Kutz Mulle, blas' Gersten, da könnten wir dienen und ledig bleiben unser Leben lang. Ja, wenn mein Vetter mich hätt' bei sich behalten können und hätt' mich vielleicht lieb gewonnen, der hätt' mich auf die ein' oder ander' Art versorgen können, so daß ich gar nicht mehr zu¬ rückgekommen wär' und die Christine auswärts geheirathet hätt'. So aber ist das nichts gewesen, und ich bin auf einmal rath- und hilflos dagestanden in der weiten Welt. Mein Vetter hat mich zwar liebreich gehalten und hat mich heißen als Gast bleiben; aber ich bin mir eben fremd vorkommen und hab' ihm nicht in die Länge beschwerlich sein wollen. Ich sag' dir, Jerg, ich bin dir ganz verzagt gewesen und hab' nicht mehr gewußt, wo aus noch wo ein, grad' wie ein Kind, das aus seinem Bett gefallen ist und tappt in der Nacht herum und kommt nicht mehr zurecht, oder wie Einer, der das Wasser am Kinn spürt und keinen Boden unter den Füßen mehr, und in der Angst nach einem Strohhalm langt. Du magst vielleicht denken, ich hätt' doch versuchen sollen, anderswo in der Fremde in einem Dienst unter¬ zukommen. Aber ich hab' kein Glück; das hab' ich gleich gesehen, wie's bei meinem Vetter nichts gewesen ist. Und wenn ich bei frem¬ den Leuten in Dienst gangen wär', so hätt' ich damit eine große Scheidewand zwischen mir und meinem Vater aufgerichtet und hätt' ihm gezeigt, daß ich ihm Trotz bieten will; wenn mir's nachher in der Welt nicht geglückt wär', wie's wahrscheinlich ist, so wär' mir die Heimath zugeschlossen gewesen und ich hätt' der Christine zweimal nicht Wort halten können, was mir doch die Hauptsach' ist. Auch ist mir's durch den Kopf gefahren, beweisen kann ich's freilich nicht, daß des Gerichtsschreibers Sohn von Boll, der mich bei meinem Vetter verdrängt hat, weil er schon vor mir Anwartschaft gehabt hab', daß der vielleicht meinem Vetter einen Floh in's Ohr gesetzt hat --
Er stockte. Von wegen deiner Liebschaft? meinte Jerg.
Nein, sagte Friedrich und ließ die Stimme sinken: er hat's ihm vielleicht gesteckt, ich sei nicht ganz hautrein und sei schon in Ludwigs¬ burg gewesen.
Das wär' aber lüderlich, das wär' schlecht! sagte Jerg.
Ich trau' so einem Schreiberssöhnle nicht viel Gut's zu; er hat vielleicht besorgt, ich könnt' ihm doch vielleicht noch den Rang ablaufen, und das wär' auch keine Kunst für mich gewesen. Kurzum, ich bin
Kutz Mulle, blaſ' Gerſten, da könnten wir dienen und ledig bleiben unſer Leben lang. Ja, wenn mein Vetter mich hätt' bei ſich behalten können und hätt' mich vielleicht lieb gewonnen, der hätt' mich auf die ein' oder ander' Art verſorgen können, ſo daß ich gar nicht mehr zu¬ rückgekommen wär' und die Chriſtine auswärts geheirathet hätt'. So aber iſt das nichts geweſen, und ich bin auf einmal rath- und hilflos dageſtanden in der weiten Welt. Mein Vetter hat mich zwar liebreich gehalten und hat mich heißen als Gaſt bleiben; aber ich bin mir eben fremd vorkommen und hab' ihm nicht in die Länge beſchwerlich ſein wollen. Ich ſag' dir, Jerg, ich bin dir ganz verzagt geweſen und hab' nicht mehr gewußt, wo aus noch wo ein, grad' wie ein Kind, das aus ſeinem Bett gefallen iſt und tappt in der Nacht herum und kommt nicht mehr zurecht, oder wie Einer, der das Waſſer am Kinn ſpürt und keinen Boden unter den Füßen mehr, und in der Angſt nach einem Strohhalm langt. Du magſt vielleicht denken, ich hätt' doch verſuchen ſollen, anderswo in der Fremde in einem Dienſt unter¬ zukommen. Aber ich hab' kein Glück; das hab' ich gleich geſehen, wie's bei meinem Vetter nichts geweſen iſt. Und wenn ich bei frem¬ den Leuten in Dienſt gangen wär', ſo hätt' ich damit eine große Scheidewand zwiſchen mir und meinem Vater aufgerichtet und hätt' ihm gezeigt, daß ich ihm Trotz bieten will; wenn mir's nachher in der Welt nicht geglückt wär', wie's wahrſcheinlich iſt, ſo wär' mir die Heimath zugeſchloſſen geweſen und ich hätt' der Chriſtine zweimal nicht Wort halten können, was mir doch die Hauptſach' iſt. Auch iſt mir's durch den Kopf gefahren, beweiſen kann ich's freilich nicht, daß des Gerichtsſchreibers Sohn von Boll, der mich bei meinem Vetter verdrängt hat, weil er ſchon vor mir Anwartſchaft gehabt hab', daß der vielleicht meinem Vetter einen Floh in's Ohr geſetzt hat —
Er ſtockte. Von wegen deiner Liebſchaft? meinte Jerg.
Nein, ſagte Friedrich und ließ die Stimme ſinken: er hat's ihm vielleicht geſteckt, ich ſei nicht ganz hautrein und ſei ſchon in Ludwigs¬ burg geweſen.
Das wär' aber lüderlich, das wär' ſchlecht! ſagte Jerg.
Ich trau' ſo einem Schreibersſöhnle nicht viel Gut's zu; er hat vielleicht beſorgt, ich könnt' ihm doch vielleicht noch den Rang ablaufen, und das wär' auch keine Kunſt für mich geweſen. Kurzum, ich bin
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Kutz Mulle, blaſ' Gerſten, da könnten wir dienen und ledig bleiben
unſer Leben lang. Ja, wenn mein Vetter mich hätt' bei ſich behalten
können und hätt' mich vielleicht lieb gewonnen, der hätt' mich auf die
ein' oder ander' Art verſorgen können, ſo daß ich gar nicht mehr zu¬
rückgekommen wär' und die Chriſtine auswärts geheirathet hätt'. So
aber iſt das nichts geweſen, und ich bin auf einmal rath- und hilflos
dageſtanden in der weiten Welt. Mein Vetter hat mich zwar liebreich
gehalten und hat mich heißen als Gaſt bleiben; aber ich bin mir
eben fremd vorkommen und hab' ihm nicht in die Länge beſchwerlich
ſein wollen. Ich ſag' dir, Jerg, ich bin dir ganz verzagt geweſen
und hab' nicht mehr gewußt, wo aus noch wo ein, grad' wie ein Kind,
das aus ſeinem Bett gefallen iſt und tappt in der Nacht herum und
kommt nicht mehr zurecht, oder wie Einer, der das Waſſer am Kinn
ſpürt und keinen Boden unter den Füßen mehr, und in der Angſt
nach einem Strohhalm langt. Du magſt vielleicht denken, ich hätt'
doch verſuchen ſollen, anderswo in der Fremde in einem Dienſt unter¬
zukommen. Aber ich hab' kein Glück; das hab' ich gleich geſehen,
wie's bei meinem Vetter nichts geweſen iſt. Und wenn ich bei frem¬
den Leuten in Dienſt gangen wär', ſo hätt' ich damit eine große
Scheidewand zwiſchen mir und meinem Vater aufgerichtet und hätt'
ihm gezeigt, daß ich ihm Trotz bieten will; wenn mir's nachher in
der Welt nicht geglückt wär', wie's wahrſcheinlich iſt, ſo wär' mir die
Heimath zugeſchloſſen geweſen und ich hätt' der Chriſtine zweimal
nicht Wort halten können, was mir doch die Hauptſach' iſt. Auch iſt
mir's durch den Kopf gefahren, beweiſen kann ich's freilich nicht, daß
des Gerichtsſchreibers Sohn von Boll, der mich bei meinem Vetter
verdrängt hat, weil er ſchon vor mir Anwartſchaft gehabt hab', daß
der vielleicht meinem Vetter einen Floh in's Ohr geſetzt hat —
Er ſtockte. Von wegen deiner Liebſchaft? meinte Jerg.
Nein, ſagte Friedrich und ließ die Stimme ſinken: er hat's ihm
vielleicht geſteckt, ich ſei nicht ganz hautrein und ſei ſchon in Ludwigs¬
burg geweſen.
Das wär' aber lüderlich, das wär' ſchlecht! ſagte Jerg.
Ich trau' ſo einem Schreibersſöhnle nicht viel Gut's zu; er hat
vielleicht beſorgt, ich könnt' ihm doch vielleicht noch den Rang ablaufen,
und das wär' auch keine Kunſt für mich geweſen. Kurzum, ich bin
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/191>, abgerufen am 27.11.2024.
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