ausbeuten würden, daran zu zweifeln wäre nach allen Proben dieses Volks¬ geistes Vermessenheit gewesen. Mit den höchsten Würdenträgern in der Hierarchie des Humbugs wagte unser Fremdling aber doch keinen so leich¬ ten Gang. Er durfte sich Glück wünschen, die geringeren los zu sein. Denn wahrlich, nicht Jeder war so glücklich. Das Publikum, das diese Halle erfüllte, trug nicht durchweg Frack und Glacehandschuhe. Er ließ Schaaren von Auswanderern hinter sich zurück -- grobe Bauernkittel mit dem Holzschnitt ehrlicher Einfalt im Gesichte, mit dem Schweiße saurer Wirthschaftsjahre in der Geldkatze, -- gnad' ihnen Gott! selbst ein Atheist hätte für sie gebetet. Erst in ihrem Anblicke schauderte Moorfeld vor der sittlichen Luft dieses Hauses.
Als er hierauf durch die sonnigen Straßen dem nächst-besten Cafe auf der Battery-Promenade zuwandelte, geschah es unter Reflexionen, von denen wir nur den geringsten Theil wiedergeben können. Er be¬ trachtete das Verhältniß eines Gebildeten in Europa zu Amerika und entdeckte mit Erstaunen, daß es zunächst gar keines war. Die deutsche Literatur über Amerika war zu Anfang der dreißiger Jahre weder an Umfang, noch an Gehalt in einem Zustande, der von der Wichtigkeit ih¬ res Gegenstandes ein Bewußtsein verrieth. Der Umfang blieb hinter der weitläufigen Peripherie des Beobachtungsobjectes unendlich zurück, und die Beobachtung selbst war schlecht. Sie trug den persönlichen Charakter der Stimmung, statt den weltgeschichtlichen der Kritik. Bücher, von einem liebenswürdigen aber unhistorischen Dilletantismus geschrie¬ ben, sprachen von Amerika so, wie man ungefähr am winterlichen Kamin von Nizza, Meran und vom Comer-See spricht; gleichsam als wäre das sociale Leiden Europa's mädchenhafte Schwindsuchts-Poesie. So schrieben Racknitz und Scherpf über Texas, Bromme über Florida, Duden über Missouri, Gerke über Illinois, Andre über Anderes. Noch mehr aber als durch die belletristische Ornamentik litt die Wahr¬ heit des Gegenstandes durch die politische. Der Liberalismus der Re¬ staurationsperiode fand in Wort und Schrift über Amerika eines seiner wenigen erlaubten Ausdrucksmittel. Er benutzte es eifrig. Er feierte die Sternbanner-Republik als die praktische Verwirklichung seines geächteten Ideals. Aus dieser Tendenz ging zwar die Wahrheit auf, aber nicht die volle Wahrheit. Er hätte es für politische Unklugheit, ja für Verrath gehalten, die Flecken seiner Sonne zu gestehen. In
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ausbeuten würden, daran zu zweifeln wäre nach allen Proben dieſes Volks¬ geiſtes Vermeſſenheit geweſen. Mit den höchſten Würdenträgern in der Hierarchie des Humbugs wagte unſer Fremdling aber doch keinen ſo leich¬ ten Gang. Er durfte ſich Glück wünſchen, die geringeren los zu ſein. Denn wahrlich, nicht Jeder war ſo glücklich. Das Publikum, das dieſe Halle erfüllte, trug nicht durchweg Frack und Glacéhandſchuhe. Er ließ Schaaren von Auswanderern hinter ſich zurück — grobe Bauernkittel mit dem Holzſchnitt ehrlicher Einfalt im Geſichte, mit dem Schweiße ſaurer Wirthſchaftsjahre in der Geldkatze, — gnad' ihnen Gott! ſelbſt ein Atheiſt hätte für ſie gebetet. Erſt in ihrem Anblicke ſchauderte Moorfeld vor der ſittlichen Luft dieſes Hauſes.
Als er hierauf durch die ſonnigen Straßen dem nächſt-beſten Café auf der Battery-Promenade zuwandelte, geſchah es unter Reflexionen, von denen wir nur den geringſten Theil wiedergeben können. Er be¬ trachtete das Verhältniß eines Gebildeten in Europa zu Amerika und entdeckte mit Erſtaunen, daß es zunächſt gar keines war. Die deutſche Literatur über Amerika war zu Anfang der dreißiger Jahre weder an Umfang, noch an Gehalt in einem Zuſtande, der von der Wichtigkeit ih¬ res Gegenſtandes ein Bewußtſein verrieth. Der Umfang blieb hinter der weitläufigen Peripherie des Beobachtungsobjectes unendlich zurück, und die Beobachtung ſelbſt war ſchlecht. Sie trug den perſönlichen Charakter der Stimmung, ſtatt den weltgeſchichtlichen der Kritik. Bücher, von einem liebenswürdigen aber unhiſtoriſchen Dilletantismus geſchrie¬ ben, ſprachen von Amerika ſo, wie man ungefähr am winterlichen Kamin von Nizza, Meran und vom Comer-See ſpricht; gleichſam als wäre das ſociale Leiden Europa's mädchenhafte Schwindſuchts-Poeſie. So ſchrieben Racknitz und Scherpf über Texas, Bromme über Florida, Duden über Miſſouri, Gerke über Illinois, Andre über Anderes. Noch mehr aber als durch die belletriſtiſche Ornamentik litt die Wahr¬ heit des Gegenſtandes durch die politiſche. Der Liberalismus der Re¬ ſtaurationsperiode fand in Wort und Schrift über Amerika eines ſeiner wenigen erlaubten Ausdrucksmittel. Er benutzte es eifrig. Er feierte die Sternbanner-Republik als die praktiſche Verwirklichung ſeines geächteten Ideals. Aus dieſer Tendenz ging zwar die Wahrheit auf, aber nicht die volle Wahrheit. Er hätte es für politiſche Unklugheit, ja für Verrath gehalten, die Flecken ſeiner Sonne zu geſtehen. In
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ausbeuten würden, daran zu zweifeln wäre nach allen Proben dieſes Volks¬
geiſtes Vermeſſenheit geweſen. Mit den höchſten Würdenträgern in der
Hierarchie des Humbugs wagte unſer Fremdling aber doch keinen ſo leich¬
ten Gang. Er durfte ſich Glück wünſchen, die geringeren los zu ſein.
Denn wahrlich, nicht Jeder war ſo glücklich. Das Publikum, das dieſe
Halle erfüllte, trug nicht durchweg Frack und Glacéhandſchuhe. Er ließ
Schaaren von Auswanderern hinter ſich zurück — grobe Bauernkittel mit
dem Holzſchnitt ehrlicher Einfalt im Geſichte, mit dem Schweiße ſaurer
Wirthſchaftsjahre in der Geldkatze, — gnad' ihnen Gott! ſelbſt ein Atheiſt
hätte für ſie gebetet. Erſt in ihrem Anblicke ſchauderte Moorfeld vor der
ſittlichen Luft dieſes Hauſes.
Als er hierauf durch die ſonnigen Straßen dem nächſt-beſten Café
auf der Battery-Promenade zuwandelte, geſchah es unter Reflexionen,
von denen wir nur den geringſten Theil wiedergeben können. Er be¬
trachtete das Verhältniß eines Gebildeten in Europa zu Amerika und
entdeckte mit Erſtaunen, daß es zunächſt gar keines war. Die deutſche
Literatur über Amerika war zu Anfang der dreißiger Jahre weder an
Umfang, noch an Gehalt in einem Zuſtande, der von der Wichtigkeit ih¬
res Gegenſtandes ein Bewußtſein verrieth. Der Umfang blieb hinter
der weitläufigen Peripherie des Beobachtungsobjectes unendlich zurück,
und die Beobachtung ſelbſt war ſchlecht. Sie trug den perſönlichen
Charakter der Stimmung, ſtatt den weltgeſchichtlichen der Kritik. Bücher,
von einem liebenswürdigen aber unhiſtoriſchen Dilletantismus geſchrie¬
ben, ſprachen von Amerika ſo, wie man ungefähr am winterlichen
Kamin von Nizza, Meran und vom Comer-See ſpricht; gleichſam als
wäre das ſociale Leiden Europa's mädchenhafte Schwindſuchts-Poeſie.
So ſchrieben Racknitz und Scherpf über Texas, Bromme über Florida,
Duden über Miſſouri, Gerke über Illinois, Andre über Anderes.
Noch mehr aber als durch die belletriſtiſche Ornamentik litt die Wahr¬
heit des Gegenſtandes durch die politiſche. Der Liberalismus der Re¬
ſtaurationsperiode fand in Wort und Schrift über Amerika eines
ſeiner wenigen erlaubten Ausdrucksmittel. Er benutzte es eifrig. Er
feierte die Sternbanner-Republik als die praktiſche Verwirklichung ſeines
geächteten Ideals. Aus dieſer Tendenz ging zwar die Wahrheit auf,
aber nicht die volle Wahrheit. Er hätte es für politiſche Unklugheit,
ja für Verrath gehalten, die Flecken ſeiner Sonne zu geſtehen. In
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/85>, abgerufen am 24.11.2024.
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