Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Effect hervorbringen. Die Recitative sind ganz davon ausgeschlossen,
man singt Alles, und jede Art des Gesanges muß darin entwickelt wer¬
den. Das Adagio und Allegro, das Andante, das Amabile, das Ar¬
monioso, das Strepitoso, das Arcistonpitoso und das Fortissimo, womit
sich in der Regel das Finale schließt, und was man die Chiesa oder
Stretta nennt: -- ich weiß nicht, ob man es so benennt, weil darin
die ganze Kraft des Dramas sich zusammenzieht, oder weil es allgemein
das arme Gehirn des Poeten, der er zu schreiben hat, nicht ein- son¬
dern tausendmal in die Enge treibt. In einem Finale müssen nach
theatralischem Brauch alle Sänger auf der Bühne erscheinen und wä¬
ren ihrer noch so viele, um einzeln, zu zweien, zu drei, zu sechs, zu
zehn und zu sechzig Arien, Duette, Terzette, Sextette und große
Chöre zu singen. Sollte der Inhalt des Dramas das nicht erlauben,
so ist es Aufgabe des Dichters, sich einen Weg zu suchen, auf dem er
es bewerkstelligen kann, ohne gegen die gesunde Vernunft oder die
aristotelischen Vorschriften allzu gröblich sich zu versündigen. Gewiß,
es ist eine große Sache, ein gutes Finale zu schreiben.

Diese Sprache eines altmodischen Jahrhunderts stach nicht ohne
Reiz für Moorfeld von seiner eigenen ab. Der Grundton der schlich¬
ten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, seine Begeisterung
selbst zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt
in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das
Alter entgegenbrachte.

Und nun, sprechen Sie, Herr Abbe, fragte er, wie war es möglich,
daß ich das Schicksal in so schwerer Schuld gegen Sie finden konnte?
Sprechen Sie, wie hat dieses unselige Land an Ihnen gefrevelt?

Da Ponte schüttelte nach einer Pause das Haupt. Er zog einen
seiner obersten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte sich
eine Art Lichtschirm daraus, gleichsam als störte der ihn bedeckende
Lampenschimmer seine Gedankenbildung, wie er den Nerv seines Auges
belästigen mochte. Aus diesem Dunkel heraus sprach er:

Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kunst so
viele Mittel und wohl auch guten Willen hat, -- ich wüßte äußere
Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu nennen, Signor. Aber einen Zug
will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie selbst sagen sollen, ob ich
ex ungue leonem daran erkennen und für immer zurückschrecken durfte.

Effect hervorbringen. Die Recitative ſind ganz davon ausgeſchloſſen,
man ſingt Alles, und jede Art des Geſanges muß darin entwickelt wer¬
den. Das Adagio und Allegro, das Andante, das Amabile, das Ar¬
monioſo, das Strepitoſo, das Arciſtonpitoſo und das Fortiſſimo, womit
ſich in der Regel das Finale ſchließt, und was man die Chieſa oder
Stretta nennt: — ich weiß nicht, ob man es ſo benennt, weil darin
die ganze Kraft des Dramas ſich zuſammenzieht, oder weil es allgemein
das arme Gehirn des Poeten, der er zu ſchreiben hat, nicht ein- ſon¬
dern tauſendmal in die Enge treibt. In einem Finale müſſen nach
theatraliſchem Brauch alle Sänger auf der Bühne erſcheinen und wä¬
ren ihrer noch ſo viele, um einzeln, zu zweien, zu drei, zu ſechs, zu
zehn und zu ſechzig Arien, Duette, Terzette, Sextette und große
Chöre zu ſingen. Sollte der Inhalt des Dramas das nicht erlauben,
ſo iſt es Aufgabe des Dichters, ſich einen Weg zu ſuchen, auf dem er
es bewerkſtelligen kann, ohne gegen die geſunde Vernunft oder die
ariſtoteliſchen Vorſchriften allzu gröblich ſich zu verſündigen. Gewiß,
es iſt eine große Sache, ein gutes Finale zu ſchreiben.

Dieſe Sprache eines altmodiſchen Jahrhunderts ſtach nicht ohne
Reiz für Moorfeld von ſeiner eigenen ab. Der Grundton der ſchlich¬
ten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, ſeine Begeiſterung
ſelbſt zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt
in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das
Alter entgegenbrachte.

Und nun, ſprechen Sie, Herr Abbé, fragte er, wie war es möglich,
daß ich das Schickſal in ſo ſchwerer Schuld gegen Sie finden konnte?
Sprechen Sie, wie hat dieſes unſelige Land an Ihnen gefrevelt?

Da Ponte ſchüttelte nach einer Pauſe das Haupt. Er zog einen
ſeiner oberſten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte ſich
eine Art Lichtſchirm daraus, gleichſam als ſtörte der ihn bedeckende
Lampenſchimmer ſeine Gedankenbildung, wie er den Nerv ſeines Auges
beläſtigen mochte. Aus dieſem Dunkel heraus ſprach er:

Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kunſt ſo
viele Mittel und wohl auch guten Willen hat, — ich wüßte äußere
Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu nennen, Signor. Aber einen Zug
will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie ſelbſt ſagen ſollen, ob ich
ex ungue leonem daran erkennen und für immer zurückſchrecken durfte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0492" n="474"/>
Effect hervorbringen. Die Recitative &#x017F;ind ganz davon ausge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
man &#x017F;ingt Alles, und jede Art des Ge&#x017F;anges muß darin entwickelt wer¬<lb/>
den. Das Adagio und Allegro, das Andante, das Amabile, das Ar¬<lb/>
monio&#x017F;o, das Strepito&#x017F;o, das Arci&#x017F;tonpito&#x017F;o und das Forti&#x017F;&#x017F;imo, womit<lb/>
&#x017F;ich in der Regel das Finale &#x017F;chließt, und was man die Chie&#x017F;a oder<lb/>
Stretta nennt: &#x2014; ich weiß nicht, ob man es &#x017F;o benennt, weil darin<lb/>
die ganze Kraft des Dramas &#x017F;ich zu&#x017F;ammenzieht, oder weil es allgemein<lb/>
das arme Gehirn des Poeten, der er zu &#x017F;chreiben hat, nicht ein- &#x017F;on¬<lb/>
dern tau&#x017F;endmal in die <hi rendition="#g">Enge</hi> treibt. In einem Finale mü&#x017F;&#x017F;en nach<lb/>
theatrali&#x017F;chem Brauch alle Sänger auf der Bühne er&#x017F;cheinen und wä¬<lb/>
ren ihrer noch &#x017F;o viele, um einzeln, zu zweien, zu drei, zu &#x017F;echs, zu<lb/>
zehn und zu &#x017F;echzig Arien, Duette, Terzette, Sextette und große<lb/>
Chöre zu &#x017F;ingen. Sollte der Inhalt des Dramas das nicht erlauben,<lb/>
&#x017F;o i&#x017F;t es Aufgabe des Dichters, &#x017F;ich einen Weg zu &#x017F;uchen, auf dem er<lb/>
es bewerk&#x017F;telligen kann, ohne gegen die ge&#x017F;unde Vernunft oder die<lb/>
ari&#x017F;toteli&#x017F;chen Vor&#x017F;chriften allzu gröblich &#x017F;ich zu ver&#x017F;ündigen. Gewiß,<lb/>
es i&#x017F;t eine große Sache, ein gutes Finale zu &#x017F;chreiben.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Sprache eines altmodi&#x017F;chen Jahrhunderts &#x017F;tach nicht ohne<lb/>
Reiz für Moorfeld von &#x017F;einer eigenen ab. Der Grundton der &#x017F;chlich¬<lb/>
ten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, &#x017F;eine Begei&#x017F;terung<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt<lb/>
in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das<lb/>
Alter entgegenbrachte.</p><lb/>
          <p>Und nun, &#x017F;prechen Sie, Herr Abbé, fragte er, wie war es möglich,<lb/>
daß ich das Schick&#x017F;al in &#x017F;o &#x017F;chwerer Schuld gegen Sie finden konnte?<lb/>
Sprechen Sie, wie hat die&#x017F;es un&#x017F;elige Land an Ihnen gefrevelt?</p><lb/>
          <p>Da Ponte &#x017F;chüttelte nach einer Pau&#x017F;e das Haupt. Er zog einen<lb/>
&#x017F;einer ober&#x017F;ten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte &#x017F;ich<lb/>
eine Art Licht&#x017F;chirm daraus, gleich&#x017F;am als &#x017F;törte der ihn bedeckende<lb/>
Lampen&#x017F;chimmer &#x017F;eine Gedankenbildung, wie er den Nerv &#x017F;eines Auges<lb/>
belä&#x017F;tigen mochte. Aus die&#x017F;em Dunkel heraus &#x017F;prach er:</p><lb/>
          <p>Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kun&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
viele Mittel und wohl auch guten Willen hat, &#x2014; ich wüßte äußere<lb/>
Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu nennen, Signor. Aber <hi rendition="#g">einen</hi> Zug<lb/>
will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;agen &#x017F;ollen, ob ich<lb/><hi rendition="#aq">ex ungue leonem</hi> daran erkennen und für immer zurück&#x017F;chrecken durfte.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[474/0492] Effect hervorbringen. Die Recitative ſind ganz davon ausgeſchloſſen, man ſingt Alles, und jede Art des Geſanges muß darin entwickelt wer¬ den. Das Adagio und Allegro, das Andante, das Amabile, das Ar¬ monioſo, das Strepitoſo, das Arciſtonpitoſo und das Fortiſſimo, womit ſich in der Regel das Finale ſchließt, und was man die Chieſa oder Stretta nennt: — ich weiß nicht, ob man es ſo benennt, weil darin die ganze Kraft des Dramas ſich zuſammenzieht, oder weil es allgemein das arme Gehirn des Poeten, der er zu ſchreiben hat, nicht ein- ſon¬ dern tauſendmal in die Enge treibt. In einem Finale müſſen nach theatraliſchem Brauch alle Sänger auf der Bühne erſcheinen und wä¬ ren ihrer noch ſo viele, um einzeln, zu zweien, zu drei, zu ſechs, zu zehn und zu ſechzig Arien, Duette, Terzette, Sextette und große Chöre zu ſingen. Sollte der Inhalt des Dramas das nicht erlauben, ſo iſt es Aufgabe des Dichters, ſich einen Weg zu ſuchen, auf dem er es bewerkſtelligen kann, ohne gegen die geſunde Vernunft oder die ariſtoteliſchen Vorſchriften allzu gröblich ſich zu verſündigen. Gewiß, es iſt eine große Sache, ein gutes Finale zu ſchreiben. Dieſe Sprache eines altmodiſchen Jahrhunderts ſtach nicht ohne Reiz für Moorfeld von ſeiner eigenen ab. Der Grundton der ſchlich¬ ten Wirklichkeit, der aus ihr klang, ermangelte nicht, ſeine Begeiſterung ſelbſt zu ergreifen, die er dem ehrwürdigen Haupte des Dichters jetzt in der vertraulicheren Färbung einer jugendlichen Zärtlichkeit für das Alter entgegenbrachte. Und nun, ſprechen Sie, Herr Abbé, fragte er, wie war es möglich, daß ich das Schickſal in ſo ſchwerer Schuld gegen Sie finden konnte? Sprechen Sie, wie hat dieſes unſelige Land an Ihnen gefrevelt? Da Ponte ſchüttelte nach einer Pauſe das Haupt. Er zog einen ſeiner oberſten Mantelkrägen über Kopf und Stirne und machte ſich eine Art Lichtſchirm daraus, gleichſam als ſtörte der ihn bedeckende Lampenſchimmer ſeine Gedankenbildung, wie er den Nerv ſeines Auges beläſtigen mochte. Aus dieſem Dunkel heraus ſprach er: Warum ich in einem Lande nicht gedieh, das für die Kunſt ſo viele Mittel und wohl auch guten Willen hat, — ich wüßte äußere Widerwärtigkeiten vielleicht kaum zu nennen, Signor. Aber einen Zug will ich Ihnen erzählen, von welchem Sie ſelbſt ſagen ſollen, ob ich ex ungue leonem daran erkennen und für immer zurückſchrecken durfte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/492
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/492>, abgerufen am 02.06.2024.