man einen Besuch jeden Tag, den er da ist, gleichsam mit dem Seil¬ stumpen anbinden, damit er ja sieht, daß man ihn nicht fortlassen will. Mein Bruder aber, der gar kein Schwab' mehr ist und in dem Klima ganz die Art angenommen hat, wie die Andern auch sind, der hat wahrscheinlich ein einzigsmal gesagt: Du bist willkommen, Vetter, und bleib' so lang du magst; und dann hat der Bub' natürlich bald gemeint, man sei seiner überdrüssig, weil man's ihm nicht zehn und zwanzigmal gesagt hat. Es hätt' aber nichts zu sagen gehabt, denn wenn sie Einen los werden wollen, so wissen sie schon den Schnabel aufzuthun. Nun, jetzt hat er auf einmal einsehen gelernt, daß die Welt größer ist als sein Kopf, und kommt aus der Fremde wie der Schneck, wenn er die Hörner einzieht und wieder in sein Haus zu¬ rückgeht.
Der Herr Vater ist also der Meinung ihn wieder anzunehmen? fragte der Chirurg.
Was bleibt sonst übrig? antwortete der Sonnenwirth. Ich wüßt' nicht, wo ich ihn in der Geschwindigkeit hinschicken sollt'.
Dann kann er gleich den alten Tanz wieder anfangen, sagte die Sonnenwirthin.
Dafür kann man ihm thun, entgegnete er. Eh' er nicht aus¬ drücklich versprochen hat, daß er sich mit der Person weder mündlich noch schriftlich mehr einlassen will, kommt er mir nicht in's Haus.
Ich will ihm das nach Plochingen schreiben, erbot sich der Chirurg.
Braucht nichts zu schreiben, versetzte der Sonnenwirth. Zuerst muß man ja doch mit dem Amtmann reden, daß der seiner Heimkunft keine Schwierigkeit in Weg legt, nachdem er nun einmal die Hand in der Sach' hat. Dann ist's überhaupt besser, man gibt dem Buben gar keine Antwort und läßt ihn zappeln, er wird dadurch nur um so mürber.
Wart', du wirst eine schöne Rechnung vom Plochinger Bärenwirth kriegen, lachte die Sonnenwirthin.
Ich hab' ihn nicht heißen in den Plochinger Bären hinliegen.
Irgendwo muß er aber doch sein, bemerkte die Frau des Chirurgen schüchtern.
Warum ist er nicht gleich hieher gekommen? entgegnete der Sonnen¬ wirth. Wenn ich ihn auch nicht ohne Weiter's angenommen hätt',
man einen Beſuch jeden Tag, den er da iſt, gleichſam mit dem Seil¬ ſtumpen anbinden, damit er ja ſieht, daß man ihn nicht fortlaſſen will. Mein Bruder aber, der gar kein Schwab' mehr iſt und in dem Klima ganz die Art angenommen hat, wie die Andern auch ſind, der hat wahrſcheinlich ein einzigsmal geſagt: Du biſt willkommen, Vetter, und bleib' ſo lang du magſt; und dann hat der Bub' natürlich bald gemeint, man ſei ſeiner überdrüſſig, weil man's ihm nicht zehn und zwanzigmal geſagt hat. Es hätt' aber nichts zu ſagen gehabt, denn wenn ſie Einen los werden wollen, ſo wiſſen ſie ſchon den Schnabel aufzuthun. Nun, jetzt hat er auf einmal einſehen gelernt, daß die Welt größer iſt als ſein Kopf, und kommt aus der Fremde wie der Schneck, wenn er die Hörner einzieht und wieder in ſein Haus zu¬ rückgeht.
Der Herr Vater iſt alſo der Meinung ihn wieder anzunehmen? fragte der Chirurg.
Was bleibt ſonſt übrig? antwortete der Sonnenwirth. Ich wüßt' nicht, wo ich ihn in der Geſchwindigkeit hinſchicken ſollt'.
Dann kann er gleich den alten Tanz wieder anfangen, ſagte die Sonnenwirthin.
Dafür kann man ihm thun, entgegnete er. Eh' er nicht aus¬ drücklich verſprochen hat, daß er ſich mit der Perſon weder mündlich noch ſchriftlich mehr einlaſſen will, kommt er mir nicht in's Haus.
Ich will ihm das nach Plochingen ſchreiben, erbot ſich der Chirurg.
Braucht nichts zu ſchreiben, verſetzte der Sonnenwirth. Zuerſt muß man ja doch mit dem Amtmann reden, daß der ſeiner Heimkunft keine Schwierigkeit in Weg legt, nachdem er nun einmal die Hand in der Sach' hat. Dann iſt's überhaupt beſſer, man gibt dem Buben gar keine Antwort und läßt ihn zappeln, er wird dadurch nur um ſo mürber.
Wart', du wirſt eine ſchöne Rechnung vom Plochinger Bärenwirth kriegen, lachte die Sonnenwirthin.
Ich hab' ihn nicht heißen in den Plochinger Bären hinliegen.
Irgendwo muß er aber doch ſein, bemerkte die Frau des Chirurgen ſchüchtern.
Warum iſt er nicht gleich hieher gekommen? entgegnete der Sonnen¬ wirth. Wenn ich ihn auch nicht ohne Weiter's angenommen hätt',
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man einen Beſuch jeden Tag, den er da iſt, gleichſam mit dem Seil¬
ſtumpen anbinden, damit er ja ſieht, daß man ihn nicht fortlaſſen
will. Mein Bruder aber, der gar kein Schwab' mehr iſt und in dem
Klima ganz die Art angenommen hat, wie die Andern auch ſind, der
hat wahrſcheinlich ein einzigsmal geſagt: Du biſt willkommen, Vetter,
und bleib' ſo lang du magſt; und dann hat der Bub' natürlich bald
gemeint, man ſei ſeiner überdrüſſig, weil man's ihm nicht zehn und
zwanzigmal geſagt hat. Es hätt' aber nichts zu ſagen gehabt, denn
wenn ſie Einen los werden wollen, ſo wiſſen ſie ſchon den Schnabel
aufzuthun. Nun, jetzt hat er auf einmal einſehen gelernt, daß die
Welt größer iſt als ſein Kopf, und kommt aus der Fremde wie der
Schneck, wenn er die Hörner einzieht und wieder in ſein Haus zu¬
rückgeht.
Der Herr Vater iſt alſo der Meinung ihn wieder anzunehmen?
fragte der Chirurg.
Was bleibt ſonſt übrig? antwortete der Sonnenwirth. Ich wüßt'
nicht, wo ich ihn in der Geſchwindigkeit hinſchicken ſollt'.
Dann kann er gleich den alten Tanz wieder anfangen, ſagte die
Sonnenwirthin.
Dafür kann man ihm thun, entgegnete er. Eh' er nicht aus¬
drücklich verſprochen hat, daß er ſich mit der Perſon weder mündlich
noch ſchriftlich mehr einlaſſen will, kommt er mir nicht in's Haus.
Ich will ihm das nach Plochingen ſchreiben, erbot ſich der Chirurg.
Braucht nichts zu ſchreiben, verſetzte der Sonnenwirth. Zuerſt
muß man ja doch mit dem Amtmann reden, daß der ſeiner Heimkunft
keine Schwierigkeit in Weg legt, nachdem er nun einmal die Hand in
der Sach' hat. Dann iſt's überhaupt beſſer, man gibt dem Buben
gar keine Antwort und läßt ihn zappeln, er wird dadurch nur um
ſo mürber.
Wart', du wirſt eine ſchöne Rechnung vom Plochinger Bärenwirth
kriegen, lachte die Sonnenwirthin.
Ich hab' ihn nicht heißen in den Plochinger Bären hinliegen.
Irgendwo muß er aber doch ſein, bemerkte die Frau des Chirurgen
ſchüchtern.
Warum iſt er nicht gleich hieher gekommen? entgegnete der Sonnen¬
wirth. Wenn ich ihn auch nicht ohne Weiter's angenommen hätt',
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/182>, abgerufen am 27.11.2024.
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