Er ließ sie einen Augenblick los, aber nur um sie im nächsten desto fester in die Arme zu fassen, und die Sinne vergingen ihr un¬ ter dem Ungewitter der Leidenschaft, das über sie losbrach. Es war als ob der Pfarrer mit den Liebenden im Bunde wäre, denn seine heutige Neujahrspredigt schien die längste werden zu wollen, die er je gehalten hatte.
Jetzt will ich gern sterben, seufzte Friedrich, als er aus dem Rausche des Entzückens endlich wieder zu sich kam. Noch einmal will ich dir's geschworen haben, daß ich nimmer von dir lassen will, was auch kommen mag, und will dir treu sein bis in den Tod.
Du mußt jetzt nicht vom Sterben reden, sagte ihm Christine leise ins Ohr, indem sie den Kopf verschämt an seine Schulter lehnte, ich hab's jetzt doppelt nöthig, daß du für mich lebst.
Ja, ich will, und Müh' will ich mir geben, daß ich immer den richtigen Weg geh' und daß du keine Unehr' von mir hast und keine Sorgen um mich. Gelt, das ist doch eigentlich Ursach' gewesen, daß du dich so lang besonnen hast? Gesteh's nur frei heraus, ich nehm's dir nicht übel.
Nein, sagte sie, ich hab' mich nie zum Richter über dich aufge¬ worfen, und hab's ja wohl gewußt, wie gut du bist, und daß in dei¬ nem Herzen kein fauler Butzen ist und kein falscher Blutstropfen in deinen Adern. Meinst du denn, sonst hätt' ich dir so getraut?
Warum hast du mich dann aber so lang zappeln lassen und hast mir so viel böse Stunden gemacht?
Ei, bin ich's nicht werth, daß du dich ein wenig um mich hast verleiden müssen?
Freilich bist du's werth. Ich mein' nur, wenn du so große Stück' auf mich hältst, wie ich's in meinen Augen nicht verdien', und hast zugesehen, wie ich mich verleiden muß, so hast du ja dir auch eine Qual mit angethan. Und hast du nicht selber geschrieben, du seiest so traurig, daß du vor lauter Leid schier nicht schreiben könnest?
O du! sagte sie und schlug ihn mit dem Finger auf die Lippen.
Ich will den Baum nicht loben, der auf den ersten Streich fällt, aber du hast mir's doch ein wenig gar zu arg gemacht, hast mich ja am ewigen Feuer braten lassen. Hättest's dir selber nicht zu Leid
Er ließ ſie einen Augenblick los, aber nur um ſie im nächſten deſto feſter in die Arme zu faſſen, und die Sinne vergingen ihr un¬ ter dem Ungewitter der Leidenſchaft, das über ſie losbrach. Es war als ob der Pfarrer mit den Liebenden im Bunde wäre, denn ſeine heutige Neujahrspredigt ſchien die längſte werden zu wollen, die er je gehalten hatte.
Jetzt will ich gern ſterben, ſeufzte Friedrich, als er aus dem Rauſche des Entzückens endlich wieder zu ſich kam. Noch einmal will ich dir's geſchworen haben, daß ich nimmer von dir laſſen will, was auch kommen mag, und will dir treu ſein bis in den Tod.
Du mußt jetzt nicht vom Sterben reden, ſagte ihm Chriſtine leiſe ins Ohr, indem ſie den Kopf verſchämt an ſeine Schulter lehnte, ich hab's jetzt doppelt nöthig, daß du für mich lebſt.
Ja, ich will, und Müh' will ich mir geben, daß ich immer den richtigen Weg geh' und daß du keine Unehr' von mir haſt und keine Sorgen um mich. Gelt, das iſt doch eigentlich Urſach' geweſen, daß du dich ſo lang beſonnen haſt? Geſteh's nur frei heraus, ich nehm's dir nicht übel.
Nein, ſagte ſie, ich hab' mich nie zum Richter über dich aufge¬ worfen, und hab's ja wohl gewußt, wie gut du biſt, und daß in dei¬ nem Herzen kein fauler Butzen iſt und kein falſcher Blutstropfen in deinen Adern. Meinſt du denn, ſonſt hätt' ich dir ſo getraut?
Warum haſt du mich dann aber ſo lang zappeln laſſen und haſt mir ſo viel böſe Stunden gemacht?
Ei, bin ich's nicht werth, daß du dich ein wenig um mich haſt verleiden müſſen?
Freilich biſt du's werth. Ich mein' nur, wenn du ſo große Stück' auf mich hältſt, wie ich's in meinen Augen nicht verdien', und haſt zugeſehen, wie ich mich verleiden muß, ſo haſt du ja dir auch eine Qual mit angethan. Und haſt du nicht ſelber geſchrieben, du ſeieſt ſo traurig, daß du vor lauter Leid ſchier nicht ſchreiben könneſt?
O du! ſagte ſie und ſchlug ihn mit dem Finger auf die Lippen.
Ich will den Baum nicht loben, der auf den erſten Streich fällt, aber du haſt mir's doch ein wenig gar zu arg gemacht, haſt mich ja am ewigen Feuer braten laſſen. Hätteſt's dir ſelber nicht zu Leid
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Er ließ ſie einen Augenblick los, aber nur um ſie im nächſten
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ter dem Ungewitter der Leidenſchaft, das über ſie losbrach. Es war
als ob der Pfarrer mit den Liebenden im Bunde wäre, denn ſeine
heutige Neujahrspredigt ſchien die längſte werden zu wollen, die er je
gehalten hatte.
Jetzt will ich gern ſterben, ſeufzte Friedrich, als er aus dem
Rauſche des Entzückens endlich wieder zu ſich kam. Noch einmal will
ich dir's geſchworen haben, daß ich nimmer von dir laſſen will, was
auch kommen mag, und will dir treu ſein bis in den Tod.
Du mußt jetzt nicht vom Sterben reden, ſagte ihm Chriſtine leiſe
ins Ohr, indem ſie den Kopf verſchämt an ſeine Schulter lehnte,
ich hab's jetzt doppelt nöthig, daß du für mich lebſt.
Ja, ich will, und Müh' will ich mir geben, daß ich immer den
richtigen Weg geh' und daß du keine Unehr' von mir haſt und keine
Sorgen um mich. Gelt, das iſt doch eigentlich Urſach' geweſen, daß
du dich ſo lang beſonnen haſt? Geſteh's nur frei heraus, ich nehm's
dir nicht übel.
Nein, ſagte ſie, ich hab' mich nie zum Richter über dich aufge¬
worfen, und hab's ja wohl gewußt, wie gut du biſt, und daß in dei¬
nem Herzen kein fauler Butzen iſt und kein falſcher Blutstropfen in
deinen Adern. Meinſt du denn, ſonſt hätt' ich dir ſo getraut?
Warum haſt du mich dann aber ſo lang zappeln laſſen und haſt
mir ſo viel böſe Stunden gemacht?
Ei, bin ich's nicht werth, daß du dich ein wenig um mich haſt
verleiden müſſen?
Freilich biſt du's werth. Ich mein' nur, wenn du ſo große Stück'
auf mich hältſt, wie ich's in meinen Augen nicht verdien', und haſt
zugeſehen, wie ich mich verleiden muß, ſo haſt du ja dir auch eine
Qual mit angethan. Und haſt du nicht ſelber geſchrieben, du ſeieſt
ſo traurig, daß du vor lauter Leid ſchier nicht ſchreiben könneſt?
O du! ſagte ſie und ſchlug ihn mit dem Finger auf die Lippen.
Ich will den Baum nicht loben, der auf den erſten Streich fällt,
aber du haſt mir's doch ein wenig gar zu arg gemacht, haſt mich ja
am ewigen Feuer braten laſſen. Hätteſt's dir ſelber nicht zu Leid
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/140>, abgerufen am 24.11.2024.
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