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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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dieser filtrirten Sonnenbeleuchtung nun überkamen die Gebildeten der
vorigen Generation Amerika's Bild. Wenn wir heute jene Schilde¬
rungen lesen, so thun wir es mit dem Hintergedanken ihrer Tendenz,
wir betrachten und verstehen sie als Kunstwerke der oppositionellen
Beredsamkeit. Bedenken wir aber, daß man allen Farben und allen
Farben-Nüancen dieser lockenden Bilder damals volle objective Wahr¬
heit zugestand, daß man sie buchstäblich nahm und gläubig beschwor,
so wird uns eine Vorstellung davon entstehen, daß ein gebildeter Aus¬
wanderer, der aus dieser Literatur sich enthusiasmirt hat, sie dem Hum¬
bug gegenüber nun selbst als Humbug empfand. In der That er¬
kannte Moorfeld seine europäische Lectüre über Amerika jetzt blos als
Unterhaltungs-Lectüre und sah die Nothwendigkeit ein, die Be¬
lehrungs-Lectüre von vorn anzufangen. Er stellte sich also die Auf¬
gabe, das Land aus den besten Landesquellen selbst zu studiren.

Ueber das Project seiner Ansiedlung beschloß er sodann auf dem
Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog
er aus dem so eben Erlebten die Summe, so gab ihm sein eigenes
Schlußvermögen zunächst folgende zwei Rathschläge an die Hand: Er¬
stens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der
Ernte zu kaufen, da der Acker gewissermaßen für oder gegen sich selbst
zeugt und der Ertrag des Jahres so allgemeines Landgespräch ist, daß
der Fremde unmöglich mit einer übereinstimmenden Fiction umsponnen
werden kann.

Wir wissen nicht, ob wir es an diesem Orte ausdrücklich ent¬
schuldigen müssen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menschenverstand
zu Werke geht. Wer nach dieser Probe die prosaische Perspective sei¬
nes künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der
Verstand, selbst im besten Falle, höchstens die gesetzgebende Gewalt
ist, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unsre
Fähigkeit, uns zu behaupten, sein mag, unsre Fähigkeit, zu Grunde
zu gehen, ist immer noch größer.

Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande seines Ansied¬
lungsprojectes, hatte Moorfeld noch einige Wochen zu versäumen. Er
konnte inzwischen jene literarischen Ergänzungsstudien machen, die er
zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den gelehrten Theil
seines Haushalts, den er in der Isolirung des Hinterwalds nicht be¬

dieſer filtrirten Sonnenbeleuchtung nun überkamen die Gebildeten der
vorigen Generation Amerika's Bild. Wenn wir heute jene Schilde¬
rungen leſen, ſo thun wir es mit dem Hintergedanken ihrer Tendenz,
wir betrachten und verſtehen ſie als Kunſtwerke der oppoſitionellen
Beredſamkeit. Bedenken wir aber, daß man allen Farben und allen
Farben-Nüancen dieſer lockenden Bilder damals volle objective Wahr¬
heit zugeſtand, daß man ſie buchſtäblich nahm und gläubig beſchwor,
ſo wird uns eine Vorſtellung davon entſtehen, daß ein gebildeter Aus¬
wanderer, der aus dieſer Literatur ſich enthuſiasmirt hat, ſie dem Hum¬
bug gegenüber nun ſelbſt als Humbug empfand. In der That er¬
kannte Moorfeld ſeine europäiſche Lectüre über Amerika jetzt blos als
Unterhaltungs-Lectüre und ſah die Nothwendigkeit ein, die Be¬
lehrungs-Lectüre von vorn anzufangen. Er ſtellte ſich alſo die Auf¬
gabe, das Land aus den beſten Landesquellen ſelbſt zu ſtudiren.

Ueber das Project ſeiner Anſiedlung beſchloß er ſodann auf dem
Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog
er aus dem ſo eben Erlebten die Summe, ſo gab ihm ſein eigenes
Schlußvermögen zunächſt folgende zwei Rathſchläge an die Hand: Er¬
ſtens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der
Ernte zu kaufen, da der Acker gewiſſermaßen für oder gegen ſich ſelbſt
zeugt und der Ertrag des Jahres ſo allgemeines Landgeſpräch iſt, daß
der Fremde unmöglich mit einer übereinſtimmenden Fiction umſponnen
werden kann.

Wir wiſſen nicht, ob wir es an dieſem Orte ausdrücklich ent¬
ſchuldigen müſſen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menſchenverſtand
zu Werke geht. Wer nach dieſer Probe die proſaiſche Perſpective ſei¬
nes künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der
Verſtand, ſelbſt im beſten Falle, höchſtens die geſetzgebende Gewalt
iſt, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unſre
Fähigkeit, uns zu behaupten, ſein mag, unſre Fähigkeit, zu Grunde
zu gehen, iſt immer noch größer.

Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande ſeines Anſied¬
lungsprojectes, hatte Moorfeld noch einige Wochen zu verſäumen. Er
konnte inzwiſchen jene literariſchen Ergänzungsſtudien machen, die er
zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den gelehrten Theil
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[68/0086] dieſer filtrirten Sonnenbeleuchtung nun überkamen die Gebildeten der vorigen Generation Amerika's Bild. Wenn wir heute jene Schilde¬ rungen leſen, ſo thun wir es mit dem Hintergedanken ihrer Tendenz, wir betrachten und verſtehen ſie als Kunſtwerke der oppoſitionellen Beredſamkeit. Bedenken wir aber, daß man allen Farben und allen Farben-Nüancen dieſer lockenden Bilder damals volle objective Wahr¬ heit zugeſtand, daß man ſie buchſtäblich nahm und gläubig beſchwor, ſo wird uns eine Vorſtellung davon entſtehen, daß ein gebildeter Aus¬ wanderer, der aus dieſer Literatur ſich enthuſiasmirt hat, ſie dem Hum¬ bug gegenüber nun ſelbſt als Humbug empfand. In der That er¬ kannte Moorfeld ſeine europäiſche Lectüre über Amerika jetzt blos als Unterhaltungs-Lectüre und ſah die Nothwendigkeit ein, die Be¬ lehrungs-Lectüre von vorn anzufangen. Er ſtellte ſich alſo die Auf¬ gabe, das Land aus den beſten Landesquellen ſelbſt zu ſtudiren. Ueber das Project ſeiner Anſiedlung beſchloß er ſodann auf dem Ländermarkt zu Newyork überhaupt gar nichts zu unternehmen. Zog er aus dem ſo eben Erlebten die Summe, ſo gab ihm ſein eigenes Schlußvermögen zunächſt folgende zwei Rathſchläge an die Hand: Er¬ ſtens, nur an Ort und Stelle zu kaufen; zweitens, um die Zeit der Ernte zu kaufen, da der Acker gewiſſermaßen für oder gegen ſich ſelbſt zeugt und der Ertrag des Jahres ſo allgemeines Landgeſpräch iſt, daß der Fremde unmöglich mit einer übereinſtimmenden Fiction umſponnen werden kann. Wir wiſſen nicht, ob wir es an dieſem Orte ausdrücklich ent¬ ſchuldigen müſſen, daß ein Romanheld mit leidlichem Menſchenverſtand zu Werke geht. Wer nach dieſer Probe die proſaiſche Perſpective ſei¬ nes künftigen Verhaltens fürchtet, dem geben wir zu bedenken, daß der Verſtand, ſelbſt im beſten Falle, höchſtens die geſetzgebende Gewalt iſt, Gemüth und Stimmung aber die ausführende. Wie groß unſre Fähigkeit, uns zu behaupten, ſein mag, unſre Fähigkeit, zu Grunde zu gehen, iſt immer noch größer. Bis zum Anfange der Ernte in Ohio, dem Lande ſeines Anſied¬ lungsprojectes, hatte Moorfeld noch einige Wochen zu verſäumen. Er konnte inzwiſchen jene literariſchen Ergänzungsſtudien machen, die er zuvor als nothwendig erkannt, und überhaupt den gelehrten Theil ſeines Haushalts, den er in der Iſolirung des Hinterwalds nicht be¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/86>, abgerufen am 24.11.2024.