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Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ich jene Steinbilder mit den Händen rühren konnte, ließen die Träume von mir, aber nun ward es mir, als sei es mit dem Leben gar zu Ende. Debora's Anblick hat mich zu einem neuen Leben erweckt. Ich will keine langen Worte machen: alle Leidenschaft, deren mein Gemüth fähig war, wandte sich auf sie, aber nicht, um wiederum müßig zu träumen, sondern um sie zu erwerben. Darum suchte ich meine Leidenschaft zu bergen, bis ich ihrer würdig geworden war, ein Mann gleich andern Männern. Keinem Andern sprach ich ein Wort; sie aber verstand den Blick meiner Augen, und bald trieb mich's, mein ganzes Inneres ihr darzulegen. O, sie war mild und gut, Keiner hat so den Abgrund ihrer Liebe erkannt! In eifrigen Geschäften war ich Tag für Tag bemüht, denen gleich zu werden, die ihre künftigen Stunden im Voraus zu ordnen wissen; kein Tag aber ging vorüber, ohne daß ich sie nicht insgeheim gesehen, gesprochen hätte. Ihr blickt mich an, Herr Stuart; Ihr meint: wie es doch gekommen, daß wir jenes große Hinderniß, welches zwischen uns lag, zwischen der Vereinigung des Griechen mit der Jüdin, nicht bedachten? Wenn wir beisammen waren, so dachten wir eben nicht daran; war ich allein, so fiel es mir wohl zuweilen ein, aber ich traute der Kraft unserer Liebe und -- ich traue ihr noch. Denn jüngst, als ich bei ihr war, kam plötzlich ihr Vater, Herr Baruch, hinzu, und ich mußte arge Worte vernehmen. Fast raufte der Alte sich sein graues Haar,

ich jene Steinbilder mit den Händen rühren konnte, ließen die Träume von mir, aber nun ward es mir, als sei es mit dem Leben gar zu Ende. Debora's Anblick hat mich zu einem neuen Leben erweckt. Ich will keine langen Worte machen: alle Leidenschaft, deren mein Gemüth fähig war, wandte sich auf sie, aber nicht, um wiederum müßig zu träumen, sondern um sie zu erwerben. Darum suchte ich meine Leidenschaft zu bergen, bis ich ihrer würdig geworden war, ein Mann gleich andern Männern. Keinem Andern sprach ich ein Wort; sie aber verstand den Blick meiner Augen, und bald trieb mich's, mein ganzes Inneres ihr darzulegen. O, sie war mild und gut, Keiner hat so den Abgrund ihrer Liebe erkannt! In eifrigen Geschäften war ich Tag für Tag bemüht, denen gleich zu werden, die ihre künftigen Stunden im Voraus zu ordnen wissen; kein Tag aber ging vorüber, ohne daß ich sie nicht insgeheim gesehen, gesprochen hätte. Ihr blickt mich an, Herr Stuart; Ihr meint: wie es doch gekommen, daß wir jenes große Hinderniß, welches zwischen uns lag, zwischen der Vereinigung des Griechen mit der Jüdin, nicht bedachten? Wenn wir beisammen waren, so dachten wir eben nicht daran; war ich allein, so fiel es mir wohl zuweilen ein, aber ich traute der Kraft unserer Liebe und — ich traue ihr noch. Denn jüngst, als ich bei ihr war, kam plötzlich ihr Vater, Herr Baruch, hinzu, und ich mußte arge Worte vernehmen. Fast raufte der Alte sich sein graues Haar,

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Zitationshilfe: Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910/59>, abgerufen am 19.05.2024.