Moorfeld flog auf sein Zimmer, lud seine Pistolen, warf sich in einen Wagen und eilte nach Staunton's Haus. Er hatte bei diesem Ereigniß vor Allem den Mißbrauch seiner Person zu rächen, welcher Benthal einen Auftrag an die Damen Milden gegeben, in dem Au¬ genblicke, da seine Verlobungskarten mit Miß Sarah gedruckt waren. Aber er fand Staunton's Haus verschlossen, die Jalousien nieder¬ gelassen und nur Jack, der Neger, war da, welcher zu verkünden hatte, daß seine Herrschaft heute Morgen eine Reise angetreten. Er zog von dem alt-anhänglichen Diener noch weitere Erkundigungen ein und ge¬ langte zu der Ueberzeugung, daß er sein Opfer aufgeben müsse. Es war die öffentliche Meinung der Stadt selbst, welche dem Hause Staunton, wegen des Ereignisses mit seinem Kammermädchen, diesen zeitweiligen Rückzug auferlegte. Aber geschickt hatte das Haus seine Ehrfurcht vor den Dehors mit dem Rückzuge des Schwiegersohnes combinirt, der bei seinem raschen, praktischen Auffassungstalente, seit gestern Abend wohl wußte, was ihm bevorstand. Dies war die Ein¬ sicht der Sachlage, welche Moorfeld in wenigen Augenblicken davontrug.
Er kehrte nach Hause zurück. Er fing an, einen Brief an Frau v. Milden aufzusetzen. Aber bald fühlte er, daß seine Hand keiner geraden Linie fähig war. Noch minder waren es seine Gedanken. Er warf sich hin und ließ sich zermalmen. Ein dumpfes Feuer breitete sich aus in ihm, in welchem Alles still und gestaltlos zusammen¬ brannte. Er wunderte sich, daß der Philadelphia-Bahnhof stand, daß Wagen rasselten, daß Glocken im Hause schallten, daß er auf den Treppen den Yankee Doodle pfeifen und mit der Baguette an Pan¬ talons schlagen hörte. Die Welt kam ihm wie ein Bilderbogen vor; er hatte das Gefühl, als sei Alles um ihn her nur gemalt. Bei dieser fürchterlichen Zerstörtheit im Innern marterte ihn die äußere
Viertes Kapitel.
Moorfeld flog auf ſein Zimmer, lud ſeine Piſtolen, warf ſich in einen Wagen und eilte nach Staunton's Haus. Er hatte bei dieſem Ereigniß vor Allem den Mißbrauch ſeiner Perſon zu rächen, welcher Benthal einen Auftrag an die Damen Milden gegeben, in dem Au¬ genblicke, da ſeine Verlobungskarten mit Miß Sarah gedruckt waren. Aber er fand Staunton's Haus verſchloſſen, die Jalouſien nieder¬ gelaſſen und nur Jack, der Neger, war da, welcher zu verkünden hatte, daß ſeine Herrſchaft heute Morgen eine Reiſe angetreten. Er zog von dem alt-anhänglichen Diener noch weitere Erkundigungen ein und ge¬ langte zu der Ueberzeugung, daß er ſein Opfer aufgeben müſſe. Es war die öffentliche Meinung der Stadt ſelbſt, welche dem Hauſe Staunton, wegen des Ereigniſſes mit ſeinem Kammermädchen, dieſen zeitweiligen Rückzug auferlegte. Aber geſchickt hatte das Haus ſeine Ehrfurcht vor den Dehors mit dem Rückzuge des Schwiegerſohnes combinirt, der bei ſeinem raſchen, praktiſchen Auffaſſungstalente, ſeit geſtern Abend wohl wußte, was ihm bevorſtand. Dies war die Ein¬ ſicht der Sachlage, welche Moorfeld in wenigen Augenblicken davontrug.
Er kehrte nach Hauſe zurück. Er fing an, einen Brief an Frau v. Milden aufzuſetzen. Aber bald fühlte er, daß ſeine Hand keiner geraden Linie fähig war. Noch minder waren es ſeine Gedanken. Er warf ſich hin und ließ ſich zermalmen. Ein dumpfes Feuer breitete ſich aus in ihm, in welchem Alles ſtill und geſtaltlos zuſammen¬ brannte. Er wunderte ſich, daß der Philadelphia-Bahnhof ſtand, daß Wagen raſſelten, daß Glocken im Hauſe ſchallten, daß er auf den Treppen den Yankee Doodle pfeifen und mit der Baguette an Pan¬ talons ſchlagen hörte. Die Welt kam ihm wie ein Bilderbogen vor; er hatte das Gefühl, als ſei Alles um ihn her nur gemalt. Bei dieſer fürchterlichen Zerſtörtheit im Innern marterte ihn die äußere
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Viertes Kapitel.
Moorfeld flog auf ſein Zimmer, lud ſeine Piſtolen, warf ſich in
einen Wagen und eilte nach Staunton's Haus. Er hatte bei dieſem
Ereigniß vor Allem den Mißbrauch ſeiner Perſon zu rächen, welcher
Benthal einen Auftrag an die Damen Milden gegeben, in dem Au¬
genblicke, da ſeine Verlobungskarten mit Miß Sarah gedruckt waren.
Aber er fand Staunton's Haus verſchloſſen, die Jalouſien nieder¬
gelaſſen und nur Jack, der Neger, war da, welcher zu verkünden hatte,
daß ſeine Herrſchaft heute Morgen eine Reiſe angetreten. Er zog von
dem alt-anhänglichen Diener noch weitere Erkundigungen ein und ge¬
langte zu der Ueberzeugung, daß er ſein Opfer aufgeben müſſe. Es
war die öffentliche Meinung der Stadt ſelbſt, welche dem Hauſe
Staunton, wegen des Ereigniſſes mit ſeinem Kammermädchen, dieſen
zeitweiligen Rückzug auferlegte. Aber geſchickt hatte das Haus ſeine
Ehrfurcht vor den Dehors mit dem Rückzuge des Schwiegerſohnes
combinirt, der bei ſeinem raſchen, praktiſchen Auffaſſungstalente, ſeit
geſtern Abend wohl wußte, was ihm bevorſtand. Dies war die Ein¬
ſicht der Sachlage, welche Moorfeld in wenigen Augenblicken davontrug.
Er kehrte nach Hauſe zurück. Er fing an, einen Brief an Frau
v. Milden aufzuſetzen. Aber bald fühlte er, daß ſeine Hand keiner
geraden Linie fähig war. Noch minder waren es ſeine Gedanken. Er
warf ſich hin und ließ ſich zermalmen. Ein dumpfes Feuer breitete
ſich aus in ihm, in welchem Alles ſtill und geſtaltlos zuſammen¬
brannte. Er wunderte ſich, daß der Philadelphia-Bahnhof ſtand, daß
Wagen raſſelten, daß Glocken im Hauſe ſchallten, daß er auf den
Treppen den Yankee Doodle pfeifen und mit der Baguette an Pan¬
talons ſchlagen hörte. Die Welt kam ihm wie ein Bilderbogen vor;
er hatte das Gefühl, als ſei Alles um ihn her nur gemalt. Bei
dieſer fürchterlichen Zerſtörtheit im Innern marterte ihn die äußere
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/499>, abgerufen am 22.11.2024.
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