In dieser Stimmung hatte der Freund seine geliebte, wohlverpackte Violine vorgefunden und aus den ersten Probegriffen um die Reinheit des Tons wurde unvermerkt ein langgezogenes Spiel. An's Fenster gedrückt, das Auge über Fluß und Land und durch die tiefblaue Hei¬ terkeit des Morgenhimmels schweifend, stand er da und brachte der neuen Welt das erste Liebesopfer einer klangreichen Seele. Die hei¬ mathlichen Weisen quollen in reicher Strömung aus dem schönen In¬ strumente, eine Phantasie, die sich an ihrer eigenen Fruchtbarkeit hinriß, reihte Blume an Blume, hing Kranz neben Kranz auf, und vor dem inneren Auge des Künstlers stand vielleicht ein Freundeskreis von fer¬ nen, lieben Menschen, werth, daß sie eine Seele in ihren guten Stunden mitgenießend vergegenwärtigte.
Als Moorfeld eine Zeitlang so vor sich hingespielt hatte, klopfte es. Herr Staunton trat ein und erkundigte sich, im hochgesteiften Vater¬ mörder, den französischen Hut in der Hand, um das Befinden seines Gastes. Moorfeld dankte, und wies auf seine Violine, das Zeichen seiner aufgeweckten Kräfte. Ein vorzügliches Instrument, ein klang¬ reiches, melodisches Instrument, rief Herr Staunton, geschehe mir an¬ ders als ich wünsche, wenn ich Ihr Spiel nicht mit dankbarer Freude belauscht habe. Ich muß die Wahrheit sagen, Herr Doctor, ein ganz köstliches Holz! Ach, das Vergnügen der Kunst wird mir zu selten zu Theil, als daß ich's nicht lebhaft zu schätzen wüßte. In der Woche besetzt das Geschäft und der Clubb die Tags- und Abend¬ stunden, und am Sonntage kann man in sämmtlichen Staaten der Union keinen musikalischen Ton hören, wenn nicht glücklicherweise viel¬ leicht von einem Fremden. Unser frommes Land hält Klang und Saitenspiel für eine Sünde am Tage des Herrn; aber ich denke wohl, meine Nachbarn sind bereits in den Kirchen, man wird uns kein Aerger¬ niß nachsagen, Herr Doctor. Der junge Europäer legte rasch, als ob es entweiht wäre, sein Instrument hin; sein dunkles Auge schoß einen wilden Blick, voll von dem Genie des Zorns. Der Amerikaner nahm die Gelegenheit wahr, als er seine Mission erfüllt sah, mit Höflich¬ keits-Formalitäten wieder seinen Rückzug zu nehmen.
Moorfeld fuhr im Aufräumen seiner Koffer fort, aber wir kön¬ nen in dieser ausdruckslosen Arbeit eine merkliche Veränderung des innern Ausdrucks wahrnehmen. Das harmlose Adagio seines vorigen
In dieſer Stimmung hatte der Freund ſeine geliebte, wohlverpackte Violine vorgefunden und aus den erſten Probegriffen um die Reinheit des Tons wurde unvermerkt ein langgezogenes Spiel. An's Fenſter gedrückt, das Auge über Fluß und Land und durch die tiefblaue Hei¬ terkeit des Morgenhimmels ſchweifend, ſtand er da und brachte der neuen Welt das erſte Liebesopfer einer klangreichen Seele. Die hei¬ mathlichen Weiſen quollen in reicher Strömung aus dem ſchönen In¬ ſtrumente, eine Phantaſie, die ſich an ihrer eigenen Fruchtbarkeit hinriß, reihte Blume an Blume, hing Kranz neben Kranz auf, und vor dem inneren Auge des Künſtlers ſtand vielleicht ein Freundeskreis von fer¬ nen, lieben Menſchen, werth, daß ſie eine Seele in ihren guten Stunden mitgenießend vergegenwärtigte.
Als Moorfeld eine Zeitlang ſo vor ſich hingeſpielt hatte, klopfte es. Herr Staunton trat ein und erkundigte ſich, im hochgeſteiften Vater¬ mörder, den franzöſiſchen Hut in der Hand, um das Befinden ſeines Gaſtes. Moorfeld dankte, und wies auf ſeine Violine, das Zeichen ſeiner aufgeweckten Kräfte. Ein vorzügliches Inſtrument, ein klang¬ reiches, melodiſches Inſtrument, rief Herr Staunton, geſchehe mir an¬ ders als ich wünſche, wenn ich Ihr Spiel nicht mit dankbarer Freude belauſcht habe. Ich muß die Wahrheit ſagen, Herr Doctor, ein ganz köſtliches Holz! Ach, das Vergnügen der Kunſt wird mir zu ſelten zu Theil, als daß ich's nicht lebhaft zu ſchätzen wüßte. In der Woche beſetzt das Geſchäft und der Clubb die Tags- und Abend¬ ſtunden, und am Sonntage kann man in ſämmtlichen Staaten der Union keinen muſikaliſchen Ton hören, wenn nicht glücklicherweiſe viel¬ leicht von einem Fremden. Unſer frommes Land hält Klang und Saitenſpiel für eine Sünde am Tage des Herrn; aber ich denke wohl, meine Nachbarn ſind bereits in den Kirchen, man wird uns kein Aerger¬ niß nachſagen, Herr Doctor. Der junge Europäer legte raſch, als ob es entweiht wäre, ſein Inſtrument hin; ſein dunkles Auge ſchoß einen wilden Blick, voll von dem Genie des Zorns. Der Amerikaner nahm die Gelegenheit wahr, als er ſeine Miſſion erfüllt ſah, mit Höflich¬ keits-Formalitäten wieder ſeinen Rückzug zu nehmen.
Moorfeld fuhr im Aufräumen ſeiner Koffer fort, aber wir kön¬ nen in dieſer ausdrucksloſen Arbeit eine merkliche Veränderung des innern Ausdrucks wahrnehmen. Das harmloſe Adagio ſeines vorigen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0055"n="37"/><p>In dieſer Stimmung hatte der Freund ſeine geliebte, wohlverpackte<lb/>
Violine vorgefunden und aus den erſten Probegriffen um die Reinheit<lb/>
des Tons wurde unvermerkt ein langgezogenes Spiel. An's Fenſter<lb/>
gedrückt, das Auge über Fluß und Land und durch die tiefblaue Hei¬<lb/>
terkeit des Morgenhimmels ſchweifend, ſtand er da und brachte der<lb/>
neuen Welt das erſte Liebesopfer einer klangreichen Seele. Die hei¬<lb/>
mathlichen Weiſen quollen in reicher Strömung aus dem ſchönen In¬<lb/>ſtrumente, eine Phantaſie, die ſich an ihrer eigenen Fruchtbarkeit hinriß,<lb/>
reihte Blume an Blume, hing Kranz neben Kranz auf, und vor dem<lb/>
inneren Auge des Künſtlers ſtand vielleicht ein Freundeskreis von fer¬<lb/>
nen, lieben Menſchen, werth, daß ſie eine Seele in ihren guten Stunden<lb/>
mitgenießend vergegenwärtigte.</p><lb/><p>Als Moorfeld eine Zeitlang ſo vor ſich hingeſpielt hatte, klopfte es.<lb/>
Herr Staunton trat ein und erkundigte ſich, im hochgeſteiften Vater¬<lb/>
mörder, den franzöſiſchen Hut in der Hand, um das Befinden ſeines<lb/>
Gaſtes. Moorfeld dankte, und wies auf ſeine Violine, das Zeichen<lb/>ſeiner aufgeweckten Kräfte. Ein vorzügliches Inſtrument, ein klang¬<lb/>
reiches, melodiſches Inſtrument, rief Herr Staunton, geſchehe mir an¬<lb/>
ders als ich wünſche, wenn ich Ihr Spiel nicht mit dankbarer Freude<lb/>
belauſcht habe. Ich muß die Wahrheit ſagen, Herr Doctor, ein ganz<lb/>
köſtliches Holz! Ach, das Vergnügen der Kunſt wird mir zu ſelten<lb/>
zu Theil, als daß ich's nicht lebhaft zu ſchätzen wüßte. In der<lb/>
Woche beſetzt das Geſchäft und der Clubb die Tags- und Abend¬<lb/>ſtunden, und am Sonntage kann man in ſämmtlichen Staaten der<lb/>
Union keinen muſikaliſchen Ton hören, wenn nicht glücklicherweiſe viel¬<lb/>
leicht von einem Fremden. Unſer frommes Land hält Klang und<lb/>
Saitenſpiel für eine Sünde am Tage des Herrn; aber ich denke wohl,<lb/>
meine Nachbarn ſind bereits in den Kirchen, man wird uns kein Aerger¬<lb/>
niß nachſagen, Herr Doctor. Der junge Europäer legte raſch, als ob<lb/>
es entweiht wäre, ſein Inſtrument hin; ſein dunkles Auge ſchoß einen<lb/>
wilden Blick, voll von dem Genie des Zorns. Der Amerikaner nahm<lb/>
die Gelegenheit wahr, als er ſeine Miſſion erfüllt ſah, mit Höflich¬<lb/>
keits-Formalitäten wieder ſeinen Rückzug zu nehmen.</p><lb/><p>Moorfeld fuhr im Aufräumen ſeiner Koffer fort, aber wir kön¬<lb/>
nen in dieſer ausdrucksloſen Arbeit eine merkliche Veränderung des<lb/>
innern Ausdrucks wahrnehmen. Das harmloſe Adagio ſeines vorigen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[37/0055]
In dieſer Stimmung hatte der Freund ſeine geliebte, wohlverpackte
Violine vorgefunden und aus den erſten Probegriffen um die Reinheit
des Tons wurde unvermerkt ein langgezogenes Spiel. An's Fenſter
gedrückt, das Auge über Fluß und Land und durch die tiefblaue Hei¬
terkeit des Morgenhimmels ſchweifend, ſtand er da und brachte der
neuen Welt das erſte Liebesopfer einer klangreichen Seele. Die hei¬
mathlichen Weiſen quollen in reicher Strömung aus dem ſchönen In¬
ſtrumente, eine Phantaſie, die ſich an ihrer eigenen Fruchtbarkeit hinriß,
reihte Blume an Blume, hing Kranz neben Kranz auf, und vor dem
inneren Auge des Künſtlers ſtand vielleicht ein Freundeskreis von fer¬
nen, lieben Menſchen, werth, daß ſie eine Seele in ihren guten Stunden
mitgenießend vergegenwärtigte.
Als Moorfeld eine Zeitlang ſo vor ſich hingeſpielt hatte, klopfte es.
Herr Staunton trat ein und erkundigte ſich, im hochgeſteiften Vater¬
mörder, den franzöſiſchen Hut in der Hand, um das Befinden ſeines
Gaſtes. Moorfeld dankte, und wies auf ſeine Violine, das Zeichen
ſeiner aufgeweckten Kräfte. Ein vorzügliches Inſtrument, ein klang¬
reiches, melodiſches Inſtrument, rief Herr Staunton, geſchehe mir an¬
ders als ich wünſche, wenn ich Ihr Spiel nicht mit dankbarer Freude
belauſcht habe. Ich muß die Wahrheit ſagen, Herr Doctor, ein ganz
köſtliches Holz! Ach, das Vergnügen der Kunſt wird mir zu ſelten
zu Theil, als daß ich's nicht lebhaft zu ſchätzen wüßte. In der
Woche beſetzt das Geſchäft und der Clubb die Tags- und Abend¬
ſtunden, und am Sonntage kann man in ſämmtlichen Staaten der
Union keinen muſikaliſchen Ton hören, wenn nicht glücklicherweiſe viel¬
leicht von einem Fremden. Unſer frommes Land hält Klang und
Saitenſpiel für eine Sünde am Tage des Herrn; aber ich denke wohl,
meine Nachbarn ſind bereits in den Kirchen, man wird uns kein Aerger¬
niß nachſagen, Herr Doctor. Der junge Europäer legte raſch, als ob
es entweiht wäre, ſein Inſtrument hin; ſein dunkles Auge ſchoß einen
wilden Blick, voll von dem Genie des Zorns. Der Amerikaner nahm
die Gelegenheit wahr, als er ſeine Miſſion erfüllt ſah, mit Höflich¬
keits-Formalitäten wieder ſeinen Rückzug zu nehmen.
Moorfeld fuhr im Aufräumen ſeiner Koffer fort, aber wir kön¬
nen in dieſer ausdrucksloſen Arbeit eine merkliche Veränderung des
innern Ausdrucks wahrnehmen. Das harmloſe Adagio ſeines vorigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/55>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.