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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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An da Ponte dachte Moorfeld zu spät. Vor den unaufhörlichen
Schlägen der letzten Stunden war das Schattenbild dieses Unglücklichen
in seiner zernichteten Seele zurückgetreten. Indem wir diesen Bericht
schreiben, wird dem Andenken Metastasio's in Wien ein Denkmal ge¬
setzt. Der Dichter des Don Juan starb in Newyork in einem
Hospitale. --

Wir begleiten nun unsern Helden auf seinem letzten Gange in
Amerika. Er eilt von dem Gesandtschaftshotel in der Whitehallstreet
nach der Statestreet, schneidet die Nordseite der Battery und lenkt nach
einer kurzen Strecke in der Washingtonstreet der Weststreet zu, dem
Landungsplatz der Bremer-, Hamburger- und Havrer-Schiffe. Als er
über die Battery ging, bot ihm ein grausiger Anblick den letzten Abschieds¬
gruß. Schon aus der Ferne sah er an einem Baume des Parks die
langgestreckte Gestalt eines Menschen hängen. Er vermuthete, jener
Unglückliche sei's, den er zuvor über den Broadway herab verfolgen
gesehen. Als er näher kam, erkannte er in der Leiche eine Gestalt aus
Kleindeutschland. Es war der Schriftsetzer Henning. --

Im Geleite aller Furien erreichte Moorfeld den Landungsplatz. Endlich
schaukelt ihn die Jolle, die ihn an Bord des Riego bringt. Endlich
besteigt er die Bretter, die in einem andern Sinne die Welt bedeuten,
denn sie führen gleich dem Ideale erlösend von Zone zu Zone, und
nur durch die Schifffahrt lernt die Menschheit ihr eigenes Ich kennen.
Die öffentliche Unordnung hatte die Einschiffung vieler Passagiere
verspätet und auch Moorfeld ließ noch vom Schiffe aus sein Reisegut
abholen. Alle übrigen Vorgänge waren für ihn die Phantasmagorie
eines Traumes. Er hörte die Passagiere in den mannigfachsten
Sprachen, Ansichten und Parteinahmen die Schandthat dieses Tages
besprechen, er hörte das Prasseln des Stadttumults aus der Ferne,
und unterschied namentlich einen Augenblick, in welchem ein starkes,
heftiges Gewehrfeuer lauter als je aufloderte, was ohne Zweifel die
Ankunft der Philadelphia-Schützen bedeutete: er sah und hörte und --
sehnte sich nach der Alles verschlingenden Betäubung der Seekrankheit.
Nach einer dumpfdurchharrten Stunde fing die Maschine zu arbeiten
an, das Boot setzte sich in Bewegung -- hinaus ging's. Mit jeder
Achsenumdrehung des Rades verlor die Stadtansicht Newyorks an
Bestimmtheit der Umrisse. Die Luft war grau und nebelschwer und

An da Ponte dachte Moorfeld zu ſpät. Vor den unaufhörlichen
Schlägen der letzten Stunden war das Schattenbild dieſes Unglücklichen
in ſeiner zernichteten Seele zurückgetreten. Indem wir dieſen Bericht
ſchreiben, wird dem Andenken Metaſtaſio's in Wien ein Denkmal ge¬
ſetzt. Der Dichter des Don Juan ſtarb in Newyork in einem
Hoſpitale. —

Wir begleiten nun unſern Helden auf ſeinem letzten Gange in
Amerika. Er eilt von dem Geſandtſchaftshotel in der Whitehallſtreet
nach der Stateſtreet, ſchneidet die Nordſeite der Battery und lenkt nach
einer kurzen Strecke in der Waſhingtonſtreet der Weſtſtreet zu, dem
Landungsplatz der Bremer-, Hamburger- und Havrer-Schiffe. Als er
über die Battery ging, bot ihm ein grauſiger Anblick den letzten Abſchieds¬
gruß. Schon aus der Ferne ſah er an einem Baume des Parks die
langgeſtreckte Geſtalt eines Menſchen hängen. Er vermuthete, jener
Unglückliche ſei's, den er zuvor über den Broadway herab verfolgen
geſehen. Als er näher kam, erkannte er in der Leiche eine Geſtalt aus
Kleindeutſchland. Es war der Schriftſetzer Henning. —

Im Geleite aller Furien erreichte Moorfeld den Landungsplatz. Endlich
ſchaukelt ihn die Jolle, die ihn an Bord des Riego bringt. Endlich
beſteigt er die Bretter, die in einem andern Sinne die Welt bedeuten,
denn ſie führen gleich dem Ideale erlöſend von Zone zu Zone, und
nur durch die Schifffahrt lernt die Menſchheit ihr eigenes Ich kennen.
Die öffentliche Unordnung hatte die Einſchiffung vieler Paſſagiere
verſpätet und auch Moorfeld ließ noch vom Schiffe aus ſein Reiſegut
abholen. Alle übrigen Vorgänge waren für ihn die Phantasmagorie
eines Traumes. Er hörte die Paſſagiere in den mannigfachſten
Sprachen, Anſichten und Parteinahmen die Schandthat dieſes Tages
beſprechen, er hörte das Praſſeln des Stadttumults aus der Ferne,
und unterſchied namentlich einen Augenblick, in welchem ein ſtarkes,
heftiges Gewehrfeuer lauter als je aufloderte, was ohne Zweifel die
Ankunft der Philadelphia-Schützen bedeutete: er ſah und hörte und —
ſehnte ſich nach der Alles verſchlingenden Betäubung der Seekrankheit.
Nach einer dumpfdurchharrten Stunde fing die Maſchine zu arbeiten
an, das Boot ſetzte ſich in Bewegung — hinaus ging's. Mit jeder
Achſenumdrehung des Rades verlor die Stadtanſicht Newyorks an
Beſtimmtheit der Umriſſe. Die Luft war grau und nebelſchwer und

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[502/0520] An da Ponte dachte Moorfeld zu ſpät. Vor den unaufhörlichen Schlägen der letzten Stunden war das Schattenbild dieſes Unglücklichen in ſeiner zernichteten Seele zurückgetreten. Indem wir dieſen Bericht ſchreiben, wird dem Andenken Metaſtaſio's in Wien ein Denkmal ge¬ ſetzt. Der Dichter des Don Juan ſtarb in Newyork in einem Hoſpitale. — Wir begleiten nun unſern Helden auf ſeinem letzten Gange in Amerika. Er eilt von dem Geſandtſchaftshotel in der Whitehallſtreet nach der Stateſtreet, ſchneidet die Nordſeite der Battery und lenkt nach einer kurzen Strecke in der Waſhingtonſtreet der Weſtſtreet zu, dem Landungsplatz der Bremer-, Hamburger- und Havrer-Schiffe. Als er über die Battery ging, bot ihm ein grauſiger Anblick den letzten Abſchieds¬ gruß. Schon aus der Ferne ſah er an einem Baume des Parks die langgeſtreckte Geſtalt eines Menſchen hängen. Er vermuthete, jener Unglückliche ſei's, den er zuvor über den Broadway herab verfolgen geſehen. Als er näher kam, erkannte er in der Leiche eine Geſtalt aus Kleindeutſchland. Es war der Schriftſetzer Henning. — Im Geleite aller Furien erreichte Moorfeld den Landungsplatz. Endlich ſchaukelt ihn die Jolle, die ihn an Bord des Riego bringt. Endlich beſteigt er die Bretter, die in einem andern Sinne die Welt bedeuten, denn ſie führen gleich dem Ideale erlöſend von Zone zu Zone, und nur durch die Schifffahrt lernt die Menſchheit ihr eigenes Ich kennen. Die öffentliche Unordnung hatte die Einſchiffung vieler Paſſagiere verſpätet und auch Moorfeld ließ noch vom Schiffe aus ſein Reiſegut abholen. Alle übrigen Vorgänge waren für ihn die Phantasmagorie eines Traumes. Er hörte die Paſſagiere in den mannigfachſten Sprachen, Anſichten und Parteinahmen die Schandthat dieſes Tages beſprechen, er hörte das Praſſeln des Stadttumults aus der Ferne, und unterſchied namentlich einen Augenblick, in welchem ein ſtarkes, heftiges Gewehrfeuer lauter als je aufloderte, was ohne Zweifel die Ankunft der Philadelphia-Schützen bedeutete: er ſah und hörte und — ſehnte ſich nach der Alles verſchlingenden Betäubung der Seekrankheit. Nach einer dumpfdurchharrten Stunde fing die Maſchine zu arbeiten an, das Boot ſetzte ſich in Bewegung — hinaus ging's. Mit jeder Achſenumdrehung des Rades verlor die Stadtanſicht Newyorks an Beſtimmtheit der Umriſſe. Die Luft war grau und nebelſchwer und

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/520>, abgerufen am 24.11.2024.