Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Man behauptete, sie, die die entwandten Stoffe trage, müsse sofort zum Pascha geführt werden, der über sie richten werde; es war augenscheinlich, daß es bei dem ganzen gesetzlosen Unternehmen vor Allem auf sie und ihre Entführung abgesehen war. Vergebens sträubte sich das unglückliche Mädchen, aus dessen bleichem Gesicht es wie das Grauen des Todes hervorleuchtete; vergebens lag der Alte mit seiner übrigen Familie vor dem Aga auf den Knieen, ihm die größten Summen bietend, wenn er ihm sein Kind lasse. Schon schleppte man die halb Ohnmächtige zur Thür, als diese von außen aufgesprengt ward. Dimitri, der den Vorgang von drüben mit angesehen, stürzte bewaffnet herein, in einem Augenblick hatte er die Janitscharen, die das Mädchen gefaßt hielten, mit seinem Messer niedergestoßen, aber sofort warf sich die empörte Menge auf ihn. Von der Uebermacht bewältigt, von vielen Stichen durchbohrt, sank auch er nach kurzer Frist nieder. Jetzt wandte man sich wieder zu Debora, die bewußtlos auf dem Boden lag; man hielt sie für ohnmächtig und wollte sie aufraffen. Sowie man ihr aber ins Gesicht blickte, stürzte Alles, was ihr näher stand, mit einem Entsetzensschrei von ihr zurück. Das war keine gewöhnliche Ohnmacht, das waren die Züge der Pestkranken. Wie ein Sturmwind entflohen die Janitscharen dem Hofe des Juden, ihm nur die Leichen der Gefallenen und sein sterbendes Kind und mit diesem die gewisse Zuversicht des eigenen Unterganges zurücklassend. Es Man behauptete, sie, die die entwandten Stoffe trage, müsse sofort zum Pascha geführt werden, der über sie richten werde; es war augenscheinlich, daß es bei dem ganzen gesetzlosen Unternehmen vor Allem auf sie und ihre Entführung abgesehen war. Vergebens sträubte sich das unglückliche Mädchen, aus dessen bleichem Gesicht es wie das Grauen des Todes hervorleuchtete; vergebens lag der Alte mit seiner übrigen Familie vor dem Aga auf den Knieen, ihm die größten Summen bietend, wenn er ihm sein Kind lasse. Schon schleppte man die halb Ohnmächtige zur Thür, als diese von außen aufgesprengt ward. Dimitri, der den Vorgang von drüben mit angesehen, stürzte bewaffnet herein, in einem Augenblick hatte er die Janitscharen, die das Mädchen gefaßt hielten, mit seinem Messer niedergestoßen, aber sofort warf sich die empörte Menge auf ihn. Von der Uebermacht bewältigt, von vielen Stichen durchbohrt, sank auch er nach kurzer Frist nieder. Jetzt wandte man sich wieder zu Debora, die bewußtlos auf dem Boden lag; man hielt sie für ohnmächtig und wollte sie aufraffen. Sowie man ihr aber ins Gesicht blickte, stürzte Alles, was ihr näher stand, mit einem Entsetzensschrei von ihr zurück. Das war keine gewöhnliche Ohnmacht, das waren die Züge der Pestkranken. Wie ein Sturmwind entflohen die Janitscharen dem Hofe des Juden, ihm nur die Leichen der Gefallenen und sein sterbendes Kind und mit diesem die gewisse Zuversicht des eigenen Unterganges zurücklassend. Es <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0066"/> Man behauptete, sie, die die entwandten Stoffe trage, müsse sofort zum Pascha geführt werden, der über sie richten werde; es war augenscheinlich, daß es bei dem ganzen gesetzlosen Unternehmen vor Allem auf sie und ihre Entführung abgesehen war. Vergebens sträubte sich das unglückliche Mädchen, aus dessen bleichem Gesicht es wie das Grauen des Todes hervorleuchtete; vergebens lag der Alte mit seiner übrigen Familie vor dem Aga auf den Knieen, ihm die größten Summen bietend, wenn er ihm sein Kind lasse. Schon schleppte man die halb Ohnmächtige zur Thür, als diese von außen aufgesprengt ward. Dimitri, der den Vorgang von drüben mit angesehen, stürzte bewaffnet herein, in einem Augenblick hatte er die Janitscharen, die das Mädchen gefaßt hielten, mit seinem Messer niedergestoßen, aber sofort warf sich die empörte Menge auf ihn. Von der Uebermacht bewältigt, von vielen Stichen durchbohrt, sank auch er nach kurzer Frist nieder. Jetzt wandte man sich wieder zu Debora, die bewußtlos auf dem Boden lag; man hielt sie für ohnmächtig und wollte sie aufraffen. Sowie man ihr aber ins Gesicht blickte, stürzte Alles, was ihr näher stand, mit einem Entsetzensschrei von ihr zurück. Das war keine gewöhnliche Ohnmacht, das waren die Züge der Pestkranken. Wie ein Sturmwind entflohen die Janitscharen dem Hofe des Juden, ihm nur die Leichen der Gefallenen und sein sterbendes Kind und mit diesem die gewisse Zuversicht des eigenen Unterganges zurücklassend. Es<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
Man behauptete, sie, die die entwandten Stoffe trage, müsse sofort zum Pascha geführt werden, der über sie richten werde; es war augenscheinlich, daß es bei dem ganzen gesetzlosen Unternehmen vor Allem auf sie und ihre Entführung abgesehen war. Vergebens sträubte sich das unglückliche Mädchen, aus dessen bleichem Gesicht es wie das Grauen des Todes hervorleuchtete; vergebens lag der Alte mit seiner übrigen Familie vor dem Aga auf den Knieen, ihm die größten Summen bietend, wenn er ihm sein Kind lasse. Schon schleppte man die halb Ohnmächtige zur Thür, als diese von außen aufgesprengt ward. Dimitri, der den Vorgang von drüben mit angesehen, stürzte bewaffnet herein, in einem Augenblick hatte er die Janitscharen, die das Mädchen gefaßt hielten, mit seinem Messer niedergestoßen, aber sofort warf sich die empörte Menge auf ihn. Von der Uebermacht bewältigt, von vielen Stichen durchbohrt, sank auch er nach kurzer Frist nieder. Jetzt wandte man sich wieder zu Debora, die bewußtlos auf dem Boden lag; man hielt sie für ohnmächtig und wollte sie aufraffen. Sowie man ihr aber ins Gesicht blickte, stürzte Alles, was ihr näher stand, mit einem Entsetzensschrei von ihr zurück. Das war keine gewöhnliche Ohnmacht, das waren die Züge der Pestkranken. Wie ein Sturmwind entflohen die Janitscharen dem Hofe des Juden, ihm nur die Leichen der Gefallenen und sein sterbendes Kind und mit diesem die gewisse Zuversicht des eigenen Unterganges zurücklassend. Es
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Zitationshilfe: | Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910/66>, abgerufen am 16.07.2024. |