Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.I. In die Schenke eines erzgebirgischen Dorfes auf sächsischer Seite trat eines Abends ein städtisch aussehender Herr, welcher, nachdem er Staubmantel und Strohhut abgelegt, in bürgerlich-einfacher, aber feiner und gewählter Sommerbekleidung dastand, etwa einen jungen Gelehrten aus der Residenz verrathend. Ihm folgte ein Bursche mit Mappe, Botanisirbüchse, Feldsessel und Regenschirm unterm Arm, -- Dinge, die er mit großer Andacht zu tragen schien. Die Stube war erzgebirgisch erleuchtet, d. h. in dem Kaminloch, welches hier "Kalf" genannt wird, stand eine Oellampe. Bei dem halbdunklen Dämmerlichte derselben saßen um die Ofenbank herum einige Dorfgäste, ihr Gläschen Schnaps in der Hand; zwischen dem Ofen und der Wand, in dem Raume, welcher die Hölle heißt, kauerte einnickend ein silberhaariger Greis; ein kleines Kind schlummerte auf seinem Schooße, schlaftrunken lehnte sich ein größerer Knabe an seine Kniee. Den Ankömmlingen entgegen trat ein erwachsenes oder mindestens aufgeschossenes Mädchen von überraschend edler Gesichtsbildung. Sie fragte schüchtern, was zu Diensten stehe. Was ihr vermögt, antwortete der Fremde, ich bin nicht wählerisch. Meine nächste Sorge ist freili ein Nachtlager; kann ich das haben hier? I. In die Schenke eines erzgebirgischen Dorfes auf sächsischer Seite trat eines Abends ein städtisch aussehender Herr, welcher, nachdem er Staubmantel und Strohhut abgelegt, in bürgerlich-einfacher, aber feiner und gewählter Sommerbekleidung dastand, etwa einen jungen Gelehrten aus der Residenz verrathend. Ihm folgte ein Bursche mit Mappe, Botanisirbüchse, Feldsessel und Regenschirm unterm Arm, — Dinge, die er mit großer Andacht zu tragen schien. Die Stube war erzgebirgisch erleuchtet, d. h. in dem Kaminloch, welches hier „Kalf“ genannt wird, stand eine Oellampe. Bei dem halbdunklen Dämmerlichte derselben saßen um die Ofenbank herum einige Dorfgäste, ihr Gläschen Schnaps in der Hand; zwischen dem Ofen und der Wand, in dem Raume, welcher die Hölle heißt, kauerte einnickend ein silberhaariger Greis; ein kleines Kind schlummerte auf seinem Schooße, schlaftrunken lehnte sich ein größerer Knabe an seine Kniee. Den Ankömmlingen entgegen trat ein erwachsenes oder mindestens aufgeschossenes Mädchen von überraschend edler Gesichtsbildung. Sie fragte schüchtern, was zu Diensten stehe. Was ihr vermögt, antwortete der Fremde, ich bin nicht wählerisch. Meine nächste Sorge ist freili ein Nachtlager; kann ich das haben hier? <TEI> <text> <pb facs="#f0007"/> <body> <div type="chapter" n="1"> <head>I.</head> <p>In die Schenke eines erzgebirgischen Dorfes auf sächsischer Seite trat eines Abends ein städtisch aussehender Herr, welcher, nachdem er Staubmantel und Strohhut abgelegt, in bürgerlich-einfacher, aber feiner und gewählter Sommerbekleidung dastand, etwa einen jungen Gelehrten aus der Residenz verrathend. Ihm folgte ein Bursche mit Mappe, Botanisirbüchse, Feldsessel und Regenschirm unterm Arm, — Dinge, die er mit großer Andacht zu tragen schien. Die Stube war erzgebirgisch erleuchtet, d. h. in dem Kaminloch, welches hier „Kalf“ genannt wird, stand eine Oellampe. Bei dem halbdunklen Dämmerlichte derselben saßen um die Ofenbank herum einige Dorfgäste, ihr Gläschen Schnaps in der Hand; zwischen dem Ofen und der Wand, in dem Raume, welcher die Hölle heißt, kauerte einnickend ein silberhaariger Greis; ein kleines Kind schlummerte auf seinem Schooße, schlaftrunken lehnte sich ein größerer Knabe an seine Kniee. Den Ankömmlingen entgegen trat ein erwachsenes oder mindestens aufgeschossenes Mädchen von überraschend edler Gesichtsbildung. Sie fragte schüchtern, was zu Diensten stehe.</p><lb/> <p>Was ihr vermögt, antwortete der Fremde, ich bin nicht wählerisch. Meine nächste Sorge ist freili ein Nachtlager; kann ich das haben hier?</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
I. In die Schenke eines erzgebirgischen Dorfes auf sächsischer Seite trat eines Abends ein städtisch aussehender Herr, welcher, nachdem er Staubmantel und Strohhut abgelegt, in bürgerlich-einfacher, aber feiner und gewählter Sommerbekleidung dastand, etwa einen jungen Gelehrten aus der Residenz verrathend. Ihm folgte ein Bursche mit Mappe, Botanisirbüchse, Feldsessel und Regenschirm unterm Arm, — Dinge, die er mit großer Andacht zu tragen schien. Die Stube war erzgebirgisch erleuchtet, d. h. in dem Kaminloch, welches hier „Kalf“ genannt wird, stand eine Oellampe. Bei dem halbdunklen Dämmerlichte derselben saßen um die Ofenbank herum einige Dorfgäste, ihr Gläschen Schnaps in der Hand; zwischen dem Ofen und der Wand, in dem Raume, welcher die Hölle heißt, kauerte einnickend ein silberhaariger Greis; ein kleines Kind schlummerte auf seinem Schooße, schlaftrunken lehnte sich ein größerer Knabe an seine Kniee. Den Ankömmlingen entgegen trat ein erwachsenes oder mindestens aufgeschossenes Mädchen von überraschend edler Gesichtsbildung. Sie fragte schüchtern, was zu Diensten stehe.
Was ihr vermögt, antwortete der Fremde, ich bin nicht wählerisch. Meine nächste Sorge ist freili ein Nachtlager; kann ich das haben hier?
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