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Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.

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Beruf erlernen zu lassen, der ihren Anlagen entspricht,
denn, wie die Bibel sagt: "Es sind mancherlei Gaben", aber,
weise, sagt sie nicht, "bei dem Mann". Ja, ja, es sind
mancherlei Gaben auch bei der Frau. Sie sollen Wäscherin
oder Plätterin, Köchin, Schneiderin oder Lehrerin, Juristin,
Aerztin werden, wenn sie Talent, Lust resp. Geld dazu
haben, aber die Eltern sollten der Tochter für die
Berufsbildung dieselbe Zeit, Kraft, vor allem das-
selbe Geld widmen wie dem Sohn
. Mir sagte einmal
eine vielerfahrene Schulvorsteherin, dass 2 Drittel von den
Schülerinnen, die als reiche Kinder in der Schule waren, im
späteren Leben aus mannigfachen Gründen verarmten und
dann darauf angewiesen waren, sich und oft noch eine Schaar
von Kindern zu ernähren.

Bedächten die Eltern nur, welch' einen Schatz sie dem
Mädchen damit für ihre Geistes- und Characterbildung nicht
nur mitgäben, sondern wie sehr sie es damit gegen die
Wechselfälle und Stürme des Lebens feiten, wieviel mehr
sie der Welt so mit rechten Müttern dienten und den
Männern mit treuen und wahren Lebensgefährtinnen, sie
würden gewiss die thörichte Idee aufgeben: "Ein Mädchen
braucht nichts zu lernen!" Sie braucht allerdings nicht viele
Einzelheiten zu lernen, sondern nur eine Sache ordentlich,
dann wird sie diese Ordnungsliebe und Tüchtigkeit und Ge-
wissenhaftigkeit auf den ganzen Umfang ihrer Pflichten über-
tragen.

Damit will ich nun durchaus nicht wünschen, dass ein
Mädchen ganz unkundig aller Haushaltpflichten aufwachsen
soll, im Gegentheil möchte ich, dass alle Mädchen in den
ganzen Umfang dieser Obliegenheiten durch die Mutter
nach wie vor eingeführt werden; aber alle diese Leistungen
können spielend schon in der Kindheit, der Schulzeit und
höchstens noch ein oder zwei Jahre nach derselben, in den
Jahren der geschlechtlichen Entwicklung erlernt werden,
wo den Mädchen überhaupt die abwechselungsreiche, alle

Beruf erlernen zu lassen, der ihren Anlagen entspricht,
denn, wie die Bibel sagt: „Es sind mancherlei Gaben“, aber,
weise, sagt sie nicht, „bei dem Mann“. Ja, ja, es sind
mancherlei Gaben auch bei der Frau. Sie sollen Wäscherin
oder Plätterin, Köchin, Schneiderin oder Lehrerin, Juristin,
Aerztin werden, wenn sie Talent, Lust resp. Geld dazu
haben, aber die Eltern sollten der Tochter für die
Berufsbildung dieselbe Zeit, Kraft, vor allem das-
selbe Geld widmen wie dem Sohn
. Mir sagte einmal
eine vielerfahrene Schulvorsteherin, dass 2 Drittel von den
Schülerinnen, die als reiche Kinder in der Schule waren, im
späteren Leben aus mannigfachen Gründen verarmten und
dann darauf angewiesen waren, sich und oft noch eine Schaar
von Kindern zu ernähren.

Bedächten die Eltern nur, welch' einen Schatz sie dem
Mädchen damit für ihre Geistes- und Characterbildung nicht
nur mitgäben, sondern wie sehr sie es damit gegen die
Wechselfälle und Stürme des Lebens feiten, wieviel mehr
sie der Welt so mit rechten Müttern dienten und den
Männern mit treuen und wahren Lebensgefährtinnen, sie
würden gewiss die thörichte Idee aufgeben: „Ein Mädchen
braucht nichts zu lernen!“ Sie braucht allerdings nicht viele
Einzelheiten zu lernen, sondern nur eine Sache ordentlich,
dann wird sie diese Ordnungsliebe und Tüchtigkeit und Ge-
wissenhaftigkeit auf den ganzen Umfang ihrer Pflichten über-
tragen.

Damit will ich nun durchaus nicht wünschen, dass ein
Mädchen ganz unkundig aller Haushaltpflichten aufwachsen
soll, im Gegentheil möchte ich, dass alle Mädchen in den
ganzen Umfang dieser Obliegenheiten durch die Mutter
nach wie vor eingeführt werden; aber alle diese Leistungen
können spielend schon in der Kindheit, der Schulzeit und
höchstens noch ein oder zwei Jahre nach derselben, in den
Jahren der geschlechtlichen Entwicklung erlernt werden,
wo den Mädchen überhaupt die abwechselungsreiche, alle

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[16/0017] Beruf erlernen zu lassen, der ihren Anlagen entspricht, denn, wie die Bibel sagt: „Es sind mancherlei Gaben“, aber, weise, sagt sie nicht, „bei dem Mann“. Ja, ja, es sind mancherlei Gaben auch bei der Frau. Sie sollen Wäscherin oder Plätterin, Köchin, Schneiderin oder Lehrerin, Juristin, Aerztin werden, wenn sie Talent, Lust resp. Geld dazu haben, aber die Eltern sollten der Tochter für die Berufsbildung dieselbe Zeit, Kraft, vor allem das- selbe Geld widmen wie dem Sohn. Mir sagte einmal eine vielerfahrene Schulvorsteherin, dass 2 Drittel von den Schülerinnen, die als reiche Kinder in der Schule waren, im späteren Leben aus mannigfachen Gründen verarmten und dann darauf angewiesen waren, sich und oft noch eine Schaar von Kindern zu ernähren. Bedächten die Eltern nur, welch' einen Schatz sie dem Mädchen damit für ihre Geistes- und Characterbildung nicht nur mitgäben, sondern wie sehr sie es damit gegen die Wechselfälle und Stürme des Lebens feiten, wieviel mehr sie der Welt so mit rechten Müttern dienten und den Männern mit treuen und wahren Lebensgefährtinnen, sie würden gewiss die thörichte Idee aufgeben: „Ein Mädchen braucht nichts zu lernen!“ Sie braucht allerdings nicht viele Einzelheiten zu lernen, sondern nur eine Sache ordentlich, dann wird sie diese Ordnungsliebe und Tüchtigkeit und Ge- wissenhaftigkeit auf den ganzen Umfang ihrer Pflichten über- tragen. Damit will ich nun durchaus nicht wünschen, dass ein Mädchen ganz unkundig aller Haushaltpflichten aufwachsen soll, im Gegentheil möchte ich, dass alle Mädchen in den ganzen Umfang dieser Obliegenheiten durch die Mutter nach wie vor eingeführt werden; aber alle diese Leistungen können spielend schon in der Kindheit, der Schulzeit und höchstens noch ein oder zwei Jahre nach derselben, in den Jahren der geschlechtlichen Entwicklung erlernt werden, wo den Mädchen überhaupt die abwechselungsreiche, alle

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Zitationshilfe: Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896/17>, abgerufen am 03.12.2024.