Es war in einer der besseren Soireen hiesiger Stadt, wo ich als neu eingeführter Fremdling von einer jungen Miß die Arie Vedrai carino singen hörte. Ha, dachte ich, hier ist dein Krug am rechten Brunnen, Newyork empfängt dich vortrefflich. Indeß trug das arme Mädchen die Arie so über alle Maßen schleppend und seelenlos vor, daß man mit leichter Mühe mich überredet hätte, der berühmte Epimenides, der neun Jahre geschlafen haben soll, sei von keinem andern als diesem Liede eingesungen worden. Ich vermochte natürlich nicht, an mich zu halten. Ich schmuggelte mich auf eine gute Art ans Clavier, wo ein Bouquet von jungen Damen und Herren, wie ein Nest bunter Papa¬ gaien umhersaß und sich nach allen Regeln des bon ton's langweilte. Ich mischte mich ins Gespräch und brachte es wirklich dahin, daß ich die junge Sängerin begleiten durfte. Gleich nach den ersten Accorden verlor sie den Tact. Sie wußte sich in die Art, wie ich declamirte, durchaus nicht zu finden. Meine verehrungswürdige Lady, wendete ich mich nun zur Erklärung meines Vortrags an sie -- die bezaubernde Aisance, womit Sie diese Noten singen, macht mich außerordentlich be¬ gierig die erste Arie der Zerlina: Batti, batti, o bel Masetto von Ihnen zu hören. Dort müßte sie von ganz unvergleichlicher Wirkung sein. Dort nämlich geht Zerlina damit um, allerlei überflüßige Scrupel ihres Bräutigams einzusingen, einzulullen, wenn Sie wollen; ihr Gesang muß sich wie lindes Oel, wie Mondlicht auf die Nerven legen. In der ersten Arie, sprech' ich. In dieser zweiten dagegen herrscht jener Charakter nur theilweise, theilweise nicht. Beruhigen will sie freilich auch diesmal wieder, aber sie selbst ist nicht mehr ruhig. Sie nimmt ihren Bräutigam jetzt offenbar ernsthaft, der früher nahezu ihr Düpe war, die Stunden erfüllter Liebenssehnsucht rücken unauf¬ haltsam näher, das Abenteuer mit Don Giovanni selbst, obwohl in der Spitze gebrochen, muß ihre Phantasie lebhaft ergriffen haben: -- so weht durch dieses ganze Vedrai carino eine Luft des Brautge¬ machs, möcht' ich sagen, und das: sentillo battere steht nicht umsonst da. Man muß das Herz wirklich schlagen hören darin. In meinem Kunsteifer merkt' ich nicht, daß sämmtliche Ladies sich die Taschentücher vor die Augen hielten. Ein junger Affe aber, der sich den Musik¬ lehrer des Hauses nannte, übernahm es, meine Ansicht "shoking" zu finden. Ich suchte vergebens ein Fünkchen gesundes Gefühl in ihm
Es war in einer der beſſeren Soireen hieſiger Stadt, wo ich als neu eingeführter Fremdling von einer jungen Miß die Arie Vedrai carino ſingen hörte. Ha, dachte ich, hier iſt dein Krug am rechten Brunnen, Newyork empfängt dich vortrefflich. Indeß trug das arme Mädchen die Arie ſo über alle Maßen ſchleppend und ſeelenlos vor, daß man mit leichter Mühe mich überredet hätte, der berühmte Epimenides, der neun Jahre geſchlafen haben ſoll, ſei von keinem andern als dieſem Liede eingeſungen worden. Ich vermochte natürlich nicht, an mich zu halten. Ich ſchmuggelte mich auf eine gute Art ans Clavier, wo ein Bouquet von jungen Damen und Herren, wie ein Neſt bunter Papa¬ gaien umherſaß und ſich nach allen Regeln des bon ton's langweilte. Ich miſchte mich ins Geſpräch und brachte es wirklich dahin, daß ich die junge Sängerin begleiten durfte. Gleich nach den erſten Accorden verlor ſie den Tact. Sie wußte ſich in die Art, wie ich declamirte, durchaus nicht zu finden. Meine verehrungswürdige Lady, wendete ich mich nun zur Erklärung meines Vortrags an ſie — die bezaubernde Aiſance, womit Sie dieſe Noten ſingen, macht mich außerordentlich be¬ gierig die erſte Arie der Zerlina: Batti, batti, o bel Masetto von Ihnen zu hören. Dort müßte ſie von ganz unvergleichlicher Wirkung ſein. Dort nämlich geht Zerlina damit um, allerlei überflüßige Scrupel ihres Bräutigams einzuſingen, einzulullen, wenn Sie wollen; ihr Geſang muß ſich wie lindes Oel, wie Mondlicht auf die Nerven legen. In der erſten Arie, ſprech' ich. In dieſer zweiten dagegen herrſcht jener Charakter nur theilweiſe, theilweiſe nicht. Beruhigen will ſie freilich auch diesmal wieder, aber ſie ſelbſt iſt nicht mehr ruhig. Sie nimmt ihren Bräutigam jetzt offenbar ernſthaft, der früher nahezu ihr Düpe war, die Stunden erfüllter Liebensſehnſucht rücken unauf¬ haltſam näher, das Abenteuer mit Don Giovanni ſelbſt, obwohl in der Spitze gebrochen, muß ihre Phantaſie lebhaft ergriffen haben: — ſo weht durch dieſes ganze Vedrai carino eine Luft des Brautge¬ machs, möcht' ich ſagen, und das: sentillo battere ſteht nicht umſonſt da. Man muß das Herz wirklich ſchlagen hören darin. In meinem Kunſteifer merkt' ich nicht, daß ſämmtliche Ladies ſich die Taſchentücher vor die Augen hielten. Ein junger Affe aber, der ſich den Muſik¬ lehrer des Hauſes nannte, übernahm es, meine Anſicht „shoking” zu finden. Ich ſuchte vergebens ein Fünkchen geſundes Gefühl in ihm
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Es war in einer der beſſeren Soireen hieſiger Stadt, wo ich als neu
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die Arie ſo über alle Maßen ſchleppend und ſeelenlos vor, daß man
mit leichter Mühe mich überredet hätte, der berühmte Epimenides, der
neun Jahre geſchlafen haben ſoll, ſei von keinem andern als dieſem
Liede eingeſungen worden. Ich vermochte natürlich nicht, an mich zu
halten. Ich ſchmuggelte mich auf eine gute Art ans Clavier, wo ein
Bouquet von jungen Damen und Herren, wie ein Neſt bunter Papa¬
gaien umherſaß und ſich nach allen Regeln des bon ton's langweilte.
Ich miſchte mich ins Geſpräch und brachte es wirklich dahin, daß ich
die junge Sängerin begleiten durfte. Gleich nach den erſten Accorden
verlor ſie den Tact. Sie wußte ſich in die Art, wie ich declamirte,
durchaus nicht zu finden. Meine verehrungswürdige Lady, wendete ich
mich nun zur Erklärung meines Vortrags an ſie — die bezaubernde
Aiſance, womit Sie dieſe Noten ſingen, macht mich außerordentlich be¬
gierig die erſte Arie der Zerlina: Batti, batti, o bel Masetto von
Ihnen zu hören. Dort müßte ſie von ganz unvergleichlicher Wirkung
ſein. Dort nämlich geht Zerlina damit um, allerlei überflüßige
Scrupel ihres Bräutigams einzuſingen, einzulullen, wenn Sie wollen;
ihr Geſang muß ſich wie lindes Oel, wie Mondlicht auf die Nerven
legen. In der erſten Arie, ſprech' ich. In dieſer zweiten dagegen
herrſcht jener Charakter nur theilweiſe, theilweiſe nicht. Beruhigen will
ſie freilich auch diesmal wieder, aber ſie ſelbſt iſt nicht mehr ruhig.
Sie nimmt ihren Bräutigam jetzt offenbar ernſthaft, der früher nahezu
ihr Düpe war, die Stunden erfüllter Liebensſehnſucht rücken unauf¬
haltſam näher, das Abenteuer mit Don Giovanni ſelbſt, obwohl in
der Spitze gebrochen, muß ihre Phantaſie lebhaft ergriffen haben: —
ſo weht durch dieſes ganze Vedrai carino eine Luft des Brautge¬
machs, möcht' ich ſagen, und das: sentillo battere ſteht nicht umſonſt
da. Man muß das Herz wirklich ſchlagen hören darin. In meinem
Kunſteifer merkt' ich nicht, daß ſämmtliche Ladies ſich die Taſchentücher
vor die Augen hielten. Ein junger Affe aber, der ſich den Muſik¬
lehrer des Hauſes nannte, übernahm es, meine Anſicht „shoking” zu
finden. Ich ſuchte vergebens ein Fünkchen geſundes Gefühl in ihm
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/493>, abgerufen am 22.11.2024.
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