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Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schon lange die überhand nehmende Hypochondrie seines Herrn. Die Schilderungen werden immer ausführlicher und sind voll Wärme und Leben. -- Kein Wunder, wenn sie den Mann umbringen, antwortete der Gatte, sie sind ja selbst seine Drachen. Und vielleicht nagt es von innen heraus, wie von außen hinein. --Uebrigens schien der Doctor zu sehr mit sich selbst beschäftigt, denn er fragte nicht weiter nach Rudolf, ja er wunderte sich selbst, daß seine Frau jenen Dorfroman noch immer verfolge.

So verfloß abermals Zeit, und das entlegene Dorf trat dem Hauptstädter in fernere Vergessenheit zurück. Seit jenem botanischen Ausfluge war nun bald das zweite Jahr voll. Es war Hochsommer, die Residenz lebte auf ihren Landhäusern, Kranke und Gesunde hatten sich auf ihren Bade-, Vergnügungs- und Kunstreisen zerstreut. Der städtische Lebenspuls schlug langsamer, auch die Berufsgeschäfte unsers Doctors erlaubten Erholung. Eben berieth er eines Tages mit seiner Gemahlin einen mehrtägigen Ausflug in das fränkische oder schlesische Hochland, da kam ein Brief aus dem Erzgebirge. In diesem Augenblicke der Muße rief der Doctor wohlgelaunt: Ach ja, liebe Emilie, halte mir nun einen freien Vortrag über ein Verhältniß, das dich so sehr zu fesseln scheint, und das ich so sehr vernachlässigt habe. Aber die Frau überflog das Schreiben und sagte ernsthaft: Wohlan, du wirst es unmittelbar in Augenschein nehmen. Ich habe hier einen förmlichen Ruf für dich, lieber August. Der Bauer Raithmeyer siecht elend dahin, und Niemand leistet ihm Hilfe. Eigensinnig wie alle Hypochondristen zögerte er lange, dich von Dresden zu verschreiben, wie Rudolf rieth. Da hatte er unlängst einen ungewöhnlichen Anfall seiner Beängstigungen, den benützten die Kinder. Sie drangen endlich durch

schon lange die überhand nehmende Hypochondrie seines Herrn. Die Schilderungen werden immer ausführlicher und sind voll Wärme und Leben. — Kein Wunder, wenn sie den Mann umbringen, antwortete der Gatte, sie sind ja selbst seine Drachen. Und vielleicht nagt es von innen heraus, wie von außen hinein. —Uebrigens schien der Doctor zu sehr mit sich selbst beschäftigt, denn er fragte nicht weiter nach Rudolf, ja er wunderte sich selbst, daß seine Frau jenen Dorfroman noch immer verfolge.

So verfloß abermals Zeit, und das entlegene Dorf trat dem Hauptstädter in fernere Vergessenheit zurück. Seit jenem botanischen Ausfluge war nun bald das zweite Jahr voll. Es war Hochsommer, die Residenz lebte auf ihren Landhäusern, Kranke und Gesunde hatten sich auf ihren Bade-, Vergnügungs- und Kunstreisen zerstreut. Der städtische Lebenspuls schlug langsamer, auch die Berufsgeschäfte unsers Doctors erlaubten Erholung. Eben berieth er eines Tages mit seiner Gemahlin einen mehrtägigen Ausflug in das fränkische oder schlesische Hochland, da kam ein Brief aus dem Erzgebirge. In diesem Augenblicke der Muße rief der Doctor wohlgelaunt: Ach ja, liebe Emilie, halte mir nun einen freien Vortrag über ein Verhältniß, das dich so sehr zu fesseln scheint, und das ich so sehr vernachlässigt habe. Aber die Frau überflog das Schreiben und sagte ernsthaft: Wohlan, du wirst es unmittelbar in Augenschein nehmen. Ich habe hier einen förmlichen Ruf für dich, lieber August. Der Bauer Raithmeyer siecht elend dahin, und Niemand leistet ihm Hilfe. Eigensinnig wie alle Hypochondristen zögerte er lange, dich von Dresden zu verschreiben, wie Rudolf rieth. Da hatte er unlängst einen ungewöhnlichen Anfall seiner Beängstigungen, den benützten die Kinder. Sie drangen endlich durch

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[0029] schon lange die überhand nehmende Hypochondrie seines Herrn. Die Schilderungen werden immer ausführlicher und sind voll Wärme und Leben. — Kein Wunder, wenn sie den Mann umbringen, antwortete der Gatte, sie sind ja selbst seine Drachen. Und vielleicht nagt es von innen heraus, wie von außen hinein. —Uebrigens schien der Doctor zu sehr mit sich selbst beschäftigt, denn er fragte nicht weiter nach Rudolf, ja er wunderte sich selbst, daß seine Frau jenen Dorfroman noch immer verfolge. So verfloß abermals Zeit, und das entlegene Dorf trat dem Hauptstädter in fernere Vergessenheit zurück. Seit jenem botanischen Ausfluge war nun bald das zweite Jahr voll. Es war Hochsommer, die Residenz lebte auf ihren Landhäusern, Kranke und Gesunde hatten sich auf ihren Bade-, Vergnügungs- und Kunstreisen zerstreut. Der städtische Lebenspuls schlug langsamer, auch die Berufsgeschäfte unsers Doctors erlaubten Erholung. Eben berieth er eines Tages mit seiner Gemahlin einen mehrtägigen Ausflug in das fränkische oder schlesische Hochland, da kam ein Brief aus dem Erzgebirge. In diesem Augenblicke der Muße rief der Doctor wohlgelaunt: Ach ja, liebe Emilie, halte mir nun einen freien Vortrag über ein Verhältniß, das dich so sehr zu fesseln scheint, und das ich so sehr vernachlässigt habe. Aber die Frau überflog das Schreiben und sagte ernsthaft: Wohlan, du wirst es unmittelbar in Augenschein nehmen. Ich habe hier einen förmlichen Ruf für dich, lieber August. Der Bauer Raithmeyer siecht elend dahin, und Niemand leistet ihm Hilfe. Eigensinnig wie alle Hypochondristen zögerte er lange, dich von Dresden zu verschreiben, wie Rudolf rieth. Da hatte er unlängst einen ungewöhnlichen Anfall seiner Beängstigungen, den benützten die Kinder. Sie drangen endlich durch

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_drache_1910/29>, abgerufen am 21.11.2024.