auges beläſtigen mochte. Aus dieſem Dunkel heraus ſprach er:
Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kunſt ſo viele Mittel und wohl auch guten Willen hat, — ich wüßte äußere Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu nennen, Signor. Aber einen Zug will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie ſelbſt ſagen ſollen, ob ich ex ungue leonem daran erkennen und für immer zurückſchrecken durfte.
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Effect hervorbringen. Die Recitative ſind ganz davon ausgeſchloſſen,
man ſingt Alles, und jede Art des Geſanges muß darin entwickelt wer¬
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monioſo, das Strepitoſo, das Arciſtonpitoſo und das Fortiſſimo, womit
ſich in der Regel das Finale ſchließt, und was man die Chieſa oder
Stretta nennt: — ich weiß nicht, ob man es ſo benennt, weil darin
die ganze Kraft des Dramas ſich zuſammenzieht, oder weil es allgemein
das arme Gehirn des Poeten, der er zu ſchreiben hat, nicht ein- ſon¬
dern tauſendmal in die Enge treibt. In einem Finale müſſen nach
theatraliſchem Brauch alle Sänger auf der Bühne erſcheinen und wä¬
ren ihrer noch ſo viele, um einzeln, zu zweien, zu drei, zu ſechs, zu
zehn und zu ſechzig Arien, Duette, Terzette, Sextette und große
Chöre zu ſingen. Sollte der Inhalt des Dramas das nicht erlauben,
ſo iſt es Aufgabe des Dichters, ſich einen Weg zu ſuchen, auf dem er
es bewerkſtelligen kann, ohne gegen die geſunde Vernunft oder die
ariſtoteliſchen Vorſchriften allzu gröblich ſich zu verſündigen. Gewiß,
es iſt eine große Sache, ein gutes Finale zu ſchreiben.
Dieſe Sprache eines altmodiſchen Jahrhunderts ſtach nicht ohne
Reiz für Moorfeld von ſeiner eigenen ab. Der Grundton der ſchlich¬
ten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, ſeine Begeiſterung
ſelbſt zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt
in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das
Alter entgegenbrachte.
Und nun, ſprechen Sie, Herr Abbé, fragte er, wie war es möglich,
daß ich das Schickſal in ſo ſchwerer Schuld gegen Sie finden konnte?
Sprechen Sie, wie hat dieſes unſelige Land an Ihnen gefrevelt?
Da Ponte ſchüttelte nach einer Pauſe das Haupt. Er zog einen
ſeiner oberſten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte ſich
eine Art Lichtſchirm daraus, gleichſam als ſtörte der ihn bedeckende
Lampenſchimmer ſeine Gedankenbildung, wie er den Nerv ſeines Auges
beläſtigen mochte. Aus dieſem Dunkel heraus ſprach er:
Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kunſt ſo
viele Mittel und wohl auch guten Willen hat, — ich wüßte äußere
Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu nennen, Signor. Aber einen Zug
will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie ſelbſt ſagen ſollen, ob ich
ex ungue leonem daran erkennen und für immer zurückſchrecken durfte.
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/492>, abgerufen am 22.11.2024.
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